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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Feldherren zu entscheiden -- ist deshalb so absurd, weil der Ausgang
einer Schachpartie gar keinen Anhalt dafür giebt, welches der Aus-
gang des Waffenkampfes gewesen wäre, und also diesen nicht mit
gültigem Erfolge versinnbildlichen und vertreten kann; wogegen etwa
ein Kriegsspiel, in dem alle Heeresmassen, alle Chancen, alle Intelli-
genz der Führung einen vollständigen symbolischen Ausdruck fände,
unter der unmöglichen Voraussetzung seiner Herstellbarkeit allerdings
den physischen Kampf unnötig machen könnte.

Die Fülle der Momente -- der Kräfte, Substanzen und Ereig-
nisse --, mit denen das vorgeschrittene Leben zu arbeiten hat, drängt
auf eine Verdichtung desselben in umfassenden Symbolen, mit denen
man nun rechnet, sicher, dass dasselbe Resultat sich ergiebt, als wenn
man mit der ganzen Breite der Einzelheiten operiert hätte; so dass
das Resultat ohne weiteres für diese Einzelheiten gültig, auf sie an-
wendbar ist. Das muss in dem Masse möglicher werden, in dem die
Quantitätsbeziehungen der Dinge sich gleichsam selbständig machen.
Die fortschreitende Differenzierung unseres Vorstellens bringt es mit
sich, dass die Frage des Wieviel eine gewisse psychologische Trennung
von der Frage des Was erfährt -- so wunderlich dies auch in logi-
scher Hinsicht erscheint. In der Bildung der Zahlen geschieht dies
zuerst und am erfolgreichsten, indem aus den so und so vielen Dingen
das So und Soviel herausgehoben und zu eigenen Begriffen verselb-
ständigt wird. Je feststehender die Begriffe ihrem qualitativen Inhalt
nach werden, desto mehr richtet sich das Interesse auf ihre quantitativen
Verhältnisse, und schliesslich hat man es für das Ideal des Erkennens
erklärt, alle qualitativen Bestimmtheiten der Wirklichkeit in rein
quantitative aufzulösen. Diese Aussonderung und Betonung der Quan-
tität erleichtert die symbolische Behandlung der Dinge: denn da die
inhaltlich verschiedensten doch eben in quantitativen Hinsichten über-
einstimmen können, so vermögen derartige Beziehungen, Bestimmtheiten,
Bewegungen des einen ein gültiges Bild für eben dieselben an einem
anderen abzugeben; einfachste Beispiele sind etwa die Rechenmarken,
die uns zahlenmässige Bestimmungen beliebiger Objekte beweisend ver-
anschaulichen, oder das Fensterthermometer, das uns das Mehr oder
Weniger zu erwartender Wärmeempfindungen in den Zahlen der Grade
anzeigt. Diese Ermöglichung von Symbolen durch die psychologische
Heraussonderung des Quantitativen aus den Dingen, die uns heute
freilich sehr selbstverständlich erscheint, ist eine Geistesthat von ausser-
ordentlichen Folgen. Auch die Möglichkeit des Geldes geht auf sie
zurück, insofern es, von aller Qualität des Wertes absehend, das reine
Quantum desselben in numerischer Form darstellt. Einen ganz bezeich-

Feldherren zu entscheiden — ist deshalb so absurd, weil der Ausgang
einer Schachpartie gar keinen Anhalt dafür giebt, welches der Aus-
gang des Waffenkampfes gewesen wäre, und also diesen nicht mit
gültigem Erfolge versinnbildlichen und vertreten kann; wogegen etwa
ein Kriegsspiel, in dem alle Heeresmassen, alle Chancen, alle Intelli-
genz der Führung einen vollständigen symbolischen Ausdruck fände,
unter der unmöglichen Voraussetzung seiner Herstellbarkeit allerdings
den physischen Kampf unnötig machen könnte.

Die Fülle der Momente — der Kräfte, Substanzen und Ereig-
nisse —, mit denen das vorgeschrittene Leben zu arbeiten hat, drängt
auf eine Verdichtung desselben in umfassenden Symbolen, mit denen
man nun rechnet, sicher, daſs dasselbe Resultat sich ergiebt, als wenn
man mit der ganzen Breite der Einzelheiten operiert hätte; so daſs
das Resultat ohne weiteres für diese Einzelheiten gültig, auf sie an-
wendbar ist. Das muſs in dem Maſse möglicher werden, in dem die
Quantitätsbeziehungen der Dinge sich gleichsam selbständig machen.
Die fortschreitende Differenzierung unseres Vorstellens bringt es mit
sich, daſs die Frage des Wieviel eine gewisse psychologische Trennung
von der Frage des Was erfährt — so wunderlich dies auch in logi-
scher Hinsicht erscheint. In der Bildung der Zahlen geschieht dies
zuerst und am erfolgreichsten, indem aus den so und so vielen Dingen
das So und Soviel herausgehoben und zu eigenen Begriffen verselb-
ständigt wird. Je feststehender die Begriffe ihrem qualitativen Inhalt
nach werden, desto mehr richtet sich das Interesse auf ihre quantitativen
Verhältnisse, und schlieſslich hat man es für das Ideal des Erkennens
erklärt, alle qualitativen Bestimmtheiten der Wirklichkeit in rein
quantitative aufzulösen. Diese Aussonderung und Betonung der Quan-
tität erleichtert die symbolische Behandlung der Dinge: denn da die
inhaltlich verschiedensten doch eben in quantitativen Hinsichten über-
einstimmen können, so vermögen derartige Beziehungen, Bestimmtheiten,
Bewegungen des einen ein gültiges Bild für eben dieselben an einem
anderen abzugeben; einfachste Beispiele sind etwa die Rechenmarken,
die uns zahlenmäſsige Bestimmungen beliebiger Objekte beweisend ver-
anschaulichen, oder das Fensterthermometer, das uns das Mehr oder
Weniger zu erwartender Wärmeempfindungen in den Zahlen der Grade
anzeigt. Diese Ermöglichung von Symbolen durch die psychologische
Heraussonderung des Quantitativen aus den Dingen, die uns heute
freilich sehr selbstverständlich erscheint, ist eine Geistesthat von auſser-
ordentlichen Folgen. Auch die Möglichkeit des Geldes geht auf sie
zurück, insofern es, von aller Qualität des Wertes absehend, das reine
Quantum desselben in numerischer Form darstellt. Einen ganz bezeich-

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[112/0136] Feldherren zu entscheiden — ist deshalb so absurd, weil der Ausgang einer Schachpartie gar keinen Anhalt dafür giebt, welches der Aus- gang des Waffenkampfes gewesen wäre, und also diesen nicht mit gültigem Erfolge versinnbildlichen und vertreten kann; wogegen etwa ein Kriegsspiel, in dem alle Heeresmassen, alle Chancen, alle Intelli- genz der Führung einen vollständigen symbolischen Ausdruck fände, unter der unmöglichen Voraussetzung seiner Herstellbarkeit allerdings den physischen Kampf unnötig machen könnte. Die Fülle der Momente — der Kräfte, Substanzen und Ereig- nisse —, mit denen das vorgeschrittene Leben zu arbeiten hat, drängt auf eine Verdichtung desselben in umfassenden Symbolen, mit denen man nun rechnet, sicher, daſs dasselbe Resultat sich ergiebt, als wenn man mit der ganzen Breite der Einzelheiten operiert hätte; so daſs das Resultat ohne weiteres für diese Einzelheiten gültig, auf sie an- wendbar ist. Das muſs in dem Maſse möglicher werden, in dem die Quantitätsbeziehungen der Dinge sich gleichsam selbständig machen. Die fortschreitende Differenzierung unseres Vorstellens bringt es mit sich, daſs die Frage des Wieviel eine gewisse psychologische Trennung von der Frage des Was erfährt — so wunderlich dies auch in logi- scher Hinsicht erscheint. In der Bildung der Zahlen geschieht dies zuerst und am erfolgreichsten, indem aus den so und so vielen Dingen das So und Soviel herausgehoben und zu eigenen Begriffen verselb- ständigt wird. Je feststehender die Begriffe ihrem qualitativen Inhalt nach werden, desto mehr richtet sich das Interesse auf ihre quantitativen Verhältnisse, und schlieſslich hat man es für das Ideal des Erkennens erklärt, alle qualitativen Bestimmtheiten der Wirklichkeit in rein quantitative aufzulösen. Diese Aussonderung und Betonung der Quan- tität erleichtert die symbolische Behandlung der Dinge: denn da die inhaltlich verschiedensten doch eben in quantitativen Hinsichten über- einstimmen können, so vermögen derartige Beziehungen, Bestimmtheiten, Bewegungen des einen ein gültiges Bild für eben dieselben an einem anderen abzugeben; einfachste Beispiele sind etwa die Rechenmarken, die uns zahlenmäſsige Bestimmungen beliebiger Objekte beweisend ver- anschaulichen, oder das Fensterthermometer, das uns das Mehr oder Weniger zu erwartender Wärmeempfindungen in den Zahlen der Grade anzeigt. Diese Ermöglichung von Symbolen durch die psychologische Heraussonderung des Quantitativen aus den Dingen, die uns heute freilich sehr selbstverständlich erscheint, ist eine Geistesthat von auſser- ordentlichen Folgen. Auch die Möglichkeit des Geldes geht auf sie zurück, insofern es, von aller Qualität des Wertes absehend, das reine Quantum desselben in numerischer Form darstellt. Einen ganz bezeich-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/136>, abgerufen am 23.11.2024.