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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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vollendetstes Mittel, sondern eine eigne, konkrete, alle Bedeutungen
jener in sich sammelnde Existenz gewonnen.

Dies ist die philosophische Bedeutung des Geldes: dass es inner-
halb der praktischen Welt die entschiedenste Sichtbarkeit, die deut-
lichste Wirklichkeit der Formel des allgemeinen Seins ist, nach der
die Dinge ihren Sinn aneinander finden und die Gegenseitigkeit
der Verhältnisse, in denen sie schweben, ihr Sein und Sosein aus-
macht.

Es gehört zu den Grundthatsachen der seelischen Welt, dass wir
Verhältnisse zwischen mehreren Elementen des Daseins in besonderen
Gebilden verkörpern; diese sind freilich auch substanzielle Wesen für
sich, aber ihre Bedeutung für uns haben sie nur als Sichtbarkeit
eines Verhältnisses, das in loserer oder engerer Weise an sie gebunden
ist. So ist der Ehering, aber auch jeder Brief, jedes Pfand, wie
jede Beamtenuniform Symbol oder Träger einer sittlichen oder intellek-
tuellen, einer juristischen oder politischen Beziehung zwischen Menschen,
ja, jeder sakramentale Gegenstand das substanziierte Verhältnis
zwischen dem Menschen und seinem Gott; die Telegraphendrähte, die
die Länder verbinden, sind nicht weniger als die militärischen Waffen,
die ihre Entzweiung ausdrücken, derartige Substanzen, die kaum eine
Bedeutung für den Einzelmenschen als solchen, sondern einen Sinn
nur in den Beziehungen zwischen Menschen und Menschengruppen
haben, die in ihnen kristallisiert sind. Gewiss kann die Vorstellung
der Beziehung oder des Verhältnisses schon als eine Abstraktion gelten,
insofern nur die Elemente real sind, deren wechselseitig bewirkte
Zustände wir so zu Sonderbegriffen zusammenfassen; erst die meta-
physische Vertiefung, die das Erkennen in seiner empirischen Richtung,
aber über seine empirischen Grenzen hinaus verfolgt, mag auch diese
Zweiheit aufheben, indem sie überhaupt keine substanziellen Elemente
mehr bestehen lässt, sondern jedes derselben in Wechselwirkungen
und Prozesse auflöst, deren Träger demselben Schicksal unterworfen
werden. Das praktische Bewusstsein aber hat die Form gefunden,
um die Vorgänge der Beziehung oder der Wechselwirkung, in der die
Wirklichkeit verläuft, mit der substanziellen Existenz zu vereinigen,
in die die Praxis eben die abstrakte Beziehung als solche kleiden
muss. Jene Projizierung blosser Verhältnisse auf Sondergebilde ist
eine der grossen Leistungen des Geistes, indem in ihr der Geist zwar
verkörpert wird, aber nur um das Körperhafte zum Gefäss des Geistigen
zu machen und diesem damit eine vollere und lebendigere Wirksamkeit
zu gewähren. Mit dem Gelde hat die Fähigkeit zu solchen Bildungen
ihren höchsten Triumph gefeiert. Denn die reinste Wechselwirkung

vollendetstes Mittel, sondern eine eigne, konkrete, alle Bedeutungen
jener in sich sammelnde Existenz gewonnen.

Dies ist die philosophische Bedeutung des Geldes: daſs es inner-
halb der praktischen Welt die entschiedenste Sichtbarkeit, die deut-
lichste Wirklichkeit der Formel des allgemeinen Seins ist, nach der
die Dinge ihren Sinn aneinander finden und die Gegenseitigkeit
der Verhältnisse, in denen sie schweben, ihr Sein und Sosein aus-
macht.

Es gehört zu den Grundthatsachen der seelischen Welt, daſs wir
Verhältnisse zwischen mehreren Elementen des Daseins in besonderen
Gebilden verkörpern; diese sind freilich auch substanzielle Wesen für
sich, aber ihre Bedeutung für uns haben sie nur als Sichtbarkeit
eines Verhältnisses, das in loserer oder engerer Weise an sie gebunden
ist. So ist der Ehering, aber auch jeder Brief, jedes Pfand, wie
jede Beamtenuniform Symbol oder Träger einer sittlichen oder intellek-
tuellen, einer juristischen oder politischen Beziehung zwischen Menschen,
ja, jeder sakramentale Gegenstand das substanziierte Verhältnis
zwischen dem Menschen und seinem Gott; die Telegraphendrähte, die
die Länder verbinden, sind nicht weniger als die militärischen Waffen,
die ihre Entzweiung ausdrücken, derartige Substanzen, die kaum eine
Bedeutung für den Einzelmenschen als solchen, sondern einen Sinn
nur in den Beziehungen zwischen Menschen und Menschengruppen
haben, die in ihnen kristallisiert sind. Gewiſs kann die Vorstellung
der Beziehung oder des Verhältnisses schon als eine Abstraktion gelten,
insofern nur die Elemente real sind, deren wechselseitig bewirkte
Zustände wir so zu Sonderbegriffen zusammenfassen; erst die meta-
physische Vertiefung, die das Erkennen in seiner empirischen Richtung,
aber über seine empirischen Grenzen hinaus verfolgt, mag auch diese
Zweiheit aufheben, indem sie überhaupt keine substanziellen Elemente
mehr bestehen läſst, sondern jedes derselben in Wechselwirkungen
und Prozesse auflöst, deren Träger demselben Schicksal unterworfen
werden. Das praktische Bewuſstsein aber hat die Form gefunden,
um die Vorgänge der Beziehung oder der Wechselwirkung, in der die
Wirklichkeit verläuft, mit der substanziellen Existenz zu vereinigen,
in die die Praxis eben die abstrakte Beziehung als solche kleiden
muſs. Jene Projizierung bloſser Verhältnisse auf Sondergebilde ist
eine der groſsen Leistungen des Geistes, indem in ihr der Geist zwar
verkörpert wird, aber nur um das Körperhafte zum Gefäſs des Geistigen
zu machen und diesem damit eine vollere und lebendigere Wirksamkeit
zu gewähren. Mit dem Gelde hat die Fähigkeit zu solchen Bildungen
ihren höchsten Triumph gefeiert. Denn die reinste Wechselwirkung

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[85/0109] vollendetstes Mittel, sondern eine eigne, konkrete, alle Bedeutungen jener in sich sammelnde Existenz gewonnen. Dies ist die philosophische Bedeutung des Geldes: daſs es inner- halb der praktischen Welt die entschiedenste Sichtbarkeit, die deut- lichste Wirklichkeit der Formel des allgemeinen Seins ist, nach der die Dinge ihren Sinn aneinander finden und die Gegenseitigkeit der Verhältnisse, in denen sie schweben, ihr Sein und Sosein aus- macht. Es gehört zu den Grundthatsachen der seelischen Welt, daſs wir Verhältnisse zwischen mehreren Elementen des Daseins in besonderen Gebilden verkörpern; diese sind freilich auch substanzielle Wesen für sich, aber ihre Bedeutung für uns haben sie nur als Sichtbarkeit eines Verhältnisses, das in loserer oder engerer Weise an sie gebunden ist. So ist der Ehering, aber auch jeder Brief, jedes Pfand, wie jede Beamtenuniform Symbol oder Träger einer sittlichen oder intellek- tuellen, einer juristischen oder politischen Beziehung zwischen Menschen, ja, jeder sakramentale Gegenstand das substanziierte Verhältnis zwischen dem Menschen und seinem Gott; die Telegraphendrähte, die die Länder verbinden, sind nicht weniger als die militärischen Waffen, die ihre Entzweiung ausdrücken, derartige Substanzen, die kaum eine Bedeutung für den Einzelmenschen als solchen, sondern einen Sinn nur in den Beziehungen zwischen Menschen und Menschengruppen haben, die in ihnen kristallisiert sind. Gewiſs kann die Vorstellung der Beziehung oder des Verhältnisses schon als eine Abstraktion gelten, insofern nur die Elemente real sind, deren wechselseitig bewirkte Zustände wir so zu Sonderbegriffen zusammenfassen; erst die meta- physische Vertiefung, die das Erkennen in seiner empirischen Richtung, aber über seine empirischen Grenzen hinaus verfolgt, mag auch diese Zweiheit aufheben, indem sie überhaupt keine substanziellen Elemente mehr bestehen läſst, sondern jedes derselben in Wechselwirkungen und Prozesse auflöst, deren Träger demselben Schicksal unterworfen werden. Das praktische Bewuſstsein aber hat die Form gefunden, um die Vorgänge der Beziehung oder der Wechselwirkung, in der die Wirklichkeit verläuft, mit der substanziellen Existenz zu vereinigen, in die die Praxis eben die abstrakte Beziehung als solche kleiden muſs. Jene Projizierung bloſser Verhältnisse auf Sondergebilde ist eine der groſsen Leistungen des Geistes, indem in ihr der Geist zwar verkörpert wird, aber nur um das Körperhafte zum Gefäſs des Geistigen zu machen und diesem damit eine vollere und lebendigere Wirksamkeit zu gewähren. Mit dem Gelde hat die Fähigkeit zu solchen Bildungen ihren höchsten Triumph gefeiert. Denn die reinste Wechselwirkung

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/109>, abgerufen am 27.11.2024.