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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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derabilien. Damit es aber diese Dienste leisten kann, die auf seiner
Stellung ausserhalb aller sonstigen Güter beruhen, ist es anfänglich,
und dadurch, dass es sie leistet, ist es schliesslich selbst ein konkreter
oder singulärer Wert. Hiermit steigt es in die Verkettungen und Be-
dingungen der Reihe hinab, der es doch zugleich gegenübersteht: es
wird von Angebot und Nachfrage in seinem Werte abhängig, seine
Produktionskosten üben einen (wenngleich minimalen) Einfluss auf
diesen aus, es tritt in verschiedenwertigen Qualitäten auf etc. Die
Verzinsung ist ein Ausdruck dieses Wertes, der ihm als Träger seiner
Funktionen zukommt. Oder von anderem Standpunkt her angesehen:
die Doppelrolle des Geldes ist, dass es einerseits die Wertverhältnisse
der austauschenden Waren untereinander misst, andererseits aber selbst
in den Austausch mit ihnen eintritt und so selbst eine zu messende
Grösse darstellt; und zwar misst es sich wiederum einerseits an den
Gütern, die seine Gegenwerte bilden, andererseits am Gelde selbst;
denn nicht nur wird das Geld selbst mit Geld bezahlt, was das reine
Geldgeschäft und die zinsbare Anleihe ausdrücken, sondern das Geld
des einen Landes wird, wie die Valutaverschiebungen zeigen, zum
Wertmesser für das Geld des anderen. Das Geld gehört also zu den-
jenigen normierenden Vorstellungen, die sich selbst unter die Norm
beugen, die sie selbst sind. Alle solche Fälle ergeben Verwicklungen
und Kreisbewegungen des Denkens: der Kreter, der alle Kreter als
Lügner bezeichnet und so unter sein eigenes Axiom gehörend seine
eigene Aussage Lügen straft; der Pessimist, der die ganze Welt schlecht
nennt, so dass seine eigene Theorie es auch sein muss; der Skeptiker,
der wegen der grundsätzlichen Leugnung aller Wahrheit auch die des
Skeptizismus selbst nicht aufrecht erhalten kann etc. So steht das
Geld als Massstab und Tauschmittel über den wertvollen Dingen und,
weil diese Dienste ursprünglich einen wertvollen Träger fordern und
dann ihrem Träger selbst einen Wert verleihen, reiht es sich zwischen
jene Dinge und unter die Normen ein, die von ihm selbst ausgehen.

Da nun das schliesslich Gewertete nicht das Geld, der blosse Wert-
ausdruck, sondern die Gegenstände sind, so bedeutet Preisänderung eine
Verschiebung ihrer Verhältnisse untereinander; das Geld selbst -- immer
nach dieser reinen Funktion seiner betrachtet -- hat sich nicht ver-
schoben, sondern sein Mehr oder Weniger ist jene Verschiebung selbst,
von ihren Trägern differenziert und zu selbständigem Ausdrucke ge-
formt. Diese Stellung des Geldes ist offenbar dasselbe, was, als innere
Qualität angesehen, seine Qualitätlosigkeit oder Unindividualität genannt
wird. Indem es zwischen den individuell bestimmten Dingen, in inhalt-
lich gleichem Verhältnis zu jedem derselben steht, muss es an sich

derabilien. Damit es aber diese Dienste leisten kann, die auf seiner
Stellung auſserhalb aller sonstigen Güter beruhen, ist es anfänglich,
und dadurch, daſs es sie leistet, ist es schlieſslich selbst ein konkreter
oder singulärer Wert. Hiermit steigt es in die Verkettungen und Be-
dingungen der Reihe hinab, der es doch zugleich gegenübersteht: es
wird von Angebot und Nachfrage in seinem Werte abhängig, seine
Produktionskosten üben einen (wenngleich minimalen) Einfluſs auf
diesen aus, es tritt in verschiedenwertigen Qualitäten auf etc. Die
Verzinsung ist ein Ausdruck dieses Wertes, der ihm als Träger seiner
Funktionen zukommt. Oder von anderem Standpunkt her angesehen:
die Doppelrolle des Geldes ist, daſs es einerseits die Wertverhältnisse
der austauschenden Waren untereinander miſst, andererseits aber selbst
in den Austausch mit ihnen eintritt und so selbst eine zu messende
Gröſse darstellt; und zwar miſst es sich wiederum einerseits an den
Gütern, die seine Gegenwerte bilden, andererseits am Gelde selbst;
denn nicht nur wird das Geld selbst mit Geld bezahlt, was das reine
Geldgeschäft und die zinsbare Anleihe ausdrücken, sondern das Geld
des einen Landes wird, wie die Valutaverschiebungen zeigen, zum
Wertmesser für das Geld des anderen. Das Geld gehört also zu den-
jenigen normierenden Vorstellungen, die sich selbst unter die Norm
beugen, die sie selbst sind. Alle solche Fälle ergeben Verwicklungen
und Kreisbewegungen des Denkens: der Kreter, der alle Kreter als
Lügner bezeichnet und so unter sein eigenes Axiom gehörend seine
eigene Aussage Lügen straft; der Pessimist, der die ganze Welt schlecht
nennt, so daſs seine eigene Theorie es auch sein muſs; der Skeptiker,
der wegen der grundsätzlichen Leugnung aller Wahrheit auch die des
Skeptizismus selbst nicht aufrecht erhalten kann etc. So steht das
Geld als Maſsstab und Tauschmittel über den wertvollen Dingen und,
weil diese Dienste ursprünglich einen wertvollen Träger fordern und
dann ihrem Träger selbst einen Wert verleihen, reiht es sich zwischen
jene Dinge und unter die Normen ein, die von ihm selbst ausgehen.

Da nun das schlieſslich Gewertete nicht das Geld, der bloſse Wert-
ausdruck, sondern die Gegenstände sind, so bedeutet Preisänderung eine
Verschiebung ihrer Verhältnisse untereinander; das Geld selbst — immer
nach dieser reinen Funktion seiner betrachtet — hat sich nicht ver-
schoben, sondern sein Mehr oder Weniger ist jene Verschiebung selbst,
von ihren Trägern differenziert und zu selbständigem Ausdrucke ge-
formt. Diese Stellung des Geldes ist offenbar dasselbe, was, als innere
Qualität angesehen, seine Qualitätlosigkeit oder Unindividualität genannt
wird. Indem es zwischen den individuell bestimmten Dingen, in inhalt-
lich gleichem Verhältnis zu jedem derselben steht, muſs es an sich

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[78/0102] derabilien. Damit es aber diese Dienste leisten kann, die auf seiner Stellung auſserhalb aller sonstigen Güter beruhen, ist es anfänglich, und dadurch, daſs es sie leistet, ist es schlieſslich selbst ein konkreter oder singulärer Wert. Hiermit steigt es in die Verkettungen und Be- dingungen der Reihe hinab, der es doch zugleich gegenübersteht: es wird von Angebot und Nachfrage in seinem Werte abhängig, seine Produktionskosten üben einen (wenngleich minimalen) Einfluſs auf diesen aus, es tritt in verschiedenwertigen Qualitäten auf etc. Die Verzinsung ist ein Ausdruck dieses Wertes, der ihm als Träger seiner Funktionen zukommt. Oder von anderem Standpunkt her angesehen: die Doppelrolle des Geldes ist, daſs es einerseits die Wertverhältnisse der austauschenden Waren untereinander miſst, andererseits aber selbst in den Austausch mit ihnen eintritt und so selbst eine zu messende Gröſse darstellt; und zwar miſst es sich wiederum einerseits an den Gütern, die seine Gegenwerte bilden, andererseits am Gelde selbst; denn nicht nur wird das Geld selbst mit Geld bezahlt, was das reine Geldgeschäft und die zinsbare Anleihe ausdrücken, sondern das Geld des einen Landes wird, wie die Valutaverschiebungen zeigen, zum Wertmesser für das Geld des anderen. Das Geld gehört also zu den- jenigen normierenden Vorstellungen, die sich selbst unter die Norm beugen, die sie selbst sind. Alle solche Fälle ergeben Verwicklungen und Kreisbewegungen des Denkens: der Kreter, der alle Kreter als Lügner bezeichnet und so unter sein eigenes Axiom gehörend seine eigene Aussage Lügen straft; der Pessimist, der die ganze Welt schlecht nennt, so daſs seine eigene Theorie es auch sein muſs; der Skeptiker, der wegen der grundsätzlichen Leugnung aller Wahrheit auch die des Skeptizismus selbst nicht aufrecht erhalten kann etc. So steht das Geld als Maſsstab und Tauschmittel über den wertvollen Dingen und, weil diese Dienste ursprünglich einen wertvollen Träger fordern und dann ihrem Träger selbst einen Wert verleihen, reiht es sich zwischen jene Dinge und unter die Normen ein, die von ihm selbst ausgehen. Da nun das schlieſslich Gewertete nicht das Geld, der bloſse Wert- ausdruck, sondern die Gegenstände sind, so bedeutet Preisänderung eine Verschiebung ihrer Verhältnisse untereinander; das Geld selbst — immer nach dieser reinen Funktion seiner betrachtet — hat sich nicht ver- schoben, sondern sein Mehr oder Weniger ist jene Verschiebung selbst, von ihren Trägern differenziert und zu selbständigem Ausdrucke ge- formt. Diese Stellung des Geldes ist offenbar dasselbe, was, als innere Qualität angesehen, seine Qualitätlosigkeit oder Unindividualität genannt wird. Indem es zwischen den individuell bestimmten Dingen, in inhalt- lich gleichem Verhältnis zu jedem derselben steht, muſs es an sich

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/102>, abgerufen am 25.04.2024.