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Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890.

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folgender Wendung darstellen. Solange das wirtschaftliche
oder sonstige Produzieren innerhalb eines engeren Kreises
vorgeht, so dass dem Schaffenden sein Publikum mehr oder
weniger bekannt ist, wird die unvermeidliche psychologische
Association zwischen der Arbeit und den Personen, für die
sie bestimmt ist, oft zweierlei verhindern: einerseits das rege
Interesse an der Sache selbst und ihrer objektiven Vollkommen-
heit, gleichgiltig dagegen, welchen zufälligen und subjektiv
bestimmten Bedürfnissen sie gerade dienen wird, andererseits
aber auch den reinen Egoismus, dem nur an dem Preise seiner
Arbeit liegt, aber gar nicht daran, von wem er gezahlt wird.
Beides aber wird durch die Vergrösserung des Kreises, an
den die Arbeit sich wendet, begünstigt. Wie im Theoreti-
schen dasjenige als objektive Wahrheit erscheint, was Wahr-
heit für die Gattung ist, wovon sich die Gattung, von vorüber-
gehenden psychologischen Hindernissen abgesehen, muss über-
zeugen lassen: so erscheinen uns Ideale und Interessen in
demselben Masse objektiv, als sie einem grössten Interessenten-
kreise gelten; alles Subjektive, Einseitige, wird aus ihnen da-
durch herausgeläutert, dass sie sich an eine möglichst grosse
Anzahl von Subjekten wenden, in der der Einzelne als solcher
verschwindet und die das Bewusstsein an die Sache zurück-
weist. Ich halte es nicht für zu kühn, wenn ich das soge-
nannte sachliche, unpersönliche, ideale Interesse ausdeute als
entstanden aus einem Maximum in ihm zusammenströmender
Interessen; dadurch erhält es seinen verklärten, scheinbar
über allem Persönlichen stehenden Charakter. Deshalb lässt
es sich auch nachweisen, dass diejenigen Bethätigungen, die
am häufigsten und gründlichsten die selbstlose Vertiefung in
die Aufgabe, die reine Hingebung für die Sache aufweisen,
also die wissenschaftlichen, künstlerischen, die grossen sitt-
lichen und praktischen Probleme, sich ihren Wirkungen nach
immer an das weiteste Publikum wenden. Wenn man z. B.
sagt, dass die Wissenschaft nicht um ihrer Nützlichkeit oder
überhaupt nur um irgendwelcher "Zwecke", sondern um ihrer
selbst willen betrieben werden müsse, so kann dies nur ein
ungenauer Ausdruck sein, weil ein Handeln, dessen Erfolg
nicht von Menschen als nützlich und förderlich empfunden
würde, nicht ideal, sondern sinnlos wäre; die Bedeutung davon
kann nur jene psychologische Verdichtung und gegenseitige
Paralysierung unzähliger Einzelinteressen sein, im Gegensatz
gegen welche die Verfolgung der im Einzelnen erkannten
und bewussten Interessen eines engeren Kreises als Nützlich-
keit oder Zweckmässigkeit kat exokhen erscheint. Wir sehen
hier also, wie die Beziehung zum allergrössten Kreise zwar
auch über den individuellen Egoismus hinaustragen kann,
aber doch das Bewusstsein eigentlicher socialer Zweckmässig-
keit aufhebt, das vielmehr den Bethätigungen für eine kleinere

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folgender Wendung darstellen. Solange das wirtschaftliche
oder sonstige Produzieren innerhalb eines engeren Kreises
vorgeht, so daſs dem Schaffenden sein Publikum mehr oder
weniger bekannt ist, wird die unvermeidliche psychologische
Association zwischen der Arbeit und den Personen, für die
sie bestimmt ist, oft zweierlei verhindern: einerseits das rege
Interesse an der Sache selbst und ihrer objektiven Vollkommen-
heit, gleichgiltig dagegen, welchen zufälligen und subjektiv
bestimmten Bedürfnissen sie gerade dienen wird, andererseits
aber auch den reinen Egoismus, dem nur an dem Preise seiner
Arbeit liegt, aber gar nicht daran, von wem er gezahlt wird.
Beides aber wird durch die Vergröſserung des Kreises, an
den die Arbeit sich wendet, begünstigt. Wie im Theoreti-
schen dasjenige als objektive Wahrheit erscheint, was Wahr-
heit für die Gattung ist, wovon sich die Gattung, von vorüber-
gehenden psychologischen Hindernissen abgesehen, muſs über-
zeugen lassen: so erscheinen uns Ideale und Interessen in
demselben Maſse objektiv, als sie einem gröſsten Interessenten-
kreise gelten; alles Subjektive, Einseitige, wird aus ihnen da-
durch herausgeläutert, daſs sie sich an eine möglichst groſse
Anzahl von Subjekten wenden, in der der Einzelne als solcher
verschwindet und die das Bewuſstsein an die Sache zurück-
weist. Ich halte es nicht für zu kühn, wenn ich das soge-
nannte sachliche, unpersönliche, ideale Interesse ausdeute als
entstanden aus einem Maximum in ihm zusammenströmender
Interessen; dadurch erhält es seinen verklärten, scheinbar
über allem Persönlichen stehenden Charakter. Deshalb läſst
es sich auch nachweisen, daſs diejenigen Bethätigungen, die
am häufigsten und gründlichsten die selbstlose Vertiefung in
die Aufgabe, die reine Hingebung für die Sache aufweisen,
also die wissenschaftlichen, künstlerischen, die groſsen sitt-
lichen und praktischen Probleme, sich ihren Wirkungen nach
immer an das weiteste Publikum wenden. Wenn man z. B.
sagt, daſs die Wissenschaft nicht um ihrer Nützlichkeit oder
überhaupt nur um irgendwelcher „Zwecke“, sondern um ihrer
selbst willen betrieben werden müsse, so kann dies nur ein
ungenauer Ausdruck sein, weil ein Handeln, dessen Erfolg
nicht von Menschen als nützlich und förderlich empfunden
würde, nicht ideal, sondern sinnlos wäre; die Bedeutung davon
kann nur jene psychologische Verdichtung und gegenseitige
Paralysierung unzähliger Einzelinteressen sein, im Gegensatz
gegen welche die Verfolgung der im Einzelnen erkannten
und bewuſsten Interessen eines engeren Kreises als Nützlich-
keit oder Zweckmäſsigkeit κατ̕ ἐξοχήν erscheint. Wir sehen
hier also, wie die Beziehung zum allergröſsten Kreise zwar
auch über den individuellen Egoismus hinaustragen kann,
aber doch das Bewuſstsein eigentlicher socialer Zweckmäſsig-
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[58/0072] X 1. folgender Wendung darstellen. Solange das wirtschaftliche oder sonstige Produzieren innerhalb eines engeren Kreises vorgeht, so daſs dem Schaffenden sein Publikum mehr oder weniger bekannt ist, wird die unvermeidliche psychologische Association zwischen der Arbeit und den Personen, für die sie bestimmt ist, oft zweierlei verhindern: einerseits das rege Interesse an der Sache selbst und ihrer objektiven Vollkommen- heit, gleichgiltig dagegen, welchen zufälligen und subjektiv bestimmten Bedürfnissen sie gerade dienen wird, andererseits aber auch den reinen Egoismus, dem nur an dem Preise seiner Arbeit liegt, aber gar nicht daran, von wem er gezahlt wird. Beides aber wird durch die Vergröſserung des Kreises, an den die Arbeit sich wendet, begünstigt. Wie im Theoreti- schen dasjenige als objektive Wahrheit erscheint, was Wahr- heit für die Gattung ist, wovon sich die Gattung, von vorüber- gehenden psychologischen Hindernissen abgesehen, muſs über- zeugen lassen: so erscheinen uns Ideale und Interessen in demselben Maſse objektiv, als sie einem gröſsten Interessenten- kreise gelten; alles Subjektive, Einseitige, wird aus ihnen da- durch herausgeläutert, daſs sie sich an eine möglichst groſse Anzahl von Subjekten wenden, in der der Einzelne als solcher verschwindet und die das Bewuſstsein an die Sache zurück- weist. Ich halte es nicht für zu kühn, wenn ich das soge- nannte sachliche, unpersönliche, ideale Interesse ausdeute als entstanden aus einem Maximum in ihm zusammenströmender Interessen; dadurch erhält es seinen verklärten, scheinbar über allem Persönlichen stehenden Charakter. Deshalb läſst es sich auch nachweisen, daſs diejenigen Bethätigungen, die am häufigsten und gründlichsten die selbstlose Vertiefung in die Aufgabe, die reine Hingebung für die Sache aufweisen, also die wissenschaftlichen, künstlerischen, die groſsen sitt- lichen und praktischen Probleme, sich ihren Wirkungen nach immer an das weiteste Publikum wenden. Wenn man z. B. sagt, daſs die Wissenschaft nicht um ihrer Nützlichkeit oder überhaupt nur um irgendwelcher „Zwecke“, sondern um ihrer selbst willen betrieben werden müsse, so kann dies nur ein ungenauer Ausdruck sein, weil ein Handeln, dessen Erfolg nicht von Menschen als nützlich und förderlich empfunden würde, nicht ideal, sondern sinnlos wäre; die Bedeutung davon kann nur jene psychologische Verdichtung und gegenseitige Paralysierung unzähliger Einzelinteressen sein, im Gegensatz gegen welche die Verfolgung der im Einzelnen erkannten und bewuſsten Interessen eines engeren Kreises als Nützlich- keit oder Zweckmäſsigkeit κατ̕ ἐξοχήν erscheint. Wir sehen hier also, wie die Beziehung zum allergröſsten Kreise zwar auch über den individuellen Egoismus hinaustragen kann, aber doch das Bewuſstsein eigentlicher socialer Zweckmäſsig- keit aufhebt, das vielmehr den Bethätigungen für eine kleinere

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_differenzierung_1890/72>, abgerufen am 25.11.2024.