Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890.X 1. sondern im Sinne der Trägheit. So ist es, um auf theoreti-schem Gebiete zu bleiben, keineswegs immer eine Stärke des Denkens, welche zu so hohen und allgemeinen Abstraktionen aufsteigt, wie es z. B. die indische Brahmaidee ist, vielmehr oft eine Schlaffheit und Widerstandslosigkeit, die vor der scharfkantigen, grellen Wirklichkeit der Dinge flieht, nicht imstande, mit den Räthseln der Individualität fertig zu werden, und nun immer höher und höher getrieben wird bis zu der metaphysischen Idee des All-Einen, bei der überhaupt jedes bestimmte Denken aufhört. Statt in den dunklen Bergwerks- schacht der Einzelheiten der Welt hinabzusteigen, aus dem allein sich das Gold wahrer und gerechter Erkenntnis heraus- holen lässt, überspringt eine bequemere, kraftlosere Denkart einfach die Gegensätze des Seins, die sie vielmehr zu ver- einigen streben sollte, und badet sich im Aether des all-einen und all-guten Prinzips. Wo nun aber, wie in den vorher an- geführten Fällen, der auf Grund von Differenzierung sich er- hebende Monismus mehr Kraft verbraucht, als die pluralistische Denkart, ist dies doch mehr vorübergehend als definitiv. Denn die auf diese Weise erreichten Resultate sind dafür um so reicher, sodass im Verhältnis zu diesen doch ein geringerer Kraftverbrauch stattfindet -- ungefähr wie eine Lokomotive sehr viel mehr Kraft verbraucht, als eine Postkutsche, allein im Verhältnis zu den erreichten Wirkungen sehr viel weniger. So macht ein grosser, einheitlich verwalteter Staat eine grosse und bis ins Kleinste arbeitsteilig gegliederte Beamtenschaft nötig, richtet aber mit diesem bedeutenden, durch seine Ein- heitlichkeit und seine Differenzierung erforderlichen Kraft- aufwand doch auch relativ viel mehr aus, als wenn eben das- selbe Gebiet in lauter kleine staatliche Einheiten zerfiele, deren jede freilich in sich keiner hohen Differenzierung des Verwaltungskörpers bedarf. Schwieriger liegt die Frage nach der Kraftersparnis bei X 1. sondern im Sinne der Trägheit. So ist es, um auf theoreti-schem Gebiete zu bleiben, keineswegs immer eine Stärke des Denkens, welche zu so hohen und allgemeinen Abstraktionen aufsteigt, wie es z. B. die indische Brahmaidee ist, vielmehr oft eine Schlaffheit und Widerstandslosigkeit, die vor der scharfkantigen, grellen Wirklichkeit der Dinge flieht, nicht imstande, mit den Räthseln der Individualität fertig zu werden, und nun immer höher und höher getrieben wird bis zu der metaphysischen Idee des All-Einen, bei der überhaupt jedes bestimmte Denken aufhört. Statt in den dunklen Bergwerks- schacht der Einzelheiten der Welt hinabzusteigen, aus dem allein sich das Gold wahrer und gerechter Erkenntnis heraus- holen läſst, überspringt eine bequemere, kraftlosere Denkart einfach die Gegensätze des Seins, die sie vielmehr zu ver- einigen streben sollte, und badet sich im Aether des all-einen und all-guten Prinzips. Wo nun aber, wie in den vorher an- geführten Fällen, der auf Grund von Differenzierung sich er- hebende Monismus mehr Kraft verbraucht, als die pluralistische Denkart, ist dies doch mehr vorübergehend als definitiv. Denn die auf diese Weise erreichten Resultate sind dafür um so reicher, sodaſs im Verhältnis zu diesen doch ein geringerer Kraftverbrauch stattfindet — ungefähr wie eine Lokomotive sehr viel mehr Kraft verbraucht, als eine Postkutsche, allein im Verhältnis zu den erreichten Wirkungen sehr viel weniger. So macht ein groſser, einheitlich verwalteter Staat eine groſse und bis ins Kleinste arbeitsteilig gegliederte Beamtenschaft nötig, richtet aber mit diesem bedeutenden, durch seine Ein- heitlichkeit und seine Differenzierung erforderlichen Kraft- aufwand doch auch relativ viel mehr aus, als wenn eben das- selbe Gebiet in lauter kleine staatliche Einheiten zerfiele, deren jede freilich in sich keiner hohen Differenzierung des Verwaltungskörpers bedarf. 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X 1.
sondern im Sinne der Trägheit. So ist es, um auf theoreti-
schem Gebiete zu bleiben, keineswegs immer eine Stärke des
Denkens, welche zu so hohen und allgemeinen Abstraktionen
aufsteigt, wie es z. B. die indische Brahmaidee ist, vielmehr
oft eine Schlaffheit und Widerstandslosigkeit, die vor der
scharfkantigen, grellen Wirklichkeit der Dinge flieht, nicht
imstande, mit den Räthseln der Individualität fertig zu werden,
und nun immer höher und höher getrieben wird bis zu der
metaphysischen Idee des All-Einen, bei der überhaupt jedes
bestimmte Denken aufhört. Statt in den dunklen Bergwerks-
schacht der Einzelheiten der Welt hinabzusteigen, aus dem
allein sich das Gold wahrer und gerechter Erkenntnis heraus-
holen läſst, überspringt eine bequemere, kraftlosere Denkart
einfach die Gegensätze des Seins, die sie vielmehr zu ver-
einigen streben sollte, und badet sich im Aether des all-einen
und all-guten Prinzips. Wo nun aber, wie in den vorher an-
geführten Fällen, der auf Grund von Differenzierung sich er-
hebende Monismus mehr Kraft verbraucht, als die pluralistische
Denkart, ist dies doch mehr vorübergehend als definitiv. Denn
die auf diese Weise erreichten Resultate sind dafür um so
reicher, sodaſs im Verhältnis zu diesen doch ein geringerer
Kraftverbrauch stattfindet — ungefähr wie eine Lokomotive
sehr viel mehr Kraft verbraucht, als eine Postkutsche, allein
im Verhältnis zu den erreichten Wirkungen sehr viel weniger.
So macht ein groſser, einheitlich verwalteter Staat eine groſse
und bis ins Kleinste arbeitsteilig gegliederte Beamtenschaft
nötig, richtet aber mit diesem bedeutenden, durch seine Ein-
heitlichkeit und seine Differenzierung erforderlichen Kraft-
aufwand doch auch relativ viel mehr aus, als wenn eben das-
selbe Gebiet in lauter kleine staatliche Einheiten zerfiele,
deren jede freilich in sich keiner hohen Differenzierung des
Verwaltungskörpers bedarf.
Schwieriger liegt die Frage nach der Kraftersparnis bei
jener Differenzierung, die ein Auseinandergehen in feindliche
Gegensätze enthält, also z. B. in dem früher erwähnten Falle,
daſs eine ursprünglich einheitliche Körperschaft mannigfach
entgegengesetzte Parteien in sich ausbildet. Man kann dies
als Arbeitsteilung betrachten; denn die Tendenzen, aus denen
die Parteibildungen hervorgehen, sind Triebe der mensch-
lichen Natur überhaupt, die sich in irgendeinem, wie auch
immer verschiedenen Maſse in jedem Einzelnen finden, und
man kann sich vorstellen, daſs die verschiedenartigen Momente,
die früher im Kopfe jedes Einzelnen Abwägung und relative
Ausgleichung fanden, nun auf verschiedene Persönlichkeiten
übertragen und von jedem in specialisierter Weise gepflegt
werden, während die Ausgleichung erst im Zusammen Aller
stattfindet. Die Partei, die als solche nur die Verkörperung
eines einseitigen Gedankens darstellt, unterdrückt in dem ihr
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