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Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890.

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X 1.
Gründe wie den rationalen Zweck der geschlechtlichen Ver-
einigung stets von neuem berücksichtigenden Erneuerung der
Auswahl steht die unverbrüchliche Dauer der ehelichen Ver-
bindung, ihre Fortsetzung über das völlige Erlöschen der
einstmals für sie bestimmenden Gründe hinaus -- auch dann,
wenn dieses Erlöschen nur das vorliegende Verhältnis trifft,
während eine Vermischung jedes Teils mit irgendeinem an-
dern noch durchaus rational wäre, -- als ein gewissermassen
äusserliches und mechanisches Verfahren gegenüber. Wie die
Erblichkeit des Prinzipats statt der Erlangung desselben auf
Grund persönlicher Eigenschaften einen schematischen Cha-
rakter trägt, gerade so bannt die lebenslängliche Ehe die ganze
Zukunft eines Paares in das Schema eines Verhältnisses, das,
für einen gegebenen Zeitpunkt zwar der adäquate Ausdruck
seiner innerlichen Beziehungen, dennoch die Möglichkeit einer
Variierung abschneidet, die die Gesamtheit im Interesse einer
tüchtigeren Nachkommenschaft scheint wünschen zu sollen,
wie sie dies in dem volkstümlichen Glauben ausdrückt, dass
uneheliche Kinder die tüchtigeren und begabteren seien. Wie
aber in jenem Falle die Stabilität durch ihre sekundären
Folgen alle Vorteile einer aus sachlichen Momenten erfolgenden
Bestimmung weit überholt, so schafft auch der äusserlich
fixierte Übergang, gleichsam die Vererbung der Form einer
Lebensepoche auf die andere, für das Verhältnis der Ge-
schlechter einen Segen, der keiner Auseinandersetzung bedarf
und für die Gattung allen Vorteil übertrifft, der aus der fort-
gesetzten Differenzierung eingegangener Verbindungen ge-
zogen werden könnte. Hier würde also die Zusammenfügung
des eigentlich Zusammengehörigen aus früherem heterogenem
Zusammenschluss nicht kulturfördernd wirken.



X 1.
Gründe wie den rationalen Zweck der geschlechtlichen Ver-
einigung stets von neuem berücksichtigenden Erneuerung der
Auswahl steht die unverbrüchliche Dauer der ehelichen Ver-
bindung, ihre Fortsetzung über das völlige Erlöschen der
einstmals für sie bestimmenden Gründe hinaus — auch dann,
wenn dieses Erlöschen nur das vorliegende Verhältnis trifft,
während eine Vermischung jedes Teils mit irgendeinem an-
dern noch durchaus rational wäre, — als ein gewissermaſsen
äuſserliches und mechanisches Verfahren gegenüber. Wie die
Erblichkeit des Prinzipats statt der Erlangung desselben auf
Grund persönlicher Eigenschaften einen schematischen Cha-
rakter trägt, gerade so bannt die lebenslängliche Ehe die ganze
Zukunft eines Paares in das Schema eines Verhältnisses, das,
für einen gegebenen Zeitpunkt zwar der adäquate Ausdruck
seiner innerlichen Beziehungen, dennoch die Möglichkeit einer
Variierung abschneidet, die die Gesamtheit im Interesse einer
tüchtigeren Nachkommenschaft scheint wünschen zu sollen,
wie sie dies in dem volkstümlichen Glauben ausdrückt, daſs
uneheliche Kinder die tüchtigeren und begabteren seien. Wie
aber in jenem Falle die Stabilität durch ihre sekundären
Folgen alle Vorteile einer aus sachlichen Momenten erfolgenden
Bestimmung weit überholt, so schafft auch der äuſserlich
fixierte Übergang, gleichsam die Vererbung der Form einer
Lebensepoche auf die andere, für das Verhältnis der Ge-
schlechter einen Segen, der keiner Auseinandersetzung bedarf
und für die Gattung allen Vorteil übertrifft, der aus der fort-
gesetzten Differenzierung eingegangener Verbindungen ge-
zogen werden könnte. Hier würde also die Zusammenfügung
des eigentlich Zusammengehörigen aus früherem heterogenem
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[116/0130] X 1. Gründe wie den rationalen Zweck der geschlechtlichen Ver- einigung stets von neuem berücksichtigenden Erneuerung der Auswahl steht die unverbrüchliche Dauer der ehelichen Ver- bindung, ihre Fortsetzung über das völlige Erlöschen der einstmals für sie bestimmenden Gründe hinaus — auch dann, wenn dieses Erlöschen nur das vorliegende Verhältnis trifft, während eine Vermischung jedes Teils mit irgendeinem an- dern noch durchaus rational wäre, — als ein gewissermaſsen äuſserliches und mechanisches Verfahren gegenüber. Wie die Erblichkeit des Prinzipats statt der Erlangung desselben auf Grund persönlicher Eigenschaften einen schematischen Cha- rakter trägt, gerade so bannt die lebenslängliche Ehe die ganze Zukunft eines Paares in das Schema eines Verhältnisses, das, für einen gegebenen Zeitpunkt zwar der adäquate Ausdruck seiner innerlichen Beziehungen, dennoch die Möglichkeit einer Variierung abschneidet, die die Gesamtheit im Interesse einer tüchtigeren Nachkommenschaft scheint wünschen zu sollen, wie sie dies in dem volkstümlichen Glauben ausdrückt, daſs uneheliche Kinder die tüchtigeren und begabteren seien. Wie aber in jenem Falle die Stabilität durch ihre sekundären Folgen alle Vorteile einer aus sachlichen Momenten erfolgenden Bestimmung weit überholt, so schafft auch der äuſserlich fixierte Übergang, gleichsam die Vererbung der Form einer Lebensepoche auf die andere, für das Verhältnis der Ge- schlechter einen Segen, der keiner Auseinandersetzung bedarf und für die Gattung allen Vorteil übertrifft, der aus der fort- gesetzten Differenzierung eingegangener Verbindungen ge- zogen werden könnte. Hier würde also die Zusammenfügung des eigentlich Zusammengehörigen aus früherem heterogenem Zusammenschluſs nicht kulturfördernd wirken.

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_differenzierung_1890/130>, abgerufen am 24.11.2024.