Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890.X 1. einer gewissen Ausdehnung nämlich gestattet sie wieder, dassje nach der Verschiedenheit der persönlichen Anlagen der eine mehr von dem einen Teil, von der einen Beziehung des Kollektivbesitzes beeinflusst wird, der andere von der anderen; es kann darum noch immer ein gemeinsamer Besitz sein; aber während seine Grösse relativ zum individuellen Besitz der Teilhaber in geradem Verhältnis zu seiner verähnlichenden Wirkung steht, giebt sie, absolut betrachtet, mit ihrem eignen Wachstum auch wachsende Möglichkeit ungleicher Wir- kungen. Deshalb findet man jenes allmähliche Gleichwerden besonders an Ehepaaren in ruhigen und einfachen Verhält- nissen, und wenn man es besonders an kinderlosen Ehepaaren bemerken wollte, so ist das ganz in diesem Sinne; denn so sehr jenes gemeinsame Niveau gerade durch den Besitz von Kindern vergrössert wird, so erlebt es doch dadurch eine Mannichfaltigkeit und Differenzierung, die die Gleichheit seiner Wirkungen auf die Individuen fraglich macht. Eine andere Kombination zwischen den beiden Bedeu- X 1. einer gewissen Ausdehnung nämlich gestattet sie wieder, daſsje nach der Verschiedenheit der persönlichen Anlagen der eine mehr von dem einen Teil, von der einen Beziehung des Kollektivbesitzes beeinfluſst wird, der andere von der anderen; es kann darum noch immer ein gemeinsamer Besitz sein; aber während seine Gröſse relativ zum individuellen Besitz der Teilhaber in geradem Verhältnis zu seiner verähnlichenden Wirkung steht, giebt sie, absolut betrachtet, mit ihrem eignen Wachstum auch wachsende Möglichkeit ungleicher Wir- kungen. Deshalb findet man jenes allmähliche Gleichwerden besonders an Ehepaaren in ruhigen und einfachen Verhält- nissen, und wenn man es besonders an kinderlosen Ehepaaren bemerken wollte, so ist das ganz in diesem Sinne; denn so sehr jenes gemeinsame Niveau gerade durch den Besitz von Kindern vergröſsert wird, so erlebt es doch dadurch eine Mannichfaltigkeit und Differenzierung, die die Gleichheit seiner Wirkungen auf die Individuen fraglich macht. Eine andere Kombination zwischen den beiden Bedeu- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0108" n="94"/><fw place="top" type="header">X 1.</fw><lb/> einer gewissen Ausdehnung nämlich gestattet sie wieder, daſs<lb/> je nach der Verschiedenheit der persönlichen Anlagen der eine<lb/> mehr von dem einen Teil, von der einen Beziehung des<lb/> Kollektivbesitzes beeinfluſst wird, der andere von der anderen;<lb/> es kann darum noch immer ein gemeinsamer Besitz sein; aber<lb/> während seine Gröſse relativ zum individuellen Besitz der<lb/> Teilhaber in geradem Verhältnis zu seiner verähnlichenden<lb/> Wirkung steht, giebt sie, absolut betrachtet, mit ihrem eignen<lb/> Wachstum auch wachsende Möglichkeit ungleicher Wir-<lb/> kungen. Deshalb findet man jenes allmähliche Gleichwerden<lb/> besonders an Ehepaaren in ruhigen und einfachen Verhält-<lb/> nissen, und wenn man es besonders an kinderlosen Ehepaaren<lb/> bemerken wollte, so ist das ganz in diesem Sinne; denn so<lb/> sehr jenes gemeinsame Niveau gerade durch den Besitz von<lb/> Kindern vergröſsert wird, so erlebt es doch dadurch eine<lb/> Mannichfaltigkeit und Differenzierung, die die Gleichheit seiner<lb/> Wirkungen auf die Individuen fraglich macht.</p><lb/> <p>Eine andere Kombination zwischen den beiden Bedeu-<lb/> tungen des socialen Niveaus und der Differenzierung zeigt<lb/> sich auf wirtschaftlichem Gebiet. Das vielfache Angebot der<lb/> gleichen Leistung bei beschränkter Nachfrage erzeugt die Kon-<lb/> kurrenz, welche in viel weiterem Umfange, als man es sich<lb/> gewöhnlich klar macht, schon unmittelbar Differenzierung ist.<lb/> Denn wenn auch die angebotene Ware die genau gleiche<lb/> ist, so muſs doch jeder versuchen, sich wenigstens in der Art<lb/> des Angebots von dem andern zu unterscheiden, weil der<lb/> Konsument sich sonst in der Buridanischen Lage befinden<lb/> würde. In der Formung oder wenigstens im Arrangement<lb/> der Ware, in der Anpreisung oder wenigstens in der Miene,<lb/> mit der man die Leistung anpreist, muſs jeder sich von jedem<lb/> zu unterscheiden suchen. Je gleichartiger das Angebot dem<lb/> Inhalt nach ist, desto gröſsere Verschiedenheiten werden die<lb/> Anbietenden in den persönlichen Seiten desselben ausbilden,<lb/> wozu noch beiträgt, daſs die unmittelbare Konkurrenz gegen-<lb/> seitig antagonistische Gesinnungen hervorruft, die die Persön-<lb/> lichkeiten auch ihrem Denken und Fühlen nach von einander<lb/> entfernen. Die persönlichen Gemeinsamkeiten, die in der<lb/> Gleichheit der Beschäftigung und in der des Absatzkreises<lb/> liegen, erzeugen eine um so schärfere Differenzierung nach<lb/> anderen Seiten der Persönlichkeit hin. Jene Gleichheit aber<lb/> drängt doch wieder zur Schaffung eines socialen Niveaus in<lb/> dem anderen Sinne, insofern der Beruf oder Geschäftszweig<lb/> als Ganzes gewisse Interessen hat, zu deren Wahrnehmung<lb/> sich alle Beteiligten zusammenschlieſsen müssen, sei es in<lb/> Kartellen, die die Konkurrenz zeitweilig beschränken oder auf-<lb/> heben, sei es in Vereinigungen, die sich auf auſserhalb der<lb/> Konkurrenz liegende Zwecke beziehen, wie Repräsentation,<lb/> Rechtsschutz, Entscheidung in Ehrensachen, Verhalten gegen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [94/0108]
X 1.
einer gewissen Ausdehnung nämlich gestattet sie wieder, daſs
je nach der Verschiedenheit der persönlichen Anlagen der eine
mehr von dem einen Teil, von der einen Beziehung des
Kollektivbesitzes beeinfluſst wird, der andere von der anderen;
es kann darum noch immer ein gemeinsamer Besitz sein; aber
während seine Gröſse relativ zum individuellen Besitz der
Teilhaber in geradem Verhältnis zu seiner verähnlichenden
Wirkung steht, giebt sie, absolut betrachtet, mit ihrem eignen
Wachstum auch wachsende Möglichkeit ungleicher Wir-
kungen. Deshalb findet man jenes allmähliche Gleichwerden
besonders an Ehepaaren in ruhigen und einfachen Verhält-
nissen, und wenn man es besonders an kinderlosen Ehepaaren
bemerken wollte, so ist das ganz in diesem Sinne; denn so
sehr jenes gemeinsame Niveau gerade durch den Besitz von
Kindern vergröſsert wird, so erlebt es doch dadurch eine
Mannichfaltigkeit und Differenzierung, die die Gleichheit seiner
Wirkungen auf die Individuen fraglich macht.
Eine andere Kombination zwischen den beiden Bedeu-
tungen des socialen Niveaus und der Differenzierung zeigt
sich auf wirtschaftlichem Gebiet. Das vielfache Angebot der
gleichen Leistung bei beschränkter Nachfrage erzeugt die Kon-
kurrenz, welche in viel weiterem Umfange, als man es sich
gewöhnlich klar macht, schon unmittelbar Differenzierung ist.
Denn wenn auch die angebotene Ware die genau gleiche
ist, so muſs doch jeder versuchen, sich wenigstens in der Art
des Angebots von dem andern zu unterscheiden, weil der
Konsument sich sonst in der Buridanischen Lage befinden
würde. In der Formung oder wenigstens im Arrangement
der Ware, in der Anpreisung oder wenigstens in der Miene,
mit der man die Leistung anpreist, muſs jeder sich von jedem
zu unterscheiden suchen. Je gleichartiger das Angebot dem
Inhalt nach ist, desto gröſsere Verschiedenheiten werden die
Anbietenden in den persönlichen Seiten desselben ausbilden,
wozu noch beiträgt, daſs die unmittelbare Konkurrenz gegen-
seitig antagonistische Gesinnungen hervorruft, die die Persön-
lichkeiten auch ihrem Denken und Fühlen nach von einander
entfernen. Die persönlichen Gemeinsamkeiten, die in der
Gleichheit der Beschäftigung und in der des Absatzkreises
liegen, erzeugen eine um so schärfere Differenzierung nach
anderen Seiten der Persönlichkeit hin. Jene Gleichheit aber
drängt doch wieder zur Schaffung eines socialen Niveaus in
dem anderen Sinne, insofern der Beruf oder Geschäftszweig
als Ganzes gewisse Interessen hat, zu deren Wahrnehmung
sich alle Beteiligten zusammenschlieſsen müssen, sei es in
Kartellen, die die Konkurrenz zeitweilig beschränken oder auf-
heben, sei es in Vereinigungen, die sich auf auſserhalb der
Konkurrenz liegende Zwecke beziehen, wie Repräsentation,
Rechtsschutz, Entscheidung in Ehrensachen, Verhalten gegen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |