Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
Sievers Briefe

Der bey den Mongolen und Buräten übliche Milch-
brantwein gehört, nach meiner und Andrer Meynung,
vielmehr unter die gesunden Getränke, obgleich er wohl
nicht unter die wohlschmeckenden gerechnet werden kann.
Dank sey es indessen meinem Freunde Lowitz, der die
Dephlogistikation der angebrannten spirituösen, übel-
schmeckenden Getränke durch Kohlen erfand; denn durch
dieses Mittel, wenn man auf eine Quantität Kohlen et-
wan einen Eimer Milchbrantwein giesset, dieses Ge-
misch, mit Zusatz von Kümmelsaamen, Zitronen, Zim-
met oder Pomeranzen einige Wochen unter öfterm Um-
rühren stehen läßt und hernach rectificirt, so erhält man
ein Getränk, dessen Ursprung auch der beste Brantwein-
trinker nicht errathen würde. Wird aber der gemeine
einmal abgezogne Milchbrantwein an einen warmen Ort
zum Fortsäuern hingestellt, so wird ein starker Essig dar-
aus; so wie dessen Erzeugung aus Molken in Pallas
Reise III. Theil S.
618 erwähnet worden ist. Die
Mongolen, Kalmücken, Buräten, Jakuten, Tungusen
und Kirgisen, machen diesen Milchbrantwein theils aus
Kuh- und Stutenmilch zugleich, da die Kuhmilch für
sich allein zur geistigen Gährung ungeschickt ist, oder aber
aus bloaeer Stutenmilch. Der Geschmack ist in beiden
Fällen fast gleich. Wenn sie eine Quantität dieser Milch
in ledernen oder hölzernen hohen Gesäßen gesammlet ha-
ben, so lassen sie selbige, unter beständigem Schlagen
mit einer an einem langen Stiel befestigten Scheibe, wie
die in teutschen Butterfässern, oder mit einem keulensör-
migen Stock, entweder für sich selbst in die saure Gäh-

rung
Sievers Briefe

Der bey den Mongolen und Buraͤten uͤbliche Milch-
brantwein gehoͤrt, nach meiner und Andrer Meynung,
vielmehr unter die geſunden Getraͤnke, obgleich er wohl
nicht unter die wohlſchmeckenden gerechnet werden kann.
Dank ſey es indeſſen meinem Freunde Lowitz, der die
Dephlogiſtikation der angebrannten ſpirituoͤſen, uͤbel-
ſchmeckenden Getraͤnke durch Kohlen erfand; denn durch
dieſes Mittel, wenn man auf eine Quantitaͤt Kohlen et-
wan einen Eimer Milchbrantwein gieſſet, dieſes Ge-
miſch, mit Zuſatz von Kuͤmmelſaamen, Zitronen, Zim-
met oder Pomeranzen einige Wochen unter oͤfterm Um-
ruͤhren ſtehen laͤßt und hernach rectificirt, ſo erhaͤlt man
ein Getraͤnk, deſſen Urſprung auch der beſte Brantwein-
trinker nicht errathen wuͤrde. Wird aber der gemeine
einmal abgezogne Milchbrantwein an einen warmen Ort
zum Fortſaͤuern hingeſtellt, ſo wird ein ſtarker Eſſig dar-
aus; ſo wie deſſen Erzeugung aus Molken in Pallas
Reiſe III. Theil S.
618 erwaͤhnet worden iſt. Die
Mongolen, Kalmuͤcken, Buraͤten, Jakuten, Tunguſen
und Kirgiſen, machen dieſen Milchbrantwein theils aus
Kuh- und Stutenmilch zugleich, da die Kuhmilch fuͤr
ſich allein zur geiſtigen Gaͤhrung ungeſchickt iſt, oder aber
aus bloæer Stutenmilch. Der Geſchmack iſt in beiden
Faͤllen faſt gleich. Wenn ſie eine Quantitaͤt dieſer Milch
in ledernen oder hoͤlzernen hohen Geſaͤßen geſammlet ha-
ben, ſo laſſen ſie ſelbige, unter beſtaͤndigem Schlagen
mit einer an einem langen Stiel befeſtigten Scheibe, wie
die in teutſchen Butterfaͤſſern, oder mit einem keulenſoͤr-
migen Stock, entweder fuͤr ſich ſelbſt in die ſaure Gaͤh-

rung
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0030" n="22"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Sievers Briefe</hi> </fw><lb/>
          <p>Der bey den Mongolen und Bura&#x0364;ten u&#x0364;bliche Milch-<lb/>
brantwein geho&#x0364;rt, nach meiner und Andrer Meynung,<lb/>
vielmehr unter die ge&#x017F;unden Getra&#x0364;nke, obgleich er wohl<lb/>
nicht unter die wohl&#x017F;chmeckenden gerechnet werden kann.<lb/>
Dank &#x017F;ey es inde&#x017F;&#x017F;en meinem Freunde <hi rendition="#fr">Lowitz,</hi> der die<lb/>
Dephlogi&#x017F;tikation der angebrannten &#x017F;pirituo&#x0364;&#x017F;en, u&#x0364;bel-<lb/>
&#x017F;chmeckenden Getra&#x0364;nke durch Kohlen erfand; denn durch<lb/>
die&#x017F;es Mittel, wenn man auf eine Quantita&#x0364;t Kohlen et-<lb/>
wan einen Eimer Milchbrantwein gie&#x017F;&#x017F;et, die&#x017F;es Ge-<lb/>
mi&#x017F;ch, mit Zu&#x017F;atz von Ku&#x0364;mmel&#x017F;aamen, Zitronen, Zim-<lb/>
met oder Pomeranzen einige Wochen unter o&#x0364;fterm Um-<lb/>
ru&#x0364;hren &#x017F;tehen la&#x0364;ßt und hernach rectificirt, &#x017F;o erha&#x0364;lt man<lb/>
ein Getra&#x0364;nk, de&#x017F;&#x017F;en Ur&#x017F;prung auch der be&#x017F;te Brantwein-<lb/>
trinker nicht errathen wu&#x0364;rde. Wird aber der gemeine<lb/>
einmal abgezogne Milchbrantwein an einen warmen Ort<lb/>
zum Fort&#x017F;a&#x0364;uern hinge&#x017F;tellt, &#x017F;o wird ein &#x017F;tarker E&#x017F;&#x017F;ig dar-<lb/>
aus; &#x017F;o wie de&#x017F;&#x017F;en Erzeugung aus Molken in <hi rendition="#fr">Pallas<lb/>
Rei&#x017F;e III. Theil S.</hi> 618 erwa&#x0364;hnet worden i&#x017F;t. Die<lb/>
Mongolen, Kalmu&#x0364;cken, Bura&#x0364;ten, Jakuten, Tungu&#x017F;en<lb/>
und Kirgi&#x017F;en, machen die&#x017F;en Milchbrantwein theils aus<lb/>
Kuh- und Stutenmilch zugleich, da die Kuhmilch fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;ich allein zur gei&#x017F;tigen Ga&#x0364;hrung unge&#x017F;chickt i&#x017F;t, oder aber<lb/>
aus bloæer Stutenmilch. Der Ge&#x017F;chmack i&#x017F;t in beiden<lb/>
Fa&#x0364;llen fa&#x017F;t gleich. Wenn &#x017F;ie eine Quantita&#x0364;t die&#x017F;er Milch<lb/>
in ledernen oder ho&#x0364;lzernen hohen Ge&#x017F;a&#x0364;ßen ge&#x017F;ammlet ha-<lb/>
ben, &#x017F;o la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie &#x017F;elbige, unter be&#x017F;ta&#x0364;ndigem Schlagen<lb/>
mit einer an einem langen Stiel befe&#x017F;tigten Scheibe, wie<lb/>
die in teut&#x017F;chen Butterfa&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern, oder mit einem keulen&#x017F;o&#x0364;r-<lb/>
migen Stock, entweder fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t in die &#x017F;aure Ga&#x0364;h-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">rung</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0030] Sievers Briefe Der bey den Mongolen und Buraͤten uͤbliche Milch- brantwein gehoͤrt, nach meiner und Andrer Meynung, vielmehr unter die geſunden Getraͤnke, obgleich er wohl nicht unter die wohlſchmeckenden gerechnet werden kann. Dank ſey es indeſſen meinem Freunde Lowitz, der die Dephlogiſtikation der angebrannten ſpirituoͤſen, uͤbel- ſchmeckenden Getraͤnke durch Kohlen erfand; denn durch dieſes Mittel, wenn man auf eine Quantitaͤt Kohlen et- wan einen Eimer Milchbrantwein gieſſet, dieſes Ge- miſch, mit Zuſatz von Kuͤmmelſaamen, Zitronen, Zim- met oder Pomeranzen einige Wochen unter oͤfterm Um- ruͤhren ſtehen laͤßt und hernach rectificirt, ſo erhaͤlt man ein Getraͤnk, deſſen Urſprung auch der beſte Brantwein- trinker nicht errathen wuͤrde. Wird aber der gemeine einmal abgezogne Milchbrantwein an einen warmen Ort zum Fortſaͤuern hingeſtellt, ſo wird ein ſtarker Eſſig dar- aus; ſo wie deſſen Erzeugung aus Molken in Pallas Reiſe III. Theil S. 618 erwaͤhnet worden iſt. Die Mongolen, Kalmuͤcken, Buraͤten, Jakuten, Tunguſen und Kirgiſen, machen dieſen Milchbrantwein theils aus Kuh- und Stutenmilch zugleich, da die Kuhmilch fuͤr ſich allein zur geiſtigen Gaͤhrung ungeſchickt iſt, oder aber aus bloæer Stutenmilch. Der Geſchmack iſt in beiden Faͤllen faſt gleich. Wenn ſie eine Quantitaͤt dieſer Milch in ledernen oder hoͤlzernen hohen Geſaͤßen geſammlet ha- ben, ſo laſſen ſie ſelbige, unter beſtaͤndigem Schlagen mit einer an einem langen Stiel befeſtigten Scheibe, wie die in teutſchen Butterfaͤſſern, oder mit einem keulenſoͤr- migen Stock, entweder fuͤr ſich ſelbſt in die ſaure Gaͤh- rung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/30
Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/30>, abgerufen am 23.11.2024.