Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

aus Sibirien.
wischten. Den zweystündigen Rest der Nacht brachten
wir in einer Hütte zu, und fanden uns beym Erwachen
mit den schönsten Waitzen- und Hirsenfeldern umgeben,
zu deren Bewachung die Kirgisen die Hütte erbauet hat-
ten, sahen aber übrigens weder Jurten noch Menschen.

Jndem wir uns von diesen entfernten und uns dem
in den Jrtisch fallenden Flüßchen Chainda näherten, sah
ich eine so große Menge tschudischer Gräber, worunter
viele so hoch wie Berge aufgethürmt und mit mächtigen
Pfeilern geziert waren, daß ich beynahe glaube, hier
habe eine der Hauptstädte der unbekannten Nation ge-
standen, um so mehr, da ich noch ohnweit davon eine
Reihe etwa 100 Ellen von einander stehender steinerner
Pfeiler, die auf der Steppe eingegraben waren, sah,
über deren Ursprung mir meine Kirgisen keine weitere
Nachricht geben konnten.

Alle Kirgisen auf chinesischem Grund und Boden
bezahlen ein Pferd vom 100 Tribut. Aber dieser Tri-
but kommt dem chinesischen Kayser theuer zu stehen;
denn die Tributeinnehmer müssen allemal viel Geschen-
ke mitbringen. Hierdurch werden die Kirgisen angelockt
zu bleiben, und der chinesische Kayser kann sich dann
rühmen, er beherrsche auch die Kirgisen.

Den 11ten Aug. Bis jetzt hatten wir beynahe ebe-
nen Weg gehabt. Aber nun befanden wir uns ohnge-
fähr in der Gegend, wo der Narymfluß auf der entge-
gengesetzten Seite in den Jrtisch fällt, wo ein kahles
hohes Schiefergebirge, für etwa 80 Werste, unsern
Pferden mehr zu schaffen machte. Wir überstiegen diese

Berge
O 5

aus Sibirien.
wiſchten. Den zweyſtuͤndigen Reſt der Nacht brachten
wir in einer Huͤtte zu, und fanden uns beym Erwachen
mit den ſchoͤnſten Waitzen- und Hirſenfeldern umgeben,
zu deren Bewachung die Kirgiſen die Huͤtte erbauet hat-
ten, ſahen aber uͤbrigens weder Jurten noch Menſchen.

Jndem wir uns von dieſen entfernten und uns dem
in den Jrtiſch fallenden Fluͤßchen Chainda naͤherten, ſah
ich eine ſo große Menge tſchudiſcher Graͤber, worunter
viele ſo hoch wie Berge aufgethuͤrmt und mit maͤchtigen
Pfeilern geziert waren, daß ich beynahe glaube, hier
habe eine der Hauptſtaͤdte der unbekannten Nation ge-
ſtanden, um ſo mehr, da ich noch ohnweit davon eine
Reihe etwa 100 Ellen von einander ſtehender ſteinerner
Pfeiler, die auf der Steppe eingegraben waren, ſah,
uͤber deren Urſprung mir meine Kirgiſen keine weitere
Nachricht geben konnten.

Alle Kirgiſen auf chineſiſchem Grund und Boden
bezahlen ein Pferd vom 100 Tribut. Aber dieſer Tri-
but kommt dem chineſiſchen Kayſer theuer zu ſtehen;
denn die Tributeinnehmer muͤſſen allemal viel Geſchen-
ke mitbringen. Hierdurch werden die Kirgiſen angelockt
zu bleiben, und der chineſiſche Kayſer kann ſich dann
ruͤhmen, er beherrſche auch die Kirgiſen.

Den 11ten Aug. Bis jetzt hatten wir beynahe ebe-
nen Weg gehabt. Aber nun befanden wir uns ohnge-
faͤhr in der Gegend, wo der Narymfluß auf der entge-
gengeſetzten Seite in den Jrtiſch faͤllt, wo ein kahles
hohes Schiefergebirge, fuͤr etwa 80 Werſte, unſern
Pferden mehr zu ſchaffen machte. Wir uͤberſtiegen dieſe

Berge
O 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0225" n="217"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">aus Sibirien.</hi></fw><lb/>
wi&#x017F;chten. Den zwey&#x017F;tu&#x0364;ndigen Re&#x017F;t der Nacht brachten<lb/>
wir in einer Hu&#x0364;tte zu, und fanden uns beym Erwachen<lb/>
mit den &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Waitzen- und Hir&#x017F;enfeldern umgeben,<lb/>
zu deren Bewachung die Kirgi&#x017F;en die Hu&#x0364;tte erbauet hat-<lb/>
ten, &#x017F;ahen aber u&#x0364;brigens weder Jurten noch Men&#x017F;chen.</p><lb/>
          <p>Jndem wir uns von die&#x017F;en entfernten und uns dem<lb/>
in den Jrti&#x017F;ch fallenden Flu&#x0364;ßchen Chainda na&#x0364;herten, &#x017F;ah<lb/>
ich eine &#x017F;o große Menge t&#x017F;chudi&#x017F;cher Gra&#x0364;ber, worunter<lb/>
viele &#x017F;o hoch wie Berge aufgethu&#x0364;rmt und mit ma&#x0364;chtigen<lb/>
Pfeilern geziert waren, daß ich beynahe glaube, hier<lb/>
habe eine der Haupt&#x017F;ta&#x0364;dte der unbekannten Nation ge-<lb/>
&#x017F;tanden, um &#x017F;o mehr, da ich noch ohnweit davon eine<lb/>
Reihe etwa 100 Ellen von einander &#x017F;tehender &#x017F;teinerner<lb/>
Pfeiler, die auf der Steppe eingegraben waren, &#x017F;ah,<lb/>
u&#x0364;ber deren Ur&#x017F;prung mir meine Kirgi&#x017F;en keine weitere<lb/>
Nachricht geben konnten.</p><lb/>
          <p>Alle Kirgi&#x017F;en auf chine&#x017F;i&#x017F;chem Grund und Boden<lb/>
bezahlen ein Pferd vom 100 Tribut. Aber die&#x017F;er Tri-<lb/>
but kommt dem chine&#x017F;i&#x017F;chen Kay&#x017F;er theuer zu &#x017F;tehen;<lb/>
denn die Tributeinnehmer mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en allemal viel Ge&#x017F;chen-<lb/>
ke mitbringen. Hierdurch werden die Kirgi&#x017F;en angelockt<lb/>
zu bleiben, und der chine&#x017F;i&#x017F;che Kay&#x017F;er kann &#x017F;ich dann<lb/>
ru&#x0364;hmen, er beherr&#x017F;che auch die Kirgi&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Den 11ten Aug. Bis jetzt hatten wir beynahe ebe-<lb/>
nen Weg gehabt. Aber nun befanden wir uns ohnge-<lb/>
fa&#x0364;hr in der Gegend, wo der Narymfluß auf der entge-<lb/>
genge&#x017F;etzten Seite in den Jrti&#x017F;ch fa&#x0364;llt, wo ein kahles<lb/>
hohes Schiefergebirge, fu&#x0364;r etwa 80 Wer&#x017F;te, un&#x017F;ern<lb/>
Pferden mehr zu &#x017F;chaffen machte. Wir u&#x0364;ber&#x017F;tiegen die&#x017F;e<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O 5</fw><fw place="bottom" type="catch">Berge</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[217/0225] aus Sibirien. wiſchten. Den zweyſtuͤndigen Reſt der Nacht brachten wir in einer Huͤtte zu, und fanden uns beym Erwachen mit den ſchoͤnſten Waitzen- und Hirſenfeldern umgeben, zu deren Bewachung die Kirgiſen die Huͤtte erbauet hat- ten, ſahen aber uͤbrigens weder Jurten noch Menſchen. Jndem wir uns von dieſen entfernten und uns dem in den Jrtiſch fallenden Fluͤßchen Chainda naͤherten, ſah ich eine ſo große Menge tſchudiſcher Graͤber, worunter viele ſo hoch wie Berge aufgethuͤrmt und mit maͤchtigen Pfeilern geziert waren, daß ich beynahe glaube, hier habe eine der Hauptſtaͤdte der unbekannten Nation ge- ſtanden, um ſo mehr, da ich noch ohnweit davon eine Reihe etwa 100 Ellen von einander ſtehender ſteinerner Pfeiler, die auf der Steppe eingegraben waren, ſah, uͤber deren Urſprung mir meine Kirgiſen keine weitere Nachricht geben konnten. Alle Kirgiſen auf chineſiſchem Grund und Boden bezahlen ein Pferd vom 100 Tribut. Aber dieſer Tri- but kommt dem chineſiſchen Kayſer theuer zu ſtehen; denn die Tributeinnehmer muͤſſen allemal viel Geſchen- ke mitbringen. Hierdurch werden die Kirgiſen angelockt zu bleiben, und der chineſiſche Kayſer kann ſich dann ruͤhmen, er beherrſche auch die Kirgiſen. Den 11ten Aug. Bis jetzt hatten wir beynahe ebe- nen Weg gehabt. Aber nun befanden wir uns ohnge- faͤhr in der Gegend, wo der Narymfluß auf der entge- gengeſetzten Seite in den Jrtiſch faͤllt, wo ein kahles hohes Schiefergebirge, fuͤr etwa 80 Werſte, unſern Pferden mehr zu ſchaffen machte. Wir uͤberſtiegen dieſe Berge O 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/225
Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/225>, abgerufen am 02.05.2024.