Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
Sievers Briefe

Den 27sten Jul. Man erzählte mir heute, daß sich
gegen Süden, etwa 10 Werste von hier, kostbare Stei-
ne finden sollten, deren Verkauf ehemals denen hier her-
umziehenden Taschkinern manchen Gewinnst verschafft
hätte. Um mich hiervon zu überzeugen, gieng ich zu
Pferde sogleich dahin mit einigen Begleitern ab. Beym
Vorbeyreiten einer von unsern Jurten hörte ich ein Ge-
klopfe, wie wenn man in Deutschland den Flachs tritt.
Der Wirth war mir schon bekannt, ich stieg also herab,
gieng in die Jurte, und sah 6 Dirnen mit langen dün-
nen weißen Stöcken einen in der Mitte liegenden Hau-
fen feiner weißer Schaafwolle ganz taktmäßig schlagen.
Diese Wolle wird zu den feinern Filzen verwalkt, und
würde auch wohl zu mittelmäßigem Tuche getaugt ha-
ben. -- Jch setzte darauf meinen Weg neben einigen
alkalischen Salzseen, die bey großer Hitze öfters ganz
austrocknen, vorbey, nach einem Ort, wo eben derglei-
chen Granit- und Quarzhügel waren, wie vorhin er-
wähnt; ich wußte also auch vorher, was für Schätze
hier vergraben lagen. Jch fand wirklich auf einer iso-
lirten Koppe geschürft, und brachte selbst noch einige schö-
ne sechseckige Quarzkristallen zu Tage. Jndessen, der
schöne vorhin schon erwähnte neue Tamarix machte mir
mehr Vergnügen, als die Steine. Sonst traf ich für
dasmal nichts, kehrte also durch einen andern Weg wie-
der heim, und zwar um eine Tochter meines gewesenen
Wegweisers Chaial, die hieher verheyrathet war, zu be-
suchen. Hierbey hatte ich abermals Gelegenheit zu se-
hen, daß die Kirgisen gefühlvolle Menschen sind. Wir

kamen
Sievers Briefe

Den 27ſten Jul. Man erzaͤhlte mir heute, daß ſich
gegen Suͤden, etwa 10 Werſte von hier, koſtbare Stei-
ne finden ſollten, deren Verkauf ehemals denen hier her-
umziehenden Taſchkinern manchen Gewinnſt verſchafft
haͤtte. Um mich hiervon zu uͤberzeugen, gieng ich zu
Pferde ſogleich dahin mit einigen Begleitern ab. Beym
Vorbeyreiten einer von unſern Jurten hoͤrte ich ein Ge-
klopfe, wie wenn man in Deutſchland den Flachs tritt.
Der Wirth war mir ſchon bekannt, ich ſtieg alſo herab,
gieng in die Jurte, und ſah 6 Dirnen mit langen duͤn-
nen weißen Stoͤcken einen in der Mitte liegenden Hau-
fen feiner weißer Schaafwolle ganz taktmaͤßig ſchlagen.
Dieſe Wolle wird zu den feinern Filzen verwalkt, und
wuͤrde auch wohl zu mittelmaͤßigem Tuche getaugt ha-
ben. — Jch ſetzte darauf meinen Weg neben einigen
alkaliſchen Salzſeen, die bey großer Hitze oͤfters ganz
austrocknen, vorbey, nach einem Ort, wo eben derglei-
chen Granit- und Quarzhuͤgel waren, wie vorhin er-
waͤhnt; ich wußte alſo auch vorher, was fuͤr Schaͤtze
hier vergraben lagen. Jch fand wirklich auf einer iſo-
lirten Koppe geſchuͤrft, und brachte ſelbſt noch einige ſchoͤ-
ne ſechseckige Quarzkriſtallen zu Tage. Jndeſſen, der
ſchoͤne vorhin ſchon erwaͤhnte neue Tamarix machte mir
mehr Vergnuͤgen, als die Steine. Sonſt traf ich fuͤr
dasmal nichts, kehrte alſo durch einen andern Weg wie-
der heim, und zwar um eine Tochter meines geweſenen
Wegweiſers Chaial, die hieher verheyrathet war, zu be-
ſuchen. Hierbey hatte ich abermals Gelegenheit zu ſe-
hen, daß die Kirgiſen gefuͤhlvolle Menſchen ſind. Wir

kamen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0202" n="194"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Sievers Briefe</hi> </fw><lb/>
          <p>Den 27&#x017F;ten Jul. Man erza&#x0364;hlte mir heute, daß &#x017F;ich<lb/>
gegen Su&#x0364;den, etwa 10 Wer&#x017F;te von hier, ko&#x017F;tbare Stei-<lb/>
ne finden &#x017F;ollten, deren Verkauf ehemals denen hier her-<lb/>
umziehenden Ta&#x017F;chkinern manchen Gewinn&#x017F;t ver&#x017F;chafft<lb/>
ha&#x0364;tte. Um mich hiervon zu u&#x0364;berzeugen, gieng ich zu<lb/>
Pferde &#x017F;ogleich dahin mit einigen Begleitern ab. Beym<lb/>
Vorbeyreiten einer von un&#x017F;ern Jurten ho&#x0364;rte ich ein Ge-<lb/>
klopfe, wie wenn man in Deut&#x017F;chland den Flachs tritt.<lb/>
Der Wirth war mir &#x017F;chon bekannt, ich &#x017F;tieg al&#x017F;o herab,<lb/>
gieng in die Jurte, und &#x017F;ah 6 Dirnen mit langen du&#x0364;n-<lb/>
nen weißen Sto&#x0364;cken einen in der Mitte liegenden Hau-<lb/>
fen feiner weißer Schaafwolle ganz taktma&#x0364;ßig &#x017F;chlagen.<lb/>
Die&#x017F;e Wolle wird zu den feinern Filzen verwalkt, und<lb/>
wu&#x0364;rde auch wohl zu mittelma&#x0364;ßigem Tuche getaugt ha-<lb/>
ben. &#x2014; Jch &#x017F;etzte darauf meinen Weg neben einigen<lb/>
alkali&#x017F;chen Salz&#x017F;een, die bey großer Hitze o&#x0364;fters ganz<lb/>
austrocknen, vorbey, nach einem Ort, wo eben derglei-<lb/>
chen Granit- und Quarzhu&#x0364;gel waren, wie vorhin er-<lb/>
wa&#x0364;hnt; ich wußte al&#x017F;o auch vorher, was fu&#x0364;r Scha&#x0364;tze<lb/>
hier vergraben lagen. Jch fand wirklich auf einer i&#x017F;o-<lb/>
lirten Koppe ge&#x017F;chu&#x0364;rft, und brachte &#x017F;elb&#x017F;t noch einige &#x017F;cho&#x0364;-<lb/>
ne &#x017F;echseckige Quarzkri&#x017F;tallen zu Tage. Jnde&#x017F;&#x017F;en, der<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;ne vorhin &#x017F;chon erwa&#x0364;hnte neue <hi rendition="#aq">Tamarix</hi> machte mir<lb/>
mehr Vergnu&#x0364;gen, als die Steine. Son&#x017F;t traf ich fu&#x0364;r<lb/>
dasmal nichts, kehrte al&#x017F;o durch einen andern Weg wie-<lb/>
der heim, und zwar um eine Tochter meines gewe&#x017F;enen<lb/>
Wegwei&#x017F;ers Chaial, die hieher verheyrathet war, zu be-<lb/>
&#x017F;uchen. Hierbey hatte ich abermals Gelegenheit zu &#x017F;e-<lb/>
hen, daß die Kirgi&#x017F;en gefu&#x0364;hlvolle Men&#x017F;chen &#x017F;ind. Wir<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">kamen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0202] Sievers Briefe Den 27ſten Jul. Man erzaͤhlte mir heute, daß ſich gegen Suͤden, etwa 10 Werſte von hier, koſtbare Stei- ne finden ſollten, deren Verkauf ehemals denen hier her- umziehenden Taſchkinern manchen Gewinnſt verſchafft haͤtte. Um mich hiervon zu uͤberzeugen, gieng ich zu Pferde ſogleich dahin mit einigen Begleitern ab. Beym Vorbeyreiten einer von unſern Jurten hoͤrte ich ein Ge- klopfe, wie wenn man in Deutſchland den Flachs tritt. Der Wirth war mir ſchon bekannt, ich ſtieg alſo herab, gieng in die Jurte, und ſah 6 Dirnen mit langen duͤn- nen weißen Stoͤcken einen in der Mitte liegenden Hau- fen feiner weißer Schaafwolle ganz taktmaͤßig ſchlagen. Dieſe Wolle wird zu den feinern Filzen verwalkt, und wuͤrde auch wohl zu mittelmaͤßigem Tuche getaugt ha- ben. — Jch ſetzte darauf meinen Weg neben einigen alkaliſchen Salzſeen, die bey großer Hitze oͤfters ganz austrocknen, vorbey, nach einem Ort, wo eben derglei- chen Granit- und Quarzhuͤgel waren, wie vorhin er- waͤhnt; ich wußte alſo auch vorher, was fuͤr Schaͤtze hier vergraben lagen. Jch fand wirklich auf einer iſo- lirten Koppe geſchuͤrft, und brachte ſelbſt noch einige ſchoͤ- ne ſechseckige Quarzkriſtallen zu Tage. Jndeſſen, der ſchoͤne vorhin ſchon erwaͤhnte neue Tamarix machte mir mehr Vergnuͤgen, als die Steine. Sonſt traf ich fuͤr dasmal nichts, kehrte alſo durch einen andern Weg wie- der heim, und zwar um eine Tochter meines geweſenen Wegweiſers Chaial, die hieher verheyrathet war, zu be- ſuchen. Hierbey hatte ich abermals Gelegenheit zu ſe- hen, daß die Kirgiſen gefuͤhlvolle Menſchen ſind. Wir kamen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/202
Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/202>, abgerufen am 23.11.2024.