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Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

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Sievers Briefe
zusammenlegen lassen, besteht, und etwa 6 Fuß hoch ist,
als das Fundament der Jurte aufgerichtet; außen her-
um wird dieses denn noch mit einem eben so hohen, aber
ganz dichten Flechtwerk (Tschi) aus Schilf bekleidet.
Dann wird mittelst einer langen hölzernen Gabel der
Kranz (Tschagarack) aufgehoben, und indem dieser
von einer Person schwebend gehalten wird, sind die übri-
gen Weiber beschäftiget, die beynahe wie ein S geboge-
nen Stäbe in die an den Bügel des Kranzes befindli-
chen Löcher und auf das Flechtwerk zu stecken. Darauf
wird dies ganze Gerippe mit Woilocken (Filz) wovon
die untern Turluck und die obern Uesuck heißen bedeckt,
mit langen Leinen umwunden und das Gebäude ist fer-
tig. Für die Thür ist keine bestimmte Richtung nach
irgend einer Weltgegend; wo sie eben hin zu stehen
kommt, da bleibt sie. Jnwendig aber, grade der Thüre
gegenüber, werden jederzeit die Reichthümer in Kasten
und Packen aufgelegt. Zur Rechten ist der eigentliche
Platz für die Weiber und Kinder und zur Linken für die
Männer, auch wohl zuweilen für neulich gebornes Vieh,
Jagdadler und Falken, Gewehr, Säbel und Picken.
Die Bettstelle hat keinen bestimmten Ort. Jedes kir-
gisische Frauenzimmer ist also ihr eigener Architekt, oh-
ne die Ordnung der Säulen in Rom oder Florenz studirt
zu haben; aber freylich ist denn auch zwischen ihren und
den italiänischen Pallästen ein mächtiger Unterschied.

Eine große Menge von Robinia Halodendron die
noch mit einigen späten Blumen prangte und viele tschu-
dische Gräber waren die einzigen Merkwürdigkeiten am

Wege.

Sievers Briefe
zuſammenlegen laſſen, beſteht, und etwa 6 Fuß hoch iſt,
als das Fundament der Jurte aufgerichtet; außen her-
um wird dieſes denn noch mit einem eben ſo hohen, aber
ganz dichten Flechtwerk (Tſchi) aus Schilf bekleidet.
Dann wird mittelſt einer langen hoͤlzernen Gabel der
Kranz (Tſchagarack) aufgehoben, und indem dieſer
von einer Perſon ſchwebend gehalten wird, ſind die uͤbri-
gen Weiber beſchaͤftiget, die beynahe wie ein S geboge-
nen Staͤbe in die an den Buͤgel des Kranzes befindli-
chen Loͤcher und auf das Flechtwerk zu ſtecken. Darauf
wird dies ganze Gerippe mit Woilocken (Filz) wovon
die untern Turluck und die obern Ueſuck heißen bedeckt,
mit langen Leinen umwunden und das Gebaͤude iſt fer-
tig. Fuͤr die Thuͤr iſt keine beſtimmte Richtung nach
irgend einer Weltgegend; wo ſie eben hin zu ſtehen
kommt, da bleibt ſie. Jnwendig aber, grade der Thuͤre
gegenuͤber, werden jederzeit die Reichthuͤmer in Kaſten
und Packen aufgelegt. Zur Rechten iſt der eigentliche
Platz fuͤr die Weiber und Kinder und zur Linken fuͤr die
Maͤnner, auch wohl zuweilen fuͤr neulich gebornes Vieh,
Jagdadler und Falken, Gewehr, Saͤbel und Picken.
Die Bettſtelle hat keinen beſtimmten Ort. Jedes kir-
giſiſche Frauenzimmer iſt alſo ihr eigener Architekt, oh-
ne die Ordnung der Saͤulen in Rom oder Florenz ſtudirt
zu haben; aber freylich iſt denn auch zwiſchen ihren und
den italiaͤniſchen Pallaͤſten ein maͤchtiger Unterſchied.

Eine große Menge von Robinia Halodendron die
noch mit einigen ſpaͤten Blumen prangte und viele tſchu-
diſche Graͤber waren die einzigen Merkwuͤrdigkeiten am

Wege.
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[168/0176] Sievers Briefe zuſammenlegen laſſen, beſteht, und etwa 6 Fuß hoch iſt, als das Fundament der Jurte aufgerichtet; außen her- um wird dieſes denn noch mit einem eben ſo hohen, aber ganz dichten Flechtwerk (Tſchi) aus Schilf bekleidet. Dann wird mittelſt einer langen hoͤlzernen Gabel der Kranz (Tſchagarack) aufgehoben, und indem dieſer von einer Perſon ſchwebend gehalten wird, ſind die uͤbri- gen Weiber beſchaͤftiget, die beynahe wie ein S geboge- nen Staͤbe in die an den Buͤgel des Kranzes befindli- chen Loͤcher und auf das Flechtwerk zu ſtecken. Darauf wird dies ganze Gerippe mit Woilocken (Filz) wovon die untern Turluck und die obern Ueſuck heißen bedeckt, mit langen Leinen umwunden und das Gebaͤude iſt fer- tig. Fuͤr die Thuͤr iſt keine beſtimmte Richtung nach irgend einer Weltgegend; wo ſie eben hin zu ſtehen kommt, da bleibt ſie. Jnwendig aber, grade der Thuͤre gegenuͤber, werden jederzeit die Reichthuͤmer in Kaſten und Packen aufgelegt. Zur Rechten iſt der eigentliche Platz fuͤr die Weiber und Kinder und zur Linken fuͤr die Maͤnner, auch wohl zuweilen fuͤr neulich gebornes Vieh, Jagdadler und Falken, Gewehr, Saͤbel und Picken. Die Bettſtelle hat keinen beſtimmten Ort. Jedes kir- giſiſche Frauenzimmer iſt alſo ihr eigener Architekt, oh- ne die Ordnung der Saͤulen in Rom oder Florenz ſtudirt zu haben; aber freylich iſt denn auch zwiſchen ihren und den italiaͤniſchen Pallaͤſten ein maͤchtiger Unterſchied. Eine große Menge von Robinia Halodendron die noch mit einigen ſpaͤten Blumen prangte und viele tſchu- diſche Graͤber waren die einzigen Merkwuͤrdigkeiten am Wege.

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Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/176>, abgerufen am 22.11.2024.