Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.aus Sibirien. heyrathet. Jst gar kein heyrathungsfähiger Anverwand-ter vorhanden, so geht der Kalüm wieder zurück; ein solcher Vorfall trift sich indessen äußerst selten, der Braut- schatz beläuft sich, ganz Arme ausgeschlossen, gewöhnlich von 150 bis auf 1000 Nbl. und wird männlicher Seits größtentheils mit Stuten bezahlt. Diesen werden noch andere Thiere beygefügt, je nachdem die Parthey reich ist. Sind etwa in die Gefangenschaft gerathene Scla- ven da, so gehen auch hievon einige mit. Die Braut bringt eine ganz neue Filzjurte, nebst Bette, Kasten, und allen kirgisischen Mobilien mit; sie muß überdem mit Kleidern, Perlen, rothen Korallen ächt oder unächt, goldenen und silbernen Tressen, wohl versehen seyn, je nachdem es ihr Stand und Reichthum erlaubt. Man sieht hieraus also, daß die Geschenke von beyden Seiten so ziemlich gleich sind. Bey der allerersten Verlobung wird gewöhnlich nur beym Schmauß ein mündlicher Ver- gleich in Gegenwart der Aeltesten getroffen; wächst das versprochene Paar alsdenn bis zum sechsten, achten, bis funfzehnten Jahre auf und giebt Hoffnung zur Fortdauer ihrer Gesundheit, so wird dann schon der Anfang mit Bezahlung des Kalüm's zum Theil gemacht, und bey der Hochzeit hernach förmlich geendiget. Ein solcher Fall traf sich nun hier. Die 8 jährige Braut wohnte etwa 80 Werst von unserer Aul entfernt, die eben gedach- ten Ankömmlinge waren die Bevollmächtigten ihrer Seits, oder die Freywerber. Während ihrer Gegen- wart darf sich der Bräutigam durchaus nicht zeigen, noch viel weniger vor der Hochzeit zu seiner Braut reisen, um sich L 3
aus Sibirien. heyrathet. Jſt gar kein heyrathungsfaͤhiger Anverwand-ter vorhanden, ſo geht der Kaluͤm wieder zuruͤck; ein ſolcher Vorfall trift ſich indeſſen aͤußerſt ſelten, der Braut- ſchatz belaͤuft ſich, ganz Arme ausgeſchloſſen, gewoͤhnlich von 150 bis auf 1000 Nbl. und wird maͤnnlicher Seits groͤßtentheils mit Stuten bezahlt. Dieſen werden noch andere Thiere beygefuͤgt, je nachdem die Parthey reich iſt. Sind etwa in die Gefangenſchaft gerathene Scla- ven da, ſo gehen auch hievon einige mit. Die Braut bringt eine ganz neue Filzjurte, nebſt Bette, Kaſten, und allen kirgiſiſchen Mobilien mit; ſie muß uͤberdem mit Kleidern, Perlen, rothen Korallen aͤcht oder unaͤcht, goldenen und ſilbernen Treſſen, wohl verſehen ſeyn, je nachdem es ihr Stand und Reichthum erlaubt. Man ſieht hieraus alſo, daß die Geſchenke von beyden Seiten ſo ziemlich gleich ſind. Bey der allererſten Verlobung wird gewoͤhnlich nur beym Schmauß ein muͤndlicher Ver- gleich in Gegenwart der Aelteſten getroffen; waͤchſt das verſprochene Paar alsdenn bis zum ſechſten, achten, bis funfzehnten Jahre auf und giebt Hoffnung zur Fortdauer ihrer Geſundheit, ſo wird dann ſchon der Anfang mit Bezahlung des Kaluͤm’s zum Theil gemacht, und bey der Hochzeit hernach foͤrmlich geendiget. Ein ſolcher Fall traf ſich nun hier. Die 8 jaͤhrige Braut wohnte etwa 80 Werſt von unſerer Aul entfernt, die eben gedach- ten Ankoͤmmlinge waren die Bevollmaͤchtigten ihrer Seits, oder die Freywerber. Waͤhrend ihrer Gegen- wart darf ſich der Braͤutigam durchaus nicht zeigen, noch viel weniger vor der Hochzeit zu ſeiner Braut reiſen, um ſich L 3
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aus Sibirien.
heyrathet. Jſt gar kein heyrathungsfaͤhiger Anverwand-
ter vorhanden, ſo geht der Kaluͤm wieder zuruͤck; ein
ſolcher Vorfall trift ſich indeſſen aͤußerſt ſelten, der Braut-
ſchatz belaͤuft ſich, ganz Arme ausgeſchloſſen, gewoͤhnlich
von 150 bis auf 1000 Nbl. und wird maͤnnlicher Seits
groͤßtentheils mit Stuten bezahlt. Dieſen werden noch
andere Thiere beygefuͤgt, je nachdem die Parthey reich
iſt. Sind etwa in die Gefangenſchaft gerathene Scla-
ven da, ſo gehen auch hievon einige mit. Die Braut
bringt eine ganz neue Filzjurte, nebſt Bette, Kaſten,
und allen kirgiſiſchen Mobilien mit; ſie muß uͤberdem
mit Kleidern, Perlen, rothen Korallen aͤcht oder unaͤcht,
goldenen und ſilbernen Treſſen, wohl verſehen ſeyn, je
nachdem es ihr Stand und Reichthum erlaubt. Man
ſieht hieraus alſo, daß die Geſchenke von beyden Seiten
ſo ziemlich gleich ſind. Bey der allererſten Verlobung
wird gewoͤhnlich nur beym Schmauß ein muͤndlicher Ver-
gleich in Gegenwart der Aelteſten getroffen; waͤchſt das
verſprochene Paar alsdenn bis zum ſechſten, achten, bis
funfzehnten Jahre auf und giebt Hoffnung zur Fortdauer
ihrer Geſundheit, ſo wird dann ſchon der Anfang mit
Bezahlung des Kaluͤm’s zum Theil gemacht, und bey
der Hochzeit hernach foͤrmlich geendiget. Ein ſolcher
Fall traf ſich nun hier. Die 8 jaͤhrige Braut wohnte
etwa 80 Werſt von unſerer Aul entfernt, die eben gedach-
ten Ankoͤmmlinge waren die Bevollmaͤchtigten ihrer
Seits, oder die Freywerber. Waͤhrend ihrer Gegen-
wart darf ſich der Braͤutigam durchaus nicht zeigen, noch
viel weniger vor der Hochzeit zu ſeiner Braut reiſen, um
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