Stamm aushauen, der mir Bretter von sieben englischen Zollen im Durchmesser lieferte.
Eine Menge Kirgisen wohnen hier allenthalben her- um, welche die Sommermonate, theils der Kühle we- gen, theils des gänzlichen Mangels an allerley stechen- den Jnsekten, der vortrefflichen Weide und des schönen Wassers wegen, hier vergnügt zubringen. Während die- ser Zeit werden die Futterkräuter in den Steppen eini- germaßen zum Winter geschont; denn vom Heumähen und übrigen in Europa gebräuchlichen Vorräthen fürs Vieh weiß der Kirgise nichts. -- An der gegen Süden gekehrten Seite dieses hohen Gebirges war durchaus kein Schnee zu sehen. Nach meiner Rückkunft bey mei- nem Troß fand ich ein wohlschmeckendes Abendmahl, legte mich zur Ruhe, und gieng den 3ten Jul. früh mit Sonnenaufgang in Begleitung meines Führers Chaial, noch eines andern Kirgisen und drey bewafneter Arbeiter über einige Hügel hinauf, sodann ließen wir uns, in- dem wir einige Quellbäche des Uldshars passirten, den Berg hinunter, welches aber, besonders bey der Hitze, eine abscheuliche Arbeit war. Etwa anderthalb Werst mußten wir zu Fuß die Pferde zur Seite führend, steil wie eine Wand im Granit und Schiefergerülle hinab steigen, nachher folgte noch ein jäher Weg von mehr als 6 Werst. Jch begreife nicht, wie die wandernden Kir- gisen mit ihren beladenen Kameelen hinauf kommen, und doch geschiehts! Dieses mühsame Herabsteigen wur- de durch einige schöne Pflanzen, einen dem Cicer arie- tinum ähnlichen Lathyrus, Polygonum humifusum,
Scro-
K
aus Siberien.
Stamm aushauen, der mir Bretter von ſieben engliſchen Zollen im Durchmeſſer lieferte.
Eine Menge Kirgiſen wohnen hier allenthalben her- um, welche die Sommermonate, theils der Kuͤhle we- gen, theils des gaͤnzlichen Mangels an allerley ſtechen- den Jnſekten, der vortrefflichen Weide und des ſchoͤnen Waſſers wegen, hier vergnuͤgt zubringen. Waͤhrend die- ſer Zeit werden die Futterkraͤuter in den Steppen eini- germaßen zum Winter geſchont; denn vom Heumaͤhen und uͤbrigen in Europa gebraͤuchlichen Vorraͤthen fuͤrs Vieh weiß der Kirgiſe nichts. — An der gegen Suͤden gekehrten Seite dieſes hohen Gebirges war durchaus kein Schnee zu ſehen. Nach meiner Ruͤckkunft bey mei- nem Troß fand ich ein wohlſchmeckendes Abendmahl, legte mich zur Ruhe, und gieng den 3ten Jul. fruͤh mit Sonnenaufgang in Begleitung meines Fuͤhrers Chaial, noch eines andern Kirgiſen und drey bewafneter Arbeiter uͤber einige Huͤgel hinauf, ſodann ließen wir uns, in- dem wir einige Quellbaͤche des Uldſhars paſſirten, den Berg hinunter, welches aber, beſonders bey der Hitze, eine abſcheuliche Arbeit war. Etwa anderthalb Werſt mußten wir zu Fuß die Pferde zur Seite fuͤhrend, ſteil wie eine Wand im Granit und Schiefergeruͤlle hinab ſteigen, nachher folgte noch ein jaͤher Weg von mehr als 6 Werſt. Jch begreife nicht, wie die wandernden Kir- giſen mit ihren beladenen Kameelen hinauf kommen, und doch geſchiehts! Dieſes muͤhſame Herabſteigen wur- de durch einige ſchoͤne Pflanzen, einen dem Cicer arie- tinum aͤhnlichen Lathyrus, Polygonum humifuſum,
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aus Siberien.
Stamm aushauen, der mir Bretter von ſieben engliſchen
Zollen im Durchmeſſer lieferte.
Eine Menge Kirgiſen wohnen hier allenthalben her-
um, welche die Sommermonate, theils der Kuͤhle we-
gen, theils des gaͤnzlichen Mangels an allerley ſtechen-
den Jnſekten, der vortrefflichen Weide und des ſchoͤnen
Waſſers wegen, hier vergnuͤgt zubringen. Waͤhrend die-
ſer Zeit werden die Futterkraͤuter in den Steppen eini-
germaßen zum Winter geſchont; denn vom Heumaͤhen
und uͤbrigen in Europa gebraͤuchlichen Vorraͤthen fuͤrs
Vieh weiß der Kirgiſe nichts. — An der gegen Suͤden
gekehrten Seite dieſes hohen Gebirges war durchaus
kein Schnee zu ſehen. Nach meiner Ruͤckkunft bey mei-
nem Troß fand ich ein wohlſchmeckendes Abendmahl,
legte mich zur Ruhe, und gieng den 3ten Jul. fruͤh mit
Sonnenaufgang in Begleitung meines Fuͤhrers Chaial,
noch eines andern Kirgiſen und drey bewafneter Arbeiter
uͤber einige Huͤgel hinauf, ſodann ließen wir uns, in-
dem wir einige Quellbaͤche des Uldſhars paſſirten, den
Berg hinunter, welches aber, beſonders bey der Hitze,
eine abſcheuliche Arbeit war. Etwa anderthalb Werſt
mußten wir zu Fuß die Pferde zur Seite fuͤhrend, ſteil
wie eine Wand im Granit und Schiefergeruͤlle hinab
ſteigen, nachher folgte noch ein jaͤher Weg von mehr als
6 Werſt. Jch begreife nicht, wie die wandernden Kir-
giſen mit ihren beladenen Kameelen hinauf kommen,
und doch geſchiehts! Dieſes muͤhſame Herabſteigen wur-
de durch einige ſchoͤne Pflanzen, einen dem Cicer arie-
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Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/153>, abgerufen am 16.02.2025.
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