berechtigt und den Menschen gottähnlicher erscheinen lassen als je zuvor. Denn unter den gegebenen Bedingungen die Summe unseres Wohlbefindens, unserer Genüsse zu einem Maximum, die unserer Leiden und Entbehrungen zu einem Minimum zu machen, ist eine Aufgabe ähnlich der, welche nach Leibnitz, in dessen Namen wir heute hier versammelt sind, der Gottheit selber bei Erschaffung der Welt vorschwebte.
Aber der Mensch lebt nicht von Brod allein, und man kann mit Novalis fragen: Was ist praktischer, den Menschen Brod, oder ihnen eine Idee geben? Nachdem auch der Schönheits- sinn befriedigt ist, den nach Darwin der Vogel mit uns theilt, wirkt im Menschen noch ein Trieb, der, wie die Sprache, unter allen Lebendigen einzig ihm gehört. Das Wort: Warum? welches von den Lippen der Kinder ungelehrt uns entgegen- tönt, wie es vor Jahrtausenden von denen morgenländischer Weisen klang, ist unter den Wörtern der menschlichen Sprache so zu sagen das menschlichste Wort. Die Sehnsucht nach dem zureichenden Grunde erscheint gleichsam als Blüthe dessen, was die zum Hirn zusammengefügte, Bewusstsein erzeugende Materie vermag.
Die Stillung dieses Sehnens, die Befriedigung des Causali- tätstriebes ist die abgelegene Höhe, wo der akademische Geist weilt, ohne einige Veranstaltung aber bald vereinsamen würde. Denn wer nur dem ewig Wahren nachspürt, braucht sich nicht umzusehen, um zu wissen, dass nur Wenige seines Weges gehen. Irdische Güter beut die Wissenschaft nicht, und der wissenschaft- liche Ehrgeiz ist mehr ein Zeichen des Talentes, als dass er an sich der Forschung Jünger erweckte.
Daher ist zum Fortbau an der wissenschaftlichen Erkennt- niss um ihrer selber willen die Akademie da. Dass noch kein demokratisches oder oligarchisches Gemeinwesen eine Akademie gründete, wirft ein eigenes Licht auf den Geist der verschiedenen Regierungsformen.
Der idealistisch gesinnten Renaissance entsprossen, ragen die Akademien in den heute sie umdrängenden Realismus fast als fremdartige Schöpfungen hinein. Auch ist unvermeidlich, dass ihr Standpunkt nach den Forderungen der Zeit sich etwas ver- rücke. Aber eine wissenschaftliche Gestalt gleich der Deinigen,
berechtigt und den Menschen gottähnlicher erscheinen lassen als je zuvor. Denn unter den gegebenen Bedingungen die Summe unseres Wohlbefindens, unserer Genüsse zu einem Maximum, die unserer Leiden und Entbehrungen zu einem Minimum zu machen, ist eine Aufgabe ähnlich der, welche nach Leibnitz, in dessen Namen wir heute hier versammelt sind, der Gottheit selber bei Erschaffung der Welt vorschwebte.
Aber der Mensch lebt nicht von Brod allein, und man kann mit Novalis fragen: Was ist praktischer, den Menschen Brod, oder ihnen eine Idee geben? Nachdem auch der Schönheits- sinn befriedigt ist, den nach Darwin der Vogel mit uns theilt, wirkt im Menschen noch ein Trieb, der, wie die Sprache, unter allen Lebendigen einzig ihm gehört. Das Wort: Warum? welches von den Lippen der Kinder ungelehrt uns entgegen- tönt, wie es vor Jahrtausenden von denen morgenländischer Weisen klang, ist unter den Wörtern der menschlichen Sprache so zu sagen das menschlichste Wort. Die Sehnsucht nach dem zureichenden Grunde erscheint gleichsam als Blüthe dessen, was die zum Hirn zusammengefügte, Bewusstsein erzeugende Materie vermag.
Die Stillung dieses Sehnens, die Befriedigung des Causali- tätstriebes ist die abgelegene Höhe, wo der akademische Geist weilt, ohne einige Veranstaltung aber bald vereinsamen würde. Denn wer nur dem ewig Wahren nachspürt, braucht sich nicht umzusehen, um zu wissen, dass nur Wenige seines Weges gehen. Irdische Güter beut die Wissenschaft nicht, und der wissenschaft- liche Ehrgeiz ist mehr ein Zeichen des Talentes, als dass er an sich der Forschung Jünger erweckte.
Daher ist zum Fortbau an der wissenschaftlichen Erkennt- niss um ihrer selber willen die Akademie da. Dass noch kein demokratisches oder oligarchisches Gemeinwesen eine Akademie gründete, wirft ein eigenes Licht auf den Geist der verschiedenen Regierungsformen.
Der idealistisch gesinnten Renaissance entsprossen, ragen die Akademien in den heute sie umdrängenden Realismus fast als fremdartige Schöpfungen hinein. Auch ist unvermeidlich, dass ihr Standpunkt nach den Forderungen der Zeit sich etwas ver- rücke. Aber eine wissenschaftliche Gestalt gleich der Deinigen,
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je zuvor. Denn unter den gegebenen Bedingungen die Summe
unseres Wohlbefindens, unserer Genüsse zu einem Maximum,
die unserer Leiden und Entbehrungen zu einem Minimum zu
machen, ist eine Aufgabe ähnlich der, welche nach Leibnitz, in
dessen Namen wir heute hier versammelt sind, der Gottheit
selber bei Erschaffung der Welt vorschwebte.
Aber der Mensch lebt nicht von Brod allein, und man kann
mit Novalis fragen: Was ist praktischer, den Menschen Brod,
oder ihnen eine Idee geben? Nachdem auch der Schönheits-
sinn befriedigt ist, den nach Darwin der Vogel mit uns theilt,
wirkt im Menschen noch ein Trieb, der, wie die Sprache, unter
allen Lebendigen einzig ihm gehört. Das Wort: Warum?
welches von den Lippen der Kinder ungelehrt uns entgegen-
tönt, wie es vor Jahrtausenden von denen morgenländischer
Weisen klang, ist unter den Wörtern der menschlichen Sprache
so zu sagen das menschlichste Wort. Die Sehnsucht nach dem
zureichenden Grunde erscheint gleichsam als Blüthe dessen, was
die zum Hirn zusammengefügte, Bewusstsein erzeugende Materie
vermag.
Die Stillung dieses Sehnens, die Befriedigung des Causali-
tätstriebes ist die abgelegene Höhe, wo der akademische Geist
weilt, ohne einige Veranstaltung aber bald vereinsamen würde.
Denn wer nur dem ewig Wahren nachspürt, braucht sich nicht
umzusehen, um zu wissen, dass nur Wenige seines Weges gehen.
Irdische Güter beut die Wissenschaft nicht, und der wissenschaft-
liche Ehrgeiz ist mehr ein Zeichen des Talentes, als dass er an
sich der Forschung Jünger erweckte.
Daher ist zum Fortbau an der wissenschaftlichen Erkennt-
niss um ihrer selber willen die Akademie da. Dass noch kein
demokratisches oder oligarchisches Gemeinwesen eine Akademie
gründete, wirft ein eigenes Licht auf den Geist der verschiedenen
Regierungsformen.
Der idealistisch gesinnten Renaissance entsprossen, ragen
die Akademien in den heute sie umdrängenden Realismus fast
als fremdartige Schöpfungen hinein. Auch ist unvermeidlich, dass
ihr Standpunkt nach den Forderungen der Zeit sich etwas ver-
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Siemens, Werner von: Gesammelte Abhandlungen und Vorträge. Berlin, 1881, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siemens_abhandlungen_1881/348>, abgerufen am 23.11.2024.
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