gewichtes eintreten müsse. Ist jedoch die Vertheilung ausschliess- lich eine Molecularwirkung des thätigen Dielectricums, so kann gar keine Zerlegung im Innern des Leiters durch Anziehungs- wirkung eintreten. Die erste Grundbedingung der Poisson'schen Rechnungen fällt daher fort. Wahrscheinlich wird sich die zweite Bedingung, "dass die freie Oberfläche der elektrischen Schicht eine Gleichgewichtsfläche sein müsse", aus dem Mole- cularvertheilungsgesetz herleiten lassen -- wodurch der Wider- spruch zwischen beiden Theorien beseitigt würde.
Eine weitere Consequenz der Faraday'schen Theorie ist die gänzliche Verschiedenheit der Begriffe "elektrische Kraft oder Spannkraft" und Dichtigkeit der Elektricität. Es zeigt sich diese Verschiedenheit am klarsten in der als richtig erwiesenen An- schauung, "dass die Elektricitätsmenge jedes Flächenelements als durch einen elektrischen Strom von bestimmter kurzer Dauer durch das leitend gedachte Dielectricum hindurch" entstanden gedacht werden kann. Die Dichtigkeit oder die Elektricitäts- menge der Flächeneinheit entspricht daher der Stromstärke, nicht der elektromotorischen Kraft des Ohm'schen Gesetzes. Hiermit steht in scheinbarem Widerspruch, dass die Ausströmung und die Schlagweite der Elektricität, welche wir als unmittelbare Spannungserscheinungen zu betrachten gewöhnt sind, offenbar im Verhältniss der "Dichtigkeit" stehen. Der von Licht- und Wärme- entwickelung begleitete Entladungsvorgang ist aber offenbar keine statische, sondern eine Bewegungserscheinung und von diesem Standpunkt aus zu betrachten.
Wenn man zwei dünne Glas- und Glimmerplatten einseitig mit Stanniol belegt und die nicht belegten Seiten so aufeinander legt, dass ein lufterfüllter Zwischenraum von geringer aber gleich- mässiger Dicke sich zwischen ihnen befindet, so erhält man be- kanntlich eine Lichterscheinung in dem ganzen lufterfüllten Raume, wenn man den so gebildeten Collector durch eine hinlänglich geladene Leydner Flasche ladet. Diese Lichterscheinung wieder- holt sich bei der Entladung des Collectors. Das Leuchten des Luftraums tritt nicht ein, wenn die Flasche sehr schwach geladen ist. Es beginnt bei einer ganz bestimmten Ladung und ver- stärkt sich von diesem Punkte an mit der Vergrösserung der Ladung der Flasche.
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gewichtes eintreten müsse. Ist jedoch die Vertheilung ausschliess- lich eine Molecularwirkung des thätigen Dielectricums, so kann gar keine Zerlegung im Innern des Leiters durch Anziehungs- wirkung eintreten. Die erste Grundbedingung der Poisson’schen Rechnungen fällt daher fort. Wahrscheinlich wird sich die zweite Bedingung, „dass die freie Oberfläche der elektrischen Schicht eine Gleichgewichtsfläche sein müsse“, aus dem Mole- cularvertheilungsgesetz herleiten lassen — wodurch der Wider- spruch zwischen beiden Theorien beseitigt würde.
Eine weitere Consequenz der Faraday’schen Theorie ist die gänzliche Verschiedenheit der Begriffe „elektrische Kraft oder Spannkraft“ und Dichtigkeit der Elektricität. Es zeigt sich diese Verschiedenheit am klarsten in der als richtig erwiesenen An- schauung, „dass die Elektricitätsmenge jedes Flächenelements als durch einen elektrischen Strom von bestimmter kurzer Dauer durch das leitend gedachte Dielectricum hindurch“ entstanden gedacht werden kann. Die Dichtigkeit oder die Elektricitäts- menge der Flächeneinheit entspricht daher der Stromstärke, nicht der elektromotorischen Kraft des Ohm’schen Gesetzes. Hiermit steht in scheinbarem Widerspruch, dass die Ausströmung und die Schlagweite der Elektricität, welche wir als unmittelbare Spannungserscheinungen zu betrachten gewöhnt sind, offenbar im Verhältniss der „Dichtigkeit“ stehen. Der von Licht- und Wärme- entwickelung begleitete Entladungsvorgang ist aber offenbar keine statische, sondern eine Bewegungserscheinung und von diesem Standpunkt aus zu betrachten.
Wenn man zwei dünne Glas- und Glimmerplatten einseitig mit Stanniol belegt und die nicht belegten Seiten so aufeinander legt, dass ein lufterfüllter Zwischenraum von geringer aber gleich- mässiger Dicke sich zwischen ihnen befindet, so erhält man be- kanntlich eine Lichterscheinung in dem ganzen lufterfüllten Raume, wenn man den so gebildeten Collector durch eine hinlänglich geladene Leydner Flasche ladet. Diese Lichterscheinung wieder- holt sich bei der Entladung des Collectors. Das Leuchten des Luftraums tritt nicht ein, wenn die Flasche sehr schwach geladen ist. Es beginnt bei einer ganz bestimmten Ladung und ver- stärkt sich von diesem Punkte an mit der Vergrösserung der Ladung der Flasche.
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gewichtes eintreten müsse. Ist jedoch die Vertheilung ausschliess-
lich eine Molecularwirkung des thätigen Dielectricums, so kann
gar keine Zerlegung im Innern des Leiters durch Anziehungs-
wirkung eintreten. Die erste Grundbedingung der Poisson’schen
Rechnungen fällt daher fort. Wahrscheinlich wird sich die
zweite Bedingung, „dass die freie Oberfläche der elektrischen
Schicht eine Gleichgewichtsfläche sein müsse“, aus dem Mole-
cularvertheilungsgesetz herleiten lassen — wodurch der Wider-
spruch zwischen beiden Theorien beseitigt würde.
Eine weitere Consequenz der Faraday’schen Theorie ist die
gänzliche Verschiedenheit der Begriffe „elektrische Kraft oder
Spannkraft“ und Dichtigkeit der Elektricität. Es zeigt sich diese
Verschiedenheit am klarsten in der als richtig erwiesenen An-
schauung, „dass die Elektricitätsmenge jedes Flächenelements als
durch einen elektrischen Strom von bestimmter kurzer Dauer
durch das leitend gedachte Dielectricum hindurch“ entstanden
gedacht werden kann. Die Dichtigkeit oder die Elektricitäts-
menge der Flächeneinheit entspricht daher der Stromstärke, nicht
der elektromotorischen Kraft des Ohm’schen Gesetzes. Hiermit
steht in scheinbarem Widerspruch, dass die Ausströmung und
die Schlagweite der Elektricität, welche wir als unmittelbare
Spannungserscheinungen zu betrachten gewöhnt sind, offenbar im
Verhältniss der „Dichtigkeit“ stehen. Der von Licht- und Wärme-
entwickelung begleitete Entladungsvorgang ist aber offenbar keine
statische, sondern eine Bewegungserscheinung und von diesem
Standpunkt aus zu betrachten.
Wenn man zwei dünne Glas- und Glimmerplatten einseitig
mit Stanniol belegt und die nicht belegten Seiten so aufeinander
legt, dass ein lufterfüllter Zwischenraum von geringer aber gleich-
mässiger Dicke sich zwischen ihnen befindet, so erhält man be-
kanntlich eine Lichterscheinung in dem ganzen lufterfüllten Raume,
wenn man den so gebildeten Collector durch eine hinlänglich
geladene Leydner Flasche ladet. Diese Lichterscheinung wieder-
holt sich bei der Entladung des Collectors. Das Leuchten des
Luftraums tritt nicht ein, wenn die Flasche sehr schwach geladen
ist. Es beginnt bei einer ganz bestimmten Ladung und ver-
stärkt sich von diesem Punkte an mit der Vergrösserung der
Ladung der Flasche.
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Siemens, Werner von: Gesammelte Abhandlungen und Vorträge. Berlin, 1881, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siemens_abhandlungen_1881/213>, abgerufen am 27.11.2024.
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