Siegmeyer, Johann Gottlieb: Theorie der Tonsetzkunst. Berlin, 1822.nen ganzen Satz mit der harmonischen Schattirung ohne Zuziehung der Urtheilskraft Um einer Täuschung dieser Art auszuweichen ist es am besten, etwas daran abzuändern; Nichts steht mithin der Vervollkommnung eines Componisten mehr im Wege als [Musik]
so würde bis zu dem Zeichen x Jedermann sogleich die Entlehnung des Gedankens er-kennen, und darum eine Ungeduld empfinden, wenn nur die Hälfte des darauf folgen- den Satzes hörbar würde. Gäbe man aber dem darauf folgenden Satze sowohl in rhythmischer als melodischer Hinsicht eine Abänderung, wodurch sich vielleicht auch die Modulation veränderte, ohngefähr auf diese Weise: nen ganzen Satz mit der harmoniſchen Schattirung ohne Zuziehung der Urtheilskraft Um einer Taͤuſchung dieſer Art auszuweichen iſt es am beſten, etwas daran abzuaͤndern; Nichts ſteht mithin der Vervollkommnung eines Componiſten mehr im Wege als [Musik]
ſo wuͤrde bis zu dem Zeichen × Jedermann ſogleich die Entlehnung des Gedankens er-kennen, und darum eine Ungeduld empfinden, wenn nur die Haͤlfte des darauf folgen- den Satzes hoͤrbar wuͤrde. Gaͤbe man aber dem darauf folgenden Satze ſowohl in rhythmiſcher als melodiſcher Hinſicht eine Abaͤnderung, wodurch ſich vielleicht auch die Modulation veraͤnderte, ohngefaͤhr auf dieſe Weiſe: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0120" n="102"/> nen ganzen Satz mit der harmoniſchen Schattirung ohne Zuziehung der Urtheilskraft<lb/> und ohne etwas abzuaͤndern, zu erfinden.</p><lb/> <p>Um einer Taͤuſchung dieſer Art auszuweichen iſt es am beſten, etwas daran abzuaͤndern;<lb/> entweder ſchon in der Folge der melodiſchen Toͤne eines Gedankens, oder wenn er letztern<lb/> wegen beſondern Intereſſe beibehalten will, wenigſtens dem Gegenſatze eine andere Wen-<lb/> dung zu geben. Iſt der Componiſt ernſtlich bemuͤht dies zu thun, ſo entgeht er gewiß<lb/> dem Vorwurfe der Entlehnung fremder Ideen; iſt er aber Egoiſt und von ſich einge-<lb/> nommen, daß alles, was ſich ſeiner Phantaſie vorſtellt, natuͤrlich Producte <hi rendition="#g">ſeiner Ge-<lb/> nialitaͤt</hi> ſein muͤſſen, ſo widerfaͤhrt ihm ſein Recht, naͤmlich: er behauptet ſeine Eigen-<lb/> heiten, das Publicum aber ſteht auch wie ein unerſchuͤtterlicher Fels und ohne nachzu-<lb/> geben da, weil es nicht noͤthig hat, ſich ſeine Hartnaͤckigkeit <hi rendition="#g">aufzwingen</hi> zu laſſen.</p><lb/> <p>Nichts ſteht mithin der Vervollkommnung eines Componiſten mehr im Wege als<lb/> Eigenduͤnkel. Um diejenigen, die frei von dieſem ſind, meine fernern Anſichten nicht<lb/> vor<supplied>zu</supplied>enthalten, erlaube ich mir, etwas mehr hinzuzufuͤgen und durch Beiſpiele deutli-<lb/> cher zu machen. Geſetzt man fuͤhlte ſich geneigt bei dem Entwurfe eines Muſikſtuͤcks,<lb/> das eine religioͤſe Empfindung erwecken ſollte, einen Gedanken <hi rendition="#g">ſo</hi> auszudruͤcken, wie er<lb/> unſerer Phantaſie aus dem Marſche der Prieſter in der Zauberfloͤte vorſchwebt (weil die<lb/> Phantaſie doch immer an etwas Empfundenes appellirt)<lb/><figure type="notatedMusic"/><lb/> ſo wuͤrde bis zu dem Zeichen × Jedermann ſogleich die Entlehnung des Gedankens er-<lb/> kennen, und darum eine Ungeduld empfinden, wenn nur die Haͤlfte des darauf folgen-<lb/> den Satzes hoͤrbar wuͤrde. Gaͤbe man aber dem darauf folgenden Satze ſowohl in<lb/> rhythmiſcher als melodiſcher Hinſicht eine Abaͤnderung, wodurch ſich vielleicht auch die<lb/> Modulation veraͤnderte, ohngefaͤhr auf dieſe Weiſe:<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [102/0120]
nen ganzen Satz mit der harmoniſchen Schattirung ohne Zuziehung der Urtheilskraft
und ohne etwas abzuaͤndern, zu erfinden.
Um einer Taͤuſchung dieſer Art auszuweichen iſt es am beſten, etwas daran abzuaͤndern;
entweder ſchon in der Folge der melodiſchen Toͤne eines Gedankens, oder wenn er letztern
wegen beſondern Intereſſe beibehalten will, wenigſtens dem Gegenſatze eine andere Wen-
dung zu geben. Iſt der Componiſt ernſtlich bemuͤht dies zu thun, ſo entgeht er gewiß
dem Vorwurfe der Entlehnung fremder Ideen; iſt er aber Egoiſt und von ſich einge-
nommen, daß alles, was ſich ſeiner Phantaſie vorſtellt, natuͤrlich Producte ſeiner Ge-
nialitaͤt ſein muͤſſen, ſo widerfaͤhrt ihm ſein Recht, naͤmlich: er behauptet ſeine Eigen-
heiten, das Publicum aber ſteht auch wie ein unerſchuͤtterlicher Fels und ohne nachzu-
geben da, weil es nicht noͤthig hat, ſich ſeine Hartnaͤckigkeit aufzwingen zu laſſen.
Nichts ſteht mithin der Vervollkommnung eines Componiſten mehr im Wege als
Eigenduͤnkel. Um diejenigen, die frei von dieſem ſind, meine fernern Anſichten nicht
vorzuenthalten, erlaube ich mir, etwas mehr hinzuzufuͤgen und durch Beiſpiele deutli-
cher zu machen. Geſetzt man fuͤhlte ſich geneigt bei dem Entwurfe eines Muſikſtuͤcks,
das eine religioͤſe Empfindung erwecken ſollte, einen Gedanken ſo auszudruͤcken, wie er
unſerer Phantaſie aus dem Marſche der Prieſter in der Zauberfloͤte vorſchwebt (weil die
Phantaſie doch immer an etwas Empfundenes appellirt)
[Abbildung]
ſo wuͤrde bis zu dem Zeichen × Jedermann ſogleich die Entlehnung des Gedankens er-
kennen, und darum eine Ungeduld empfinden, wenn nur die Haͤlfte des darauf folgen-
den Satzes hoͤrbar wuͤrde. Gaͤbe man aber dem darauf folgenden Satze ſowohl in
rhythmiſcher als melodiſcher Hinſicht eine Abaͤnderung, wodurch ſich vielleicht auch die
Modulation veraͤnderte, ohngefaͤhr auf dieſe Weiſe:
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