Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Siegemund, Justine: Königliche Preußische und Chur-Brandenburgische Hof-Wehe-Mutter. Cölln (Spree), 1690.

Bild:
<< vorherige Seite
Das III. Capitel
wilde seyn/ sondern durch das angesetzte Kind nicht die Stärcke
brauchen können/ wie sie solten. Wenn sich nun die Frucht oder
das Kind an dem Ansatz hält/ so wird durch Eingeben bey solchem
Zustande mit Gewalt geholffen/ und von der Weh-Mutter/ wie
auch von denen anwesenden Frauen/ scharff angemahnet/ daß ihr
die Kreisterin helffen sol. Dann beuget sich des Kindes Haupt/
als die Hirnschale/ und setzet einen Rand oder Reiffen (wie er ge-
nennet wird) hernach sitzen sie/ bis das Kind todt ist. Ja es muß
auch wohl die Frau ihr Leben drüber lassen/ denn es giebt sich
schwer von ihm selber ab/ auch vielmahl gar nicht/ sonderlich/ wenn
es ein groß Kind ist. Wenn nun die Weh-Mutter nicht weiß/
woran es fehlet/ so weiß sie auch nicht zu helffen/ sonst hätte sie im
Anfang dergleichen Gefahr verhütet. Dieses dienet dir zur Nach-
richt/ du kanst es bey nachdencklichem Angriffe gewahr werden.
Christ. Liebe Schwester/ mache mir doch dieses/
was bishero erzehlet/ besser bekandt.
Just. Ich wil es dir und meinem Nechsten zum besten/ so
viel mir bekandt worden/ ausführlich machen. Weil du denn
meinest/ daß offte die Frauen einen Tag kreisten/ da doch nichts
zu fühlen ist; Als bist du hierin irrig. Denn wenn eine Frau
einen Tag kreisten sol (ich sage kreisten/ und nicht unnöhtige o-
der wilde Wehen/ wie sie genennet werden/ wie offt geschiehet/
daß die Frauen wol zwey Tage kreisten auf das allerhärteste) so
muß einige Ursache verhanden seyn. Ich bin mehr als zu viel
dazu geholet worden/ daß ich die Weh-Mütter und Kreisterin-
nen entscheiden müssen/ und sind die Frauen hernach noch 4.
oder 5. Wochen gegangen. Was ist nun da vor eine Wissen-
schafft der Weh-Mutter/ oder woran fehlet es ihr? daß sie nicht
weiß/ was Mutter-Mund ist/ sonst würde sie das rechte und un-
rechte kreisten gar leicht unterscheiden können. Ich wil auf die
allgemeine Geburt kommen/ und dir deinen Irrthum zeigen we-
gen der Oeffnung/ da du vermeinest/ es käme mit einem starcken
Wehen
Das III. Capitel
wilde ſeyn/ ſondern durch das angeſetzte Kind nicht die Staͤrcke
brauchen koͤnnen/ wie ſie ſolten. Wenn ſich nun die Frucht oder
das Kind an dem Anſatz haͤlt/ ſo wird durch Eingeben bey ſolchem
Zuſtande mit Gewalt geholffen/ und von der Weh-Mutter/ wie
auch von denen anweſenden Frauen/ ſcharff angemahnet/ daß ihr
die Kreiſterin helffen ſol. Dann beuget ſich des Kindes Haupt/
als die Hirnſchale/ und ſetzet einen Rand oder Reiffen (wie er ge-
nennet wird) hernach ſitzen ſie/ bis das Kind todt iſt. Ja es muß
auch wohl die Frau ihr Leben druͤber laſſen/ denn es giebt ſich
ſchwer von ihm ſelber ab/ auch vielmahl gar nicht/ ſonderlich/ weñ
es ein groß Kind iſt. Wenn nun die Weh-Mutter nicht weiß/
woran es fehlet/ ſo weiß ſie auch nicht zu helffen/ ſonſt haͤtte ſie im
Anfang dergleichen Gefahr verhuͤtet. Dieſes dienet dir zur Nach-
richt/ du kanſt es bey nachdencklichem Angriffe gewahr werden.
Chriſt. Liebe Schweſter/ mache mir doch dieſes/
was bishero erzehlet/ beſſer bekandt.
Juſt. Ich wil es dir und meinem Nechſten zum beſten/ ſo
viel mir bekandt worden/ ausfuͤhrlich machen. Weil du denn
meineſt/ daß offte die Frauen einen Tag kreiſten/ da doch nichts
zu fuͤhlen iſt; Als biſt du hierin irrig. Denn wenn eine Frau
einen Tag kreiſten ſol (ich ſage kreiſten/ und nicht unnoͤhtige o-
der wilde Wehen/ wie ſie genennet werden/ wie offt geſchiehet/
daß die Frauen wol zwey Tage kreiſten auf das allerhaͤrteſte) ſo
muß einige Urſache verhanden ſeyn. Ich bin mehr als zu viel
dazu geholet worden/ daß ich die Weh-Muͤtter und Kreiſterin-
nen entſcheiden muͤſſen/ und ſind die Frauen hernach noch 4.
oder 5. Wochen gegangen. Was iſt nun da vor eine Wiſſen-
ſchafft der Weh-Mutter/ oder woran fehlet es ihr? daß ſie nicht
weiß/ was Mutter-Mund iſt/ ſonſt wuͤrde ſie das rechte und un-
rechte kreiſten gar leicht unterſcheiden koͤnnen. Ich wil auf die
allgemeine Geburt kommen/ und dir deinen Irrthum zeigen we-
gen der Oeffnung/ da du vermeineſt/ es kaͤme mit einem ſtarcken
Wehen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <sp who="#just">
            <p><pb facs="#f0089" n="24"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr">Das</hi><hi rendition="#aq">III.</hi><hi rendition="#fr">Capitel</hi></fw><lb/>
wilde &#x017F;eyn/ &#x017F;ondern durch das ange&#x017F;etzte Kind nicht die Sta&#x0364;rcke<lb/>
brauchen ko&#x0364;nnen/ wie &#x017F;ie &#x017F;olten. Wenn &#x017F;ich nun die Frucht oder<lb/>
das Kind an dem An&#x017F;atz ha&#x0364;lt/ &#x017F;o wird durch Eingeben bey &#x017F;olchem<lb/>
Zu&#x017F;tande mit Gewalt geholffen/ und von der Weh-Mutter/ wie<lb/>
auch von denen anwe&#x017F;enden Frauen/ &#x017F;charff angemahnet/ daß ihr<lb/>
die Krei&#x017F;terin helffen &#x017F;ol. Dann beuget &#x017F;ich des Kindes Haupt/<lb/>
als die Hirn&#x017F;chale/ und &#x017F;etzet einen Rand oder Reiffen (wie er ge-<lb/>
nennet wird) hernach &#x017F;itzen &#x017F;ie/ bis das Kind todt i&#x017F;t. Ja es muß<lb/>
auch wohl die Frau ihr Leben dru&#x0364;ber la&#x017F;&#x017F;en/ denn es giebt &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;chwer von ihm &#x017F;elber ab/ auch vielmahl gar nicht/ &#x017F;onderlich/ wen&#x0303;<lb/>
es ein groß Kind i&#x017F;t. Wenn nun die Weh-Mutter nicht weiß/<lb/>
woran es fehlet/ &#x017F;o weiß &#x017F;ie auch nicht zu helffen/ &#x017F;on&#x017F;t ha&#x0364;tte &#x017F;ie im<lb/>
Anfang dergleichen Gefahr verhu&#x0364;tet. Die&#x017F;es dienet dir zur Nach-<lb/>
richt/ du kan&#x017F;t es bey nachdencklichem Angriffe gewahr werden.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#christ">
            <speaker> <hi rendition="#aq">Chri&#x017F;t.</hi> </speaker>
            <p> <hi rendition="#fr">Liebe Schwe&#x017F;ter/ mache mir doch die&#x017F;es/<lb/>
was bishero erzehlet/ be&#x017F;&#x017F;er bekandt.</hi> </p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#just">
            <speaker> <hi rendition="#aq">Ju&#x017F;t.</hi> </speaker>
            <p>Ich wil es dir und meinem Nech&#x017F;ten zum be&#x017F;ten/ &#x017F;o<lb/>
viel mir bekandt worden/ ausfu&#x0364;hrlich machen. Weil du denn<lb/>
meine&#x017F;t/ daß offte die Frauen einen Tag krei&#x017F;ten/ da doch nichts<lb/>
zu fu&#x0364;hlen i&#x017F;t; Als bi&#x017F;t du hierin irrig. Denn wenn eine Frau<lb/>
einen Tag krei&#x017F;ten &#x017F;ol (ich &#x017F;age krei&#x017F;ten/ und nicht unno&#x0364;htige o-<lb/>
der wilde Wehen/ wie &#x017F;ie genennet werden/ wie offt ge&#x017F;chiehet/<lb/>
daß die Frauen wol zwey Tage krei&#x017F;ten auf das allerha&#x0364;rte&#x017F;te) &#x017F;o<lb/>
muß einige Ur&#x017F;ache verhanden &#x017F;eyn. Ich bin mehr als zu viel<lb/>
dazu geholet worden/ daß ich die Weh-Mu&#x0364;tter und Krei&#x017F;terin-<lb/>
nen ent&#x017F;cheiden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en/ und &#x017F;ind die Frauen hernach noch 4.<lb/>
oder 5. Wochen gegangen. Was i&#x017F;t nun da vor eine Wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chafft der Weh-Mutter/ oder woran fehlet es ihr? daß &#x017F;ie nicht<lb/>
weiß/ was Mutter-Mund i&#x017F;t/ &#x017F;on&#x017F;t wu&#x0364;rde &#x017F;ie das rechte und un-<lb/>
rechte krei&#x017F;ten gar leicht unter&#x017F;cheiden ko&#x0364;nnen. Ich wil auf die<lb/>
allgemeine Geburt kommen/ und dir deinen Irrthum zeigen we-<lb/>
gen der Oeffnung/ da du vermeine&#x017F;t/ es ka&#x0364;me mit einem &#x017F;tarcken<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Wehen</fw><lb/></p>
          </sp>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0089] Das III. Capitel wilde ſeyn/ ſondern durch das angeſetzte Kind nicht die Staͤrcke brauchen koͤnnen/ wie ſie ſolten. Wenn ſich nun die Frucht oder das Kind an dem Anſatz haͤlt/ ſo wird durch Eingeben bey ſolchem Zuſtande mit Gewalt geholffen/ und von der Weh-Mutter/ wie auch von denen anweſenden Frauen/ ſcharff angemahnet/ daß ihr die Kreiſterin helffen ſol. Dann beuget ſich des Kindes Haupt/ als die Hirnſchale/ und ſetzet einen Rand oder Reiffen (wie er ge- nennet wird) hernach ſitzen ſie/ bis das Kind todt iſt. Ja es muß auch wohl die Frau ihr Leben druͤber laſſen/ denn es giebt ſich ſchwer von ihm ſelber ab/ auch vielmahl gar nicht/ ſonderlich/ weñ es ein groß Kind iſt. Wenn nun die Weh-Mutter nicht weiß/ woran es fehlet/ ſo weiß ſie auch nicht zu helffen/ ſonſt haͤtte ſie im Anfang dergleichen Gefahr verhuͤtet. Dieſes dienet dir zur Nach- richt/ du kanſt es bey nachdencklichem Angriffe gewahr werden. Chriſt. Liebe Schweſter/ mache mir doch dieſes/ was bishero erzehlet/ beſſer bekandt. Juſt. Ich wil es dir und meinem Nechſten zum beſten/ ſo viel mir bekandt worden/ ausfuͤhrlich machen. Weil du denn meineſt/ daß offte die Frauen einen Tag kreiſten/ da doch nichts zu fuͤhlen iſt; Als biſt du hierin irrig. Denn wenn eine Frau einen Tag kreiſten ſol (ich ſage kreiſten/ und nicht unnoͤhtige o- der wilde Wehen/ wie ſie genennet werden/ wie offt geſchiehet/ daß die Frauen wol zwey Tage kreiſten auf das allerhaͤrteſte) ſo muß einige Urſache verhanden ſeyn. Ich bin mehr als zu viel dazu geholet worden/ daß ich die Weh-Muͤtter und Kreiſterin- nen entſcheiden muͤſſen/ und ſind die Frauen hernach noch 4. oder 5. Wochen gegangen. Was iſt nun da vor eine Wiſſen- ſchafft der Weh-Mutter/ oder woran fehlet es ihr? daß ſie nicht weiß/ was Mutter-Mund iſt/ ſonſt wuͤrde ſie das rechte und un- rechte kreiſten gar leicht unterſcheiden koͤnnen. Ich wil auf die allgemeine Geburt kommen/ und dir deinen Irrthum zeigen we- gen der Oeffnung/ da du vermeineſt/ es kaͤme mit einem ſtarcken Wehen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/siegemund_unterricht_1690
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/siegemund_unterricht_1690/89
Zitationshilfe: Siegemund, Justine: Königliche Preußische und Chur-Brandenburgische Hof-Wehe-Mutter. Cölln (Spree), 1690, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siegemund_unterricht_1690/89>, abgerufen am 22.11.2024.