Siegemund, Justine: Königliche Preußische und Chur-Brandenburgische Hof-Wehe-Mutter. Cölln (Spree), 1690.Von der Nachburt. geburt fördern solte/ es geschähe durch den Angriff oder durch star-ckes Eingeben/ großer Blutstürtzung befürchtete/ welches ich auff meine Verantwortung nicht thun wolte. Also ward der Herr Stadt-Physicus zu Hülffe geruffen/ welcher vor rathsam befand/ man solte nicht eilen/ geschähe es doch offters/ daß die Nachge- burt etliche Tage zurücke bliebe/ vielleicht lösete sie sich nach und nach. Wie wir aber in solcher Unterredung in der andern Stube noch bey sammen waren/ kommet ein Geschrey/ die Frau stür- be. Wir eileten in der Sechswöchnerin ihre Stube/ und fanden die Frau in der schweren Noth liegen. Als ich sie aber zu reiben und zu kühlen anfing/ so erholte sie sich wieder/ und wuste nicht/ wie ihr geschehen wäre/ außer daß sie einen Wehen gehabt/ darauf wäre ihr gar wol worden. Wie ich aber zu ihr sehen wolte/ ob der Wehen mit dieser gewaltsamen Kranckheit vielleicht die Nachgeburt gelöset hätte/ fand ich sie im Blute lie- gen übernatürlich/ die Nabelschnure aber war so kurtz/ und unmöglich zu gewinnen/ wie vorhin. Es währete nicht lange/ so fand sich wieder ein Wehen sammt einem starcken Bluter- gießen und der schweren Noth. Der Hr. Doctor sahe mit zu/ und verschrieb bald wider die Blutstürtzung/ so viel ihm mö- glich war. Es ließ sich aber nicht halten/ bis sie in der fünfften Stunde verschied. Dieses war das erste Unglück/ welches ich die gantze Zeit über gehabt. Hernach habe ich wieder mehr denn Zweyhundert Kinder ausgebadet/ und dergleichen Zufall nicht erfahren. Dennoch war ich nicht hienüber/ so führte mich GOtt zum andernmahl/ auch in Liegnitz/ eben mit der Nachgeburt bey der Frau Lorentzin/ gleichsam in die Schule. Aber auf eine solche Weise: Die Nachgeburt wolte nicht fort/ als suchte ich/ wie ich gewohnet war/ fand aber nichts in der Mutter/ als die bloße Nabelschnure sammt dem Netze/ welches das Wasser beschleußt/ beyderseits gantz trocken in der Mutter angewachsen. Von dem Leberkuchen/ welches das größte an der Nachgeburt pfleget zu seyn/ war P 3
Von der Nachburt. geburt foͤrdern ſolte/ es geſchaͤhe durch den Angriff oder durch ſtar-ckes Eingeben/ großer Blutſtuͤrtzung befuͤrchtete/ welches ich auff meine Verantwortung nicht thun wolte. Alſo ward der Herr Stadt-Phyſicus zu Huͤlffe geruffen/ welcher vor rathſam befand/ man ſolte nicht eilen/ geſchaͤhe es doch offters/ daß die Nachge- burt etliche Tage zuruͤcke bliebe/ vielleicht loͤſete ſie ſich nach und nach. Wie wir aber in ſolcher Unterredung in der andern Stube noch bey ſammen waren/ kommet ein Geſchrey/ die Frau ſtuͤr- be. Wir eileten in der Sechswoͤchnerin ihre Stube/ und fanden die Frau in der ſchweren Noth liegen. Als ich ſie aber zu reiben und zu kuͤhlen anfing/ ſo erholte ſie ſich wieder/ und wuſte nicht/ wie ihr geſchehen waͤre/ außer daß ſie einen Wehen gehabt/ darauf waͤre ihr gar wol worden. Wie ich aber zu ihr ſehen wolte/ ob der Wehen mit dieſer gewaltſamen Kranckheit vielleicht die Nachgeburt geloͤſet haͤtte/ fand ich ſie im Blute lie- gen uͤbernatuͤrlich/ die Nabelſchnure aber war ſo kurtz/ und unmoͤglich zu gewinnen/ wie vorhin. Es waͤhrete nicht lange/ ſo fand ſich wieder ein Wehen ſammt einem ſtarcken Bluter- gießen und der ſchweren Noth. Der Hr. Doctor ſahe mit zu/ und verſchrieb bald wider die Blutſtuͤrtzung/ ſo viel ihm moͤ- glich war. Es ließ ſich aber nicht halten/ bis ſie in der fuͤnfften Stunde verſchied. Dieſes war das erſte Ungluͤck/ welches ich die gantze Zeit uͤber gehabt. Hernach habe ich wieder mehr denn Zweyhundert Kinder ausgebadet/ und dergleichen Zufall nicht erfahren. Dennoch war ich nicht hienuͤber/ ſo fuͤhrte mich GOtt zum andernmahl/ auch in Liegnitz/ eben mit der Nachgeburt bey der Frau Lorentzin/ gleichſam in die Schule. Aber auf eine ſolche Weiſe: Die Nachgeburt wolte nicht fort/ als ſuchte ich/ wie ich gewohnet war/ fand aber nichts in der Mutter/ als die bloße Nabelſchnure ſammt dem Netze/ welches das Waſſer beſchleußt/ beyderſeits gantz trocken in der Mutter angewachſen. Von dem Leberkuchen/ welches das groͤßte an der Nachgeburt pfleget zu ſeyn/ war P 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#just"> <p><pb facs="#f0244" n="117"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr">Von der Nachburt.</hi></fw><lb/> geburt foͤrdern ſolte/ es geſchaͤhe durch den Angriff oder durch ſtar-<lb/> ckes Eingeben/ großer Blutſtuͤrtzung befuͤrchtete/ welches ich auff<lb/> meine Verantwortung nicht thun wolte. Alſo ward der Herr<lb/> Stadt-<hi rendition="#aq">Phyſicus</hi> zu Huͤlffe geruffen/ welcher vor rathſam befand/<lb/> man ſolte nicht eilen/ geſchaͤhe es doch offters/ daß die Nachge-<lb/> burt etliche Tage zuruͤcke bliebe/ vielleicht loͤſete ſie ſich nach und<lb/> nach. Wie wir aber in ſolcher Unterredung in der andern Stube<lb/> noch bey ſammen waren/ kommet ein Geſchrey/ die Frau ſtuͤr-<lb/> be. Wir eileten in der Sechswoͤchnerin ihre Stube/ und<lb/> fanden die Frau in der ſchweren Noth liegen. Als ich ſie aber<lb/> zu reiben und zu kuͤhlen anfing/ ſo erholte ſie ſich wieder/ und<lb/> wuſte nicht/ wie ihr geſchehen waͤre/ außer daß ſie einen Wehen<lb/> gehabt/ darauf waͤre ihr gar wol worden. Wie ich aber zu ihr<lb/> ſehen wolte/ ob der Wehen mit dieſer gewaltſamen Kranckheit<lb/> vielleicht die Nachgeburt geloͤſet haͤtte/ fand ich ſie im Blute lie-<lb/> gen uͤbernatuͤrlich/ die Nabelſchnure aber war ſo kurtz/ und<lb/> unmoͤglich zu gewinnen/ wie vorhin. Es waͤhrete nicht lange/<lb/> ſo fand ſich wieder ein Wehen ſammt einem ſtarcken Bluter-<lb/> gießen und der ſchweren Noth. Der Hr. <hi rendition="#aq">Doctor</hi> ſahe mit zu/<lb/> und verſchrieb bald wider die Blutſtuͤrtzung/ ſo viel ihm moͤ-<lb/> glich war. Es ließ ſich aber nicht halten/ bis ſie in der fuͤnfften<lb/> Stunde verſchied. Dieſes war das erſte Ungluͤck/ welches ich<lb/> die gantze Zeit uͤber gehabt. Hernach habe ich wieder mehr denn<lb/> Zweyhundert Kinder ausgebadet/ und dergleichen Zufall nicht<lb/> erfahren. Dennoch war ich nicht hienuͤber/ ſo fuͤhrte mich GOtt<lb/> zum andernmahl/ auch in Liegnitz/ eben mit der Nachgeburt bey<lb/> der Frau Lorentzin/ gleichſam in die Schule. Aber auf eine ſolche<lb/> Weiſe: Die Nachgeburt wolte nicht fort/ als ſuchte ich/ wie ich<lb/> gewohnet war/ fand aber nichts in der Mutter/ als die bloße<lb/> Nabelſchnure ſammt dem Netze/ welches das Waſſer beſchleußt/<lb/> beyderſeits gantz trocken in der Mutter angewachſen. Von dem<lb/> Leberkuchen/ welches das groͤßte an der Nachgeburt pfleget zu ſeyn/<lb/> <fw place="bottom" type="sig">P 3</fw><fw place="bottom" type="catch">war</fw><lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [117/0244]
Von der Nachburt.
geburt foͤrdern ſolte/ es geſchaͤhe durch den Angriff oder durch ſtar-
ckes Eingeben/ großer Blutſtuͤrtzung befuͤrchtete/ welches ich auff
meine Verantwortung nicht thun wolte. Alſo ward der Herr
Stadt-Phyſicus zu Huͤlffe geruffen/ welcher vor rathſam befand/
man ſolte nicht eilen/ geſchaͤhe es doch offters/ daß die Nachge-
burt etliche Tage zuruͤcke bliebe/ vielleicht loͤſete ſie ſich nach und
nach. Wie wir aber in ſolcher Unterredung in der andern Stube
noch bey ſammen waren/ kommet ein Geſchrey/ die Frau ſtuͤr-
be. Wir eileten in der Sechswoͤchnerin ihre Stube/ und
fanden die Frau in der ſchweren Noth liegen. Als ich ſie aber
zu reiben und zu kuͤhlen anfing/ ſo erholte ſie ſich wieder/ und
wuſte nicht/ wie ihr geſchehen waͤre/ außer daß ſie einen Wehen
gehabt/ darauf waͤre ihr gar wol worden. Wie ich aber zu ihr
ſehen wolte/ ob der Wehen mit dieſer gewaltſamen Kranckheit
vielleicht die Nachgeburt geloͤſet haͤtte/ fand ich ſie im Blute lie-
gen uͤbernatuͤrlich/ die Nabelſchnure aber war ſo kurtz/ und
unmoͤglich zu gewinnen/ wie vorhin. Es waͤhrete nicht lange/
ſo fand ſich wieder ein Wehen ſammt einem ſtarcken Bluter-
gießen und der ſchweren Noth. Der Hr. Doctor ſahe mit zu/
und verſchrieb bald wider die Blutſtuͤrtzung/ ſo viel ihm moͤ-
glich war. Es ließ ſich aber nicht halten/ bis ſie in der fuͤnfften
Stunde verſchied. Dieſes war das erſte Ungluͤck/ welches ich
die gantze Zeit uͤber gehabt. Hernach habe ich wieder mehr denn
Zweyhundert Kinder ausgebadet/ und dergleichen Zufall nicht
erfahren. Dennoch war ich nicht hienuͤber/ ſo fuͤhrte mich GOtt
zum andernmahl/ auch in Liegnitz/ eben mit der Nachgeburt bey
der Frau Lorentzin/ gleichſam in die Schule. Aber auf eine ſolche
Weiſe: Die Nachgeburt wolte nicht fort/ als ſuchte ich/ wie ich
gewohnet war/ fand aber nichts in der Mutter/ als die bloße
Nabelſchnure ſammt dem Netze/ welches das Waſſer beſchleußt/
beyderſeits gantz trocken in der Mutter angewachſen. Von dem
Leberkuchen/ welches das groͤßte an der Nachgeburt pfleget zu ſeyn/
war
P 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/siegemund_unterricht_1690 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/siegemund_unterricht_1690/244 |
Zitationshilfe: | Siegemund, Justine: Königliche Preußische und Chur-Brandenburgische Hof-Wehe-Mutter. Cölln (Spree), 1690, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siegemund_unterricht_1690/244>, abgerufen am 27.07.2024. |