Von Gannewitz aus ist ein hoher furchtbar steiler Berg, weit steiler als der Sömmering; so dass vier und dreyssig Ochsen und sechs Pferde an einem Frachtwa¬ gen zogen, den die sechs Pferde auf gewöhnlichen Wegen allein fort brachten. Die Berge sind hier mei¬ stens mit schönen Buchen bewachsen, da sie an der Murr fast durchaus mit Schwarzwald bedeckt sind.
In Cilly kam ich ziemlich spät an, und that mir güt¬ lich in sehr gutem Bier, das nun ziemlich selten zu wer¬ den anfängt. Ich muss aus Verzweiflung Wein trin¬ ken, und zwar viel; denn sonst würde man mich ohne Barmherzigkeit auf ein Strohlager weisen, und wenn ich auch noch so sehr mit dem Gelde klingelte. Es wurde hier bey meiner späten Ankunft so stark ge¬ schossen und geschrien, dass ich glaubte es wäre Re¬ volution im Lande. Wie ich näher kam hörte ich, dass es Schlittenfahrten waren. In Cilly hätte ich auch bald meine Laufbahn geschlossen: das ging so zu. Ich ass gut und viel, wie gewöhnlich, in der Wirthsstube, und hatte bestellt, mir ein gutes Zimmer recht warm zu machen, weil es fürchterlich kalt war: denn die steyermärkischen und krainerischen Winter halten sich in gutem Kredit, und der jetzige ist vor¬ züglich strenge. Nach der Mahlzeit ging ich auf das Zimmer, zog mich aus, stellte mich einige Minuten an den Ofen, und legte mich zu Bette. Du weisst dass ich ein gar gesunder Kerl bin und jeden Tag gut esse, und jede Nacht gut schlafe. So auch hier. Aber es mochte vielleicht gegen vier Uhr des Morgens seyn, als ich durch eine furchtbare Angst geweckt wurde und den Kopf kaum heben konnte. So viel hatte ich
Von Gannewitz aus ist ein hoher furchtbar steiler Berg, weit steiler als der Sömmering; so daſs vier und dreyſsig Ochsen und sechs Pferde an einem Frachtwa¬ gen zogen, den die sechs Pferde auf gewöhnlichen Wegen allein fort brachten. Die Berge sind hier mei¬ stens mit schönen Buchen bewachsen, da sie an der Murr fast durchaus mit Schwarzwald bedeckt sind.
In Cilly kam ich ziemlich spät an, und that mir güt¬ lich in sehr gutem Bier, das nun ziemlich selten zu wer¬ den anfängt. Ich muſs aus Verzweiflung Wein trin¬ ken, und zwar viel; denn sonst würde man mich ohne Barmherzigkeit auf ein Strohlager weisen, und wenn ich auch noch so sehr mit dem Gelde klingelte. Es wurde hier bey meiner späten Ankunft so stark ge¬ schossen und geschrien, daſs ich glaubte es wäre Re¬ volution im Lande. Wie ich näher kam hörte ich, daſs es Schlittenfahrten waren. In Cilly hätte ich auch bald meine Laufbahn geschlossen: das ging so zu. Ich aſs gut und viel, wie gewöhnlich, in der Wirthsstube, und hatte bestellt, mir ein gutes Zimmer recht warm zu machen, weil es fürchterlich kalt war: denn die steyermärkischen und krainerischen Winter halten sich in gutem Kredit, und der jetzige ist vor¬ züglich strenge. Nach der Mahlzeit ging ich auf das Zimmer, zog mich aus, stellte mich einige Minuten an den Ofen, und legte mich zu Bette. Du weiſst daſs ich ein gar gesunder Kerl bin und jeden Tag gut esse, und jede Nacht gut schlafe. So auch hier. Aber es mochte vielleicht gegen vier Uhr des Morgens seyn, als ich durch eine furchtbare Angst geweckt wurde und den Kopf kaum heben konnte. So viel hatte ich
<TEI><text><body><div><pbfacs="#f0087"n="61"/><p>Von Gannewitz aus ist ein hoher furchtbar steiler<lb/>
Berg, weit steiler als der Sömmering; so daſs vier und<lb/>
dreyſsig Ochsen und sechs Pferde an einem Frachtwa¬<lb/>
gen zogen, den die sechs Pferde auf gewöhnlichen<lb/>
Wegen allein fort brachten. Die Berge sind hier mei¬<lb/>
stens mit schönen Buchen bewachsen, da sie an der<lb/>
Murr fast durchaus mit Schwarzwald bedeckt sind.</p><lb/><p>In Cilly kam ich ziemlich spät an, und that mir güt¬<lb/>
lich in sehr gutem Bier, das nun ziemlich selten zu wer¬<lb/>
den anfängt. Ich muſs aus Verzweiflung Wein trin¬<lb/>
ken, und zwar viel; denn sonst würde man mich ohne<lb/>
Barmherzigkeit auf ein Strohlager weisen, und wenn<lb/>
ich auch noch so sehr mit dem Gelde klingelte. Es<lb/>
wurde hier bey meiner späten Ankunft so stark ge¬<lb/>
schossen und geschrien, daſs ich glaubte es wäre Re¬<lb/>
volution im Lande. Wie ich näher kam hörte ich,<lb/>
daſs es Schlittenfahrten waren. In Cilly hätte ich<lb/>
auch bald meine Laufbahn geschlossen: das ging so<lb/>
zu. Ich aſs gut und viel, wie gewöhnlich, in der<lb/>
Wirthsstube, und hatte bestellt, mir ein gutes Zimmer<lb/>
recht warm zu machen, weil es fürchterlich kalt war:<lb/>
denn die steyermärkischen und krainerischen Winter<lb/>
halten sich in gutem Kredit, und der jetzige ist vor¬<lb/>
züglich strenge. Nach der Mahlzeit ging ich auf das<lb/>
Zimmer, zog mich aus, stellte mich einige Minuten an<lb/>
den Ofen, und legte mich zu Bette. Du weiſst daſs<lb/>
ich ein gar gesunder Kerl bin und jeden Tag gut esse,<lb/>
und jede Nacht gut schlafe. So auch hier. Aber es<lb/>
mochte vielleicht gegen vier Uhr des Morgens seyn,<lb/>
als ich durch eine furchtbare Angst geweckt wurde<lb/>
und den Kopf kaum heben konnte. So viel hatte ich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[61/0087]
Von Gannewitz aus ist ein hoher furchtbar steiler
Berg, weit steiler als der Sömmering; so daſs vier und
dreyſsig Ochsen und sechs Pferde an einem Frachtwa¬
gen zogen, den die sechs Pferde auf gewöhnlichen
Wegen allein fort brachten. Die Berge sind hier mei¬
stens mit schönen Buchen bewachsen, da sie an der
Murr fast durchaus mit Schwarzwald bedeckt sind.
In Cilly kam ich ziemlich spät an, und that mir güt¬
lich in sehr gutem Bier, das nun ziemlich selten zu wer¬
den anfängt. Ich muſs aus Verzweiflung Wein trin¬
ken, und zwar viel; denn sonst würde man mich ohne
Barmherzigkeit auf ein Strohlager weisen, und wenn
ich auch noch so sehr mit dem Gelde klingelte. Es
wurde hier bey meiner späten Ankunft so stark ge¬
schossen und geschrien, daſs ich glaubte es wäre Re¬
volution im Lande. Wie ich näher kam hörte ich,
daſs es Schlittenfahrten waren. In Cilly hätte ich
auch bald meine Laufbahn geschlossen: das ging so
zu. Ich aſs gut und viel, wie gewöhnlich, in der
Wirthsstube, und hatte bestellt, mir ein gutes Zimmer
recht warm zu machen, weil es fürchterlich kalt war:
denn die steyermärkischen und krainerischen Winter
halten sich in gutem Kredit, und der jetzige ist vor¬
züglich strenge. Nach der Mahlzeit ging ich auf das
Zimmer, zog mich aus, stellte mich einige Minuten an
den Ofen, und legte mich zu Bette. Du weiſst daſs
ich ein gar gesunder Kerl bin und jeden Tag gut esse,
und jede Nacht gut schlafe. So auch hier. Aber es
mochte vielleicht gegen vier Uhr des Morgens seyn,
als ich durch eine furchtbare Angst geweckt wurde
und den Kopf kaum heben konnte. So viel hatte ich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/87>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.