Von Schottwien bis hierher war heute in der Mitte des Januars eine tüchtige Wandlung. Der Sömmering ist kein Maulwurfshügel; es hatte die zweyte Hälfte der Nacht entsetzlich geschneyt; der Schnee ging mir hoch an die Waden; ich wusste keinen Schritt Weg, und es war durchaus keine Bahn. Einige Mahl lief ich den Morgen noch im Finstern unten im Thal zu weit links, und musste durch Verschläge in dem tie¬ fen Schnee die grosse Strasse wieder suchen. Nun ging es bergan zwey Stunden, und nach und nach ka¬ men einige Fuhrleute den Sömmering herab, und zeig¬ ten mir wenigstens, dass ich dort hin musste, wo sie kerkamen. Links und rechts waren hohe Berge, mit Schwarzwald bewachsen, der mit Schnee behangen war; und man konnte vor dem Gestöber kaum zwan¬ zig Schritte sehen. Oben auf den Bergabsätzen begeg¬ neten mir einige Reisewagen, die in dem schlechten Wege nicht fort konnten. Der Frost hielt noch nicht, und überdiess waren die Gleise entsetzlich ausgeleyert. Herren und Bedienten waren abgestiegen und halfen fluchend dem Postillon das leere Fuhrwerk Schritt vor Schritt weiter hinauf winden. Ich wechselte die Schluchten bergauf bergab, und trabte zum grossen Neide der dick bepelzten Herren an dem englischen Wagen fürbass. Ein andermahl rollten sie vor mir vorbey, wenn ich langsam fort zog. So gehts in der Welt: sie gingen schneller, ich ging sicherer. Auf die¬ ser Seite des Sömmerings kommt aus verschiedenen
4
Mürzhofen.
Von Schottwien bis hierher war heute in der Mitte des Januars eine tüchtige Wandlung. Der Sömmering ist kein Maulwurfshügel; es hatte die zweyte Hälfte der Nacht entsetzlich geschneyt; der Schnee ging mir hoch an die Waden; ich wuſste keinen Schritt Weg, und es war durchaus keine Bahn. Einige Mahl lief ich den Morgen noch im Finstern unten im Thal zu weit links, und muſste durch Verschläge in dem tie¬ fen Schnee die groſse Straſse wieder suchen. Nun ging es bergan zwey Stunden, und nach und nach ka¬ men einige Fuhrleute den Sömmering herab, und zeig¬ ten mir wenigstens, daſs ich dort hin muſste, wo sie kerkamen. Links und rechts waren hohe Berge, mit Schwarzwald bewachsen, der mit Schnee behangen war; und man konnte vor dem Gestöber kaum zwan¬ zig Schritte sehen. Oben auf den Bergabsätzen begeg¬ neten mir einige Reisewagen, die in dem schlechten Wege nicht fort konnten. Der Frost hielt noch nicht, und überdieſs waren die Gleise entsetzlich ausgeleyert. Herren und Bedienten waren abgestiegen und halfen fluchend dem Postillon das leere Fuhrwerk Schritt vor Schritt weiter hinauf winden. Ich wechselte die Schluchten bergauf bergab, und trabte zum groſsen Neide der dick bepelzten Herren an dem englischen Wagen fürbaſs. Ein andermahl rollten sie vor mir vorbey, wenn ich langsam fort zog. So gehts in der Welt: sie gingen schneller, ich ging sicherer. Auf die¬ ser Seite des Sömmerings kommt aus verschiedenen
4
<TEI><text><body><pbfacs="#f0075"n="[49]"/><div><dateline><hirendition="#right"><hirendition="#g">Mürzhofen</hi>.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">V</hi>on Schottwien bis hierher war heute in der Mitte<lb/>
des Januars eine tüchtige Wandlung. Der Sömmering<lb/>
ist kein Maulwurfshügel; es hatte die zweyte Hälfte<lb/>
der Nacht entsetzlich geschneyt; der Schnee ging mir<lb/>
hoch an die Waden; ich wuſste keinen Schritt Weg,<lb/>
und es war durchaus keine Bahn. Einige Mahl lief<lb/>
ich den Morgen noch im Finstern unten im Thal zu<lb/>
weit links, und muſste durch Verschläge in dem tie¬<lb/>
fen Schnee die groſse Straſse wieder suchen. Nun<lb/>
ging es bergan zwey Stunden, und nach und nach ka¬<lb/>
men einige Fuhrleute den Sömmering herab, und zeig¬<lb/>
ten mir wenigstens, daſs ich dort hin muſste, wo sie<lb/>
kerkamen. Links und rechts waren hohe Berge, mit<lb/>
Schwarzwald bewachsen, der mit Schnee behangen<lb/>
war; und man konnte vor dem Gestöber kaum zwan¬<lb/>
zig Schritte sehen. Oben auf den Bergabsätzen begeg¬<lb/>
neten mir einige Reisewagen, die in dem schlechten<lb/>
Wege nicht fort konnten. Der Frost hielt noch nicht,<lb/>
und überdieſs waren die Gleise entsetzlich ausgeleyert.<lb/>
Herren und Bedienten waren abgestiegen und halfen<lb/>
fluchend dem Postillon das leere Fuhrwerk Schritt vor<lb/>
Schritt weiter hinauf winden. Ich wechselte die<lb/>
Schluchten bergauf bergab, und trabte zum groſsen<lb/>
Neide der dick bepelzten Herren an dem englischen<lb/>
Wagen fürbaſs. Ein andermahl rollten sie vor mir<lb/>
vorbey, wenn ich langsam fort zog. So gehts in der<lb/>
Welt: sie gingen schneller, ich ging sicherer. Auf die¬<lb/>
ser Seite des Sömmerings kommt aus verschiedenen<lb/><fwplace="bottom"type="sig">4<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[[49]/0075]
Mürzhofen.
Von Schottwien bis hierher war heute in der Mitte
des Januars eine tüchtige Wandlung. Der Sömmering
ist kein Maulwurfshügel; es hatte die zweyte Hälfte
der Nacht entsetzlich geschneyt; der Schnee ging mir
hoch an die Waden; ich wuſste keinen Schritt Weg,
und es war durchaus keine Bahn. Einige Mahl lief
ich den Morgen noch im Finstern unten im Thal zu
weit links, und muſste durch Verschläge in dem tie¬
fen Schnee die groſse Straſse wieder suchen. Nun
ging es bergan zwey Stunden, und nach und nach ka¬
men einige Fuhrleute den Sömmering herab, und zeig¬
ten mir wenigstens, daſs ich dort hin muſste, wo sie
kerkamen. Links und rechts waren hohe Berge, mit
Schwarzwald bewachsen, der mit Schnee behangen
war; und man konnte vor dem Gestöber kaum zwan¬
zig Schritte sehen. Oben auf den Bergabsätzen begeg¬
neten mir einige Reisewagen, die in dem schlechten
Wege nicht fort konnten. Der Frost hielt noch nicht,
und überdieſs waren die Gleise entsetzlich ausgeleyert.
Herren und Bedienten waren abgestiegen und halfen
fluchend dem Postillon das leere Fuhrwerk Schritt vor
Schritt weiter hinauf winden. Ich wechselte die
Schluchten bergauf bergab, und trabte zum groſsen
Neide der dick bepelzten Herren an dem englischen
Wagen fürbaſs. Ein andermahl rollten sie vor mir
vorbey, wenn ich langsam fort zog. So gehts in der
Welt: sie gingen schneller, ich ging sicherer. Auf die¬
ser Seite des Sömmerings kommt aus verschiedenen
4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. [49]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/75>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.