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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Ich erinnere mich eines drolligen, halb ernsthaf¬
ten, halb komischen Auftritts in einem Wirthshause,
der auf die übergrosse Aengstlichkeit in der Residenz
Bezug hatte. Ein alter ehrlicher, eben nicht sehr po¬
litischer Oberstlieutenant hatte während des Krieges bey
der Armee in Italien gestanden und sich dort gewöhnt,
recht jovialisch lustig zu seyn. Seine Geschäfte hatten
ihn in die Residenz gerufen, und er fand da an öffent¬
lichen Orten überall eine Klosterstille. Das war ihm
sehr missbehaglich. Einige Tage hielt er es aus, dann
brach er bey einem Glase Wein ächt soldatisch laut
hervor und sagte mit ganz drolliger Unbefangenheit:
"Was, zum Teufel, ist denn das hier für ein ver¬
dammt frommes Wesen in Wien? Kann man denn hier
nicht sprechen? Oder ist die ganze Residenz eine
grosse Karthause? Man kommt ja hier in Gefahr das
Reden zu verlernen. Oder darf man hier nicht reden?
Ich habe so etwas gehört, dass man überall lauern
lässt: ist das wahr? Hole der Henker die Mummerey!
Ich kann das nicht aushalten; und ich will laut reden
und lustig seyn." Du hättest die Gesichter der Gesell¬
schaft bey dieser Ouvertüre sehen sollen. Einige wa¬
ren ernst, die andern erschrocken; andere lächelten,
andere nickten gefällig und bedeutend über den Spass:
aber niemand schloss sich an den alten Haudegen an.
Ich werde machen, sagte dieser, dass ich wieder zur
Armee komme; Das todte Wesen gefällt mir nicht.

Als die Franzosen bis in die Nähe von Wien vor¬
gedrungen waren, soll sich, die Magnaten und ihre
Kreaturen etwa ausgenommen, niemand vor dem
Feinde gefürchtet haben: aber desto grösser war die

Ich erinnere mich eines drolligen, halb ernsthaf¬
ten, halb komischen Auftritts in einem Wirthshause,
der auf die übergroſse Aengstlichkeit in der Residenz
Bezug hatte. Ein alter ehrlicher, eben nicht sehr po¬
litischer Oberstlieutenant hatte während des Krieges bey
der Armee in Italien gestanden und sich dort gewöhnt,
recht jovialisch lustig zu seyn. Seine Geschäfte hatten
ihn in die Residenz gerufen, und er fand da an öffent¬
lichen Orten überall eine Klosterstille. Das war ihm
sehr miſsbehaglich. Einige Tage hielt er es aus, dann
brach er bey einem Glase Wein ächt soldatisch laut
hervor und sagte mit ganz drolliger Unbefangenheit:
„Was, zum Teufel, ist denn das hier für ein ver¬
dammt frommes Wesen in Wien? Kann man denn hier
nicht sprechen? Oder ist die ganze Residenz eine
groſse Karthause? Man kommt ja hier in Gefahr das
Reden zu verlernen. Oder darf man hier nicht reden?
Ich habe so etwas gehört, daſs man überall lauern
läſst: ist das wahr? Hole der Henker die Mummerey!
Ich kann das nicht aushalten; und ich will laut reden
und lustig seyn.“ Du hättest die Gesichter der Gesell¬
schaft bey dieser Ouvertüre sehen sollen. Einige wa¬
ren ernst, die andern erschrocken; andere lächelten,
andere nickten gefällig und bedeutend über den Spaſs:
aber niemand schloſs sich an den alten Haudegen an.
Ich werde machen, sagte dieser, daſs ich wieder zur
Armee komme; Das todte Wesen gefällt mir nicht.

Als die Franzosen bis in die Nähe von Wien vor¬
gedrungen waren, soll sich, die Magnaten und ihre
Kreaturen etwa ausgenommen, niemand vor dem
Feinde gefürchtet haben: aber desto gröſser war die

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[37/0063] Ich erinnere mich eines drolligen, halb ernsthaf¬ ten, halb komischen Auftritts in einem Wirthshause, der auf die übergroſse Aengstlichkeit in der Residenz Bezug hatte. Ein alter ehrlicher, eben nicht sehr po¬ litischer Oberstlieutenant hatte während des Krieges bey der Armee in Italien gestanden und sich dort gewöhnt, recht jovialisch lustig zu seyn. Seine Geschäfte hatten ihn in die Residenz gerufen, und er fand da an öffent¬ lichen Orten überall eine Klosterstille. Das war ihm sehr miſsbehaglich. Einige Tage hielt er es aus, dann brach er bey einem Glase Wein ächt soldatisch laut hervor und sagte mit ganz drolliger Unbefangenheit: „Was, zum Teufel, ist denn das hier für ein ver¬ dammt frommes Wesen in Wien? Kann man denn hier nicht sprechen? Oder ist die ganze Residenz eine groſse Karthause? Man kommt ja hier in Gefahr das Reden zu verlernen. Oder darf man hier nicht reden? Ich habe so etwas gehört, daſs man überall lauern läſst: ist das wahr? Hole der Henker die Mummerey! Ich kann das nicht aushalten; und ich will laut reden und lustig seyn.“ Du hättest die Gesichter der Gesell¬ schaft bey dieser Ouvertüre sehen sollen. Einige wa¬ ren ernst, die andern erschrocken; andere lächelten, andere nickten gefällig und bedeutend über den Spaſs: aber niemand schloſs sich an den alten Haudegen an. Ich werde machen, sagte dieser, daſs ich wieder zur Armee komme; Das todte Wesen gefällt mir nicht. Als die Franzosen bis in die Nähe von Wien vor¬ gedrungen waren, soll sich, die Magnaten und ihre Kreaturen etwa ausgenommen, niemand vor dem Feinde gefürchtet haben: aber desto gröſser war die

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/63>, abgerufen am 24.11.2024.