nument des Marschalls Moriz von Sachsen betrachtete, kamen einige französische Soldaten zu mir, die sich wunderten, wie hierher ein Kurfürst von Sachsen käme, und ich musste ihnen von der Geschichte des Helden so viel erzählen als ich wusste, um sie mit sich selbst in Einigkeit zu setzen. Auf der Polizey wunderte man sich, dass mein Pass nirgends unter¬ schrieben war und ich wunderte mich mit und er¬ zählte meine ganze Promenade von Basel bis Paris und von Paris bis Strassburg; da gab man mir auch hier das Papier ohne Unterschrift zurück.
Nun fuhren wir über Weissenburg, Landau, Worms und so weiter nach Mainz. Nach meiner alten Ge¬ wohnheit lief ich bey dem Wechsel der Pferde in Landau voraus und hatte wohl eine Stunde Weges ge¬ macht. Die Deutschen der dortigen Gegend und tie¬ fer jenseit des Rheins herauf haben einen gar sonder¬ baren Dialekt, der dem Judenidiom in Polen nicht ganz unähnlich ist. Ich glaube doch ziemlich rein und richtig deutsch zu sprechen; desto schnurriger musste es mir vorkommen, dass ich dort wegen eben dieser Aussprache für einen Juden gehalten wurde. Ich sass unter einem Nussbaum und ass Obst, als sich ein Mann zu mir setzte, der rechts herein wanderte. Ich fragte, ob ich nicht irren könnte und ob die Diligen¬ ce hier nothwendig vorbey musste; er bejahte dieses. Ein Wort gab das andere, und er fragte mich in sei¬ ner lieblichen Mundart: Der Härr sayn ain Jüd, unn rähsen nachcher Mähnz? -- Ich reise nach Mainz; aber ich bin kein Jude. Warum glaubt Er dass ich ein Jude sey? -- Wähl der Härr okkeroht sprücht wü¬
nument des Marschalls Moriz von Sachsen betrachtete, kamen einige französische Soldaten zu mir, die sich wunderten, wie hierher ein Kurfürst von Sachsen käme, und ich muſste ihnen von der Geschichte des Helden so viel erzählen als ich wuſste, um sie mit sich selbst in Einigkeit zu setzen. Auf der Polizey wunderte man sich, daſs mein Paſs nirgends unter¬ schrieben war und ich wunderte mich mit und er¬ zählte meine ganze Promenade von Basel bis Paris und von Paris bis Straſsburg; da gab man mir auch hier das Papier ohne Unterschrift zurück.
Nun fuhren wir über Weiſsenburg, Landau, Worms und so weiter nach Mainz. Nach meiner alten Ge¬ wohnheit lief ich bey dem Wechsel der Pferde in Landau voraus und hatte wohl eine Stunde Weges ge¬ macht. Die Deutschen der dortigen Gegend und tie¬ fer jenseit des Rheins herauf haben einen gar sonder¬ baren Dialekt, der dem Judenidiom in Polen nicht ganz unähnlich ist. Ich glaube doch ziemlich rein und richtig deutsch zu sprechen; desto schnurriger muſste es mir vorkommen, daſs ich dort wegen eben dieser Aussprache für einen Juden gehalten wurde. Ich saſs unter einem Nuſsbaum und aſs Obst, als sich ein Mann zu mir setzte, der rechts herein wanderte. Ich fragte, ob ich nicht irren könnte und ob die Diligen¬ ce hier nothwendig vorbey muſste; er bejahte dieses. Ein Wort gab das andere, und er fragte mich in sei¬ ner lieblichen Mundart: Der Härr sayn ain Jüd, unn rähsen nachcher Mähnz? — Ich reise nach Mainz; aber ich bin kein Jude. Warum glaubt Er daſs ich ein Jude sey? — Wähl der Härr okkeroht sprücht wü¬
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nument des Marschalls Moriz von Sachsen betrachtete,
kamen einige französische Soldaten zu mir, die sich
wunderten, wie hierher ein Kurfürst von Sachsen
käme, und ich muſste ihnen von der Geschichte des
Helden so viel erzählen als ich wuſste, um sie mit
sich selbst in Einigkeit zu setzen. Auf der Polizey
wunderte man sich, daſs mein Paſs nirgends unter¬
schrieben war und ich wunderte mich mit und er¬
zählte meine ganze Promenade von Basel bis Paris
und von Paris bis Straſsburg; da gab man mir auch
hier das Papier ohne Unterschrift zurück.
Nun fuhren wir über Weiſsenburg, Landau, Worms
und so weiter nach Mainz. Nach meiner alten Ge¬
wohnheit lief ich bey dem Wechsel der Pferde in
Landau voraus und hatte wohl eine Stunde Weges ge¬
macht. Die Deutschen der dortigen Gegend und tie¬
fer jenseit des Rheins herauf haben einen gar sonder¬
baren Dialekt, der dem Judenidiom in Polen nicht
ganz unähnlich ist. Ich glaube doch ziemlich rein
und richtig deutsch zu sprechen; desto schnurriger
muſste es mir vorkommen, daſs ich dort wegen eben
dieser Aussprache für einen Juden gehalten wurde. Ich
saſs unter einem Nuſsbaum und aſs Obst, als sich ein
Mann zu mir setzte, der rechts herein wanderte. Ich
fragte, ob ich nicht irren könnte und ob die Diligen¬
ce hier nothwendig vorbey muſste; er bejahte dieses.
Ein Wort gab das andere, und er fragte mich in sei¬
ner lieblichen Mundart: Der Härr sayn ain Jüd, unn
rähsen nachcher Mähnz? — Ich reise nach Mainz;
aber ich bin kein Jude. Warum glaubt Er daſs ich
ein Jude sey? — Wähl der Härr okkeroht sprücht wü¬
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 477 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/505>, abgerufen am 23.11.2024.
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