nichts einheimisches zu finden. Ueberall sind fremde Kaufleute, die mit fremden Artikeln handeln. Man sagt in Neapel auf allen Strassen ganz laut, der Mini¬ ster verkaufe als Halbbritte die Nation an die Englän¬ der. Man schreyt über die öffentliche Armuth und die öffentliche Verschwendung; man lebe von der Gnade der Franzosen und halte drey Höfe, in Palermo und Kaserta und Wien. Einzeln erzählte Vorfälle sind em¬ pörend. Der König ist ein Liebhaber von schönen Weibern. Das mag er: andere sind es auch, ohne Kö¬ nige zu seyn. In der Revolution wurde eine Dame als Staatsverbrecherin mit ergriffen, und das Tribunal ver¬ urtheilte sie zum Tode. Die vornehme interessante Frau appellierte an den König, und ihre Freunde brachten es so weit, dass sie zur endlichen Entschei¬ dung ihres Schicksals nach Palermo geschickt wurde. Der König war dort in ihrer Gesellschaft nach der Liebhaber Weise; endlich drangen die strengen Straf¬ prediger an sein Gewissen: die Frau wurde nach Nea¬ pel zurückgeschickt und -- hingerichtet. Sie erzählte das Ganze selbst vor ihrem Tode auf dem Blutgerüste. Das ist verhältnissmässig eben so schlimm als die ein¬ gesalzenen Nasen und Ohren. Man hat mir Namen und Umstände und den ganzen Prozess wiederholt genannt.
Die Kassen sind leer, die Offizianten müssen war¬ ten, und dabey soll man Jagdparthien geben, die über 50000 neapolitanische Dukaten kosten. Der General Murat erhielt Geschenke, deren Werth sich auf 200000 Thaler belief. Ich weiss nicht wer mehr indigniert, ob der König oder Murat? Jener handelt nicht als Kö¬
nichts einheimisches zu finden. Ueberall sind fremde Kaufleute, die mit fremden Artikeln handeln. Man sagt in Neapel auf allen Straſsen ganz laut, der Mini¬ ster verkaufe als Halbbritte die Nation an die Englän¬ der. Man schreyt über die öffentliche Armuth und die öffentliche Verschwendung; man lebe von der Gnade der Franzosen und halte drey Höfe, in Palermo und Kaserta und Wien. Einzeln erzählte Vorfälle sind em¬ pörend. Der König ist ein Liebhaber von schönen Weibern. Das mag er: andere sind es auch, ohne Kö¬ nige zu seyn. In der Revolution wurde eine Dame als Staatsverbrecherin mit ergriffen, und das Tribunal ver¬ urtheilte sie zum Tode. Die vornehme interessante Frau appellierte an den König, und ihre Freunde brachten es so weit, daſs sie zur endlichen Entschei¬ dung ihres Schicksals nach Palermo geschickt wurde. Der König war dort in ihrer Gesellschaft nach der Liebhaber Weise; endlich drangen die strengen Straf¬ prediger an sein Gewissen: die Frau wurde nach Nea¬ pel zurückgeschickt und — hingerichtet. Sie erzählte das Ganze selbst vor ihrem Tode auf dem Blutgerüste. Das ist verhältniſsmäſsig eben so schlimm als die ein¬ gesalzenen Nasen und Ohren. Man hat mir Namen und Umstände und den ganzen Prozeſs wiederholt genannt.
Die Kassen sind leer, die Offizianten müssen war¬ ten, und dabey soll man Jagdparthien geben, die über 50000 neapolitanische Dukaten kosten. Der General Murat erhielt Geschenke, deren Werth sich auf 200000 Thaler belief. Ich weiſs nicht wer mehr indigniert, ob der König oder Murat? Jener handelt nicht als Kö¬
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nichts einheimisches zu finden. Ueberall sind fremde
Kaufleute, die mit fremden Artikeln handeln. Man
sagt in Neapel auf allen Straſsen ganz laut, der Mini¬
ster verkaufe als Halbbritte die Nation an die Englän¬
der. Man schreyt über die öffentliche Armuth und die
öffentliche Verschwendung; man lebe von der Gnade
der Franzosen und halte drey Höfe, in Palermo und
Kaserta und Wien. Einzeln erzählte Vorfälle sind em¬
pörend. Der König ist ein Liebhaber von schönen
Weibern. Das mag er: andere sind es auch, ohne Kö¬
nige zu seyn. In der Revolution wurde eine Dame als
Staatsverbrecherin mit ergriffen, und das Tribunal ver¬
urtheilte sie zum Tode. Die vornehme interessante
Frau appellierte an den König, und ihre Freunde
brachten es so weit, daſs sie zur endlichen Entschei¬
dung ihres Schicksals nach Palermo geschickt wurde.
Der König war dort in ihrer Gesellschaft nach der
Liebhaber Weise; endlich drangen die strengen Straf¬
prediger an sein Gewissen: die Frau wurde nach Nea¬
pel zurückgeschickt und — hingerichtet. Sie erzählte
das Ganze selbst vor ihrem Tode auf dem Blutgerüste.
Das ist verhältniſsmäſsig eben so schlimm als die ein¬
gesalzenen Nasen und Ohren. Man hat mir Namen
und Umstände und den ganzen Prozeſs wiederholt
genannt.
Die Kassen sind leer, die Offizianten müssen war¬
ten, und dabey soll man Jagdparthien geben, die über
50000 neapolitanische Dukaten kosten. Der General
Murat erhielt Geschenke, deren Werth sich auf 200000
Thaler belief. Ich weiſs nicht wer mehr indigniert,
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 430 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/458>, abgerufen am 22.11.2024.
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