Tugenden, als einen Kampf der erwachenden Ver¬ nunft mit den despotischen und hierarchischen Kniffen nähme, so wäre das Gamälde unterhaltend genug, und als das älteste Dokument der Menschenkunde heilig: aber wozu dieses dem Volke, das davon nichts brau¬ chen kann? Das Papstthum hat vielleicht keinen glücklichern Einfall gehabt, als dem Volke dieses Buch zu entziehen; wenn man ihm nur etwas reineres und besseres dafür gegeben hätte. Die Legenden der Hei¬ ligen aber und die Ausgeburten des Aberglaubens aus dem Mittelalter sind freylich noch viel schlimmer. Was den ersten heiligsten Geboten der Vernunft wider¬ spricht, das kann kein heiliger Geist als Wahrheit stempeln.
Von Bologna aus nahm ich meinen Tornister wie¬ der auf die Schulter und pilgerte durch die grosse schöne Ebene herüber nach Mailand. In Modena ge¬ fiel mirs sehr wohl, ohne dass ich den erbeuteten Ei¬ mer sah. Die Stadt ist reinlich und lebendig und la¬ chend; die Wirthshäuser Kaffeehäuser, sind gut und billig. Ein ganzes Dutzend Tambours schlugen den Zapfenstreich durch die ganze Stadt, ohne dass ein einziges Bajonett dabey gewesen wäre. In der neuen Republik ist man wenigstens überall sicher; die Polizey ist ordentlich und wachsam, und alles bekommt ein rechtliches Ansehen. Masena, der hier kommandier¬ te, ergriff eine herrliche Methode Sicherheit zu schaf¬ fen. Einige Schweizer Kaufleute waren in der Gegend geplündert worden; der General liess sie arretieren und die Sache strenge untersuchen; die Angabe war richtig. Nun wurden die Gemeinheiten, in deren
26
Tugenden, als einen Kampf der erwachenden Ver¬ nunft mit den despotischen und hierarchischen Kniffen nähme, so wäre das Gamälde unterhaltend genug, und als das älteste Dokument der Menschenkunde heilig: aber wozu dieses dem Volke, das davon nichts brau¬ chen kann? Das Papstthum hat vielleicht keinen glücklichern Einfall gehabt, als dem Volke dieses Buch zu entziehen; wenn man ihm nur etwas reineres und besseres dafür gegeben hätte. Die Legenden der Hei¬ ligen aber und die Ausgeburten des Aberglaubens aus dem Mittelalter sind freylich noch viel schlimmer. Was den ersten heiligsten Geboten der Vernunft wider¬ spricht, das kann kein heiliger Geist als Wahrheit stempeln.
Von Bologna aus nahm ich meinen Tornister wie¬ der auf die Schulter und pilgerte durch die groſse schöne Ebene herüber nach Mailand. In Modena ge¬ fiel mirs sehr wohl, ohne daſs ich den erbeuteten Ei¬ mer sah. Die Stadt ist reinlich und lebendig und la¬ chend; die Wirthshäuser Kaffeehäuser, sind gut und billig. Ein ganzes Dutzend Tambours schlugen den Zapfenstreich durch die ganze Stadt, ohne daſs ein einziges Bajonett dabey gewesen wäre. In der neuen Republik ist man wenigstens überall sicher; die Polizey ist ordentlich und wachsam, und alles bekommt ein rechtliches Ansehen. Masena, der hier kommandier¬ te, ergriff eine herrliche Methode Sicherheit zu schaf¬ fen. Einige Schweizer Kaufleute waren in der Gegend geplündert worden; der General lieſs sie arretieren und die Sache strenge untersuchen; die Angabe war richtig. Nun wurden die Gemeinheiten, in deren
26
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0427"n="399 "/>
Tugenden, als einen Kampf der erwachenden Ver¬<lb/>
nunft mit den despotischen und hierarchischen Kniffen<lb/>
nähme, so wäre das Gamälde unterhaltend genug, und<lb/>
als das älteste Dokument der Menschenkunde heilig:<lb/>
aber wozu dieses dem Volke, das davon nichts brau¬<lb/>
chen kann? Das Papstthum hat vielleicht keinen<lb/>
glücklichern Einfall gehabt, als dem Volke dieses Buch<lb/>
zu entziehen; wenn man ihm nur etwas reineres und<lb/>
besseres dafür gegeben hätte. Die Legenden der Hei¬<lb/>
ligen aber und die Ausgeburten des Aberglaubens aus<lb/>
dem Mittelalter sind freylich noch viel schlimmer.<lb/>
Was den ersten heiligsten Geboten der Vernunft wider¬<lb/>
spricht, das kann kein heiliger Geist als Wahrheit<lb/>
stempeln.</p><lb/><p>Von Bologna aus nahm ich meinen Tornister wie¬<lb/>
der auf die Schulter und pilgerte durch die groſse<lb/>
schöne Ebene herüber nach Mailand. In Modena ge¬<lb/>
fiel mirs sehr wohl, ohne daſs ich den erbeuteten Ei¬<lb/>
mer sah. Die Stadt ist reinlich und lebendig und la¬<lb/>
chend; die Wirthshäuser Kaffeehäuser, sind gut und<lb/>
billig. Ein ganzes Dutzend Tambours schlugen den<lb/>
Zapfenstreich durch die ganze Stadt, ohne daſs ein<lb/>
einziges Bajonett dabey gewesen wäre. In der neuen<lb/>
Republik ist man wenigstens überall sicher; die Polizey<lb/>
ist ordentlich und wachsam, und alles bekommt ein<lb/>
rechtliches Ansehen. Masena, der hier kommandier¬<lb/>
te, ergriff eine herrliche Methode Sicherheit zu schaf¬<lb/>
fen. Einige Schweizer Kaufleute waren in der Gegend<lb/>
geplündert worden; der General lieſs sie arretieren<lb/>
und die Sache strenge untersuchen; die Angabe war<lb/>
richtig. Nun wurden die Gemeinheiten, in deren<lb/><fwplace="bottom"type="sig">26<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[399 /0427]
Tugenden, als einen Kampf der erwachenden Ver¬
nunft mit den despotischen und hierarchischen Kniffen
nähme, so wäre das Gamälde unterhaltend genug, und
als das älteste Dokument der Menschenkunde heilig:
aber wozu dieses dem Volke, das davon nichts brau¬
chen kann? Das Papstthum hat vielleicht keinen
glücklichern Einfall gehabt, als dem Volke dieses Buch
zu entziehen; wenn man ihm nur etwas reineres und
besseres dafür gegeben hätte. Die Legenden der Hei¬
ligen aber und die Ausgeburten des Aberglaubens aus
dem Mittelalter sind freylich noch viel schlimmer.
Was den ersten heiligsten Geboten der Vernunft wider¬
spricht, das kann kein heiliger Geist als Wahrheit
stempeln.
Von Bologna aus nahm ich meinen Tornister wie¬
der auf die Schulter und pilgerte durch die groſse
schöne Ebene herüber nach Mailand. In Modena ge¬
fiel mirs sehr wohl, ohne daſs ich den erbeuteten Ei¬
mer sah. Die Stadt ist reinlich und lebendig und la¬
chend; die Wirthshäuser Kaffeehäuser, sind gut und
billig. Ein ganzes Dutzend Tambours schlugen den
Zapfenstreich durch die ganze Stadt, ohne daſs ein
einziges Bajonett dabey gewesen wäre. In der neuen
Republik ist man wenigstens überall sicher; die Polizey
ist ordentlich und wachsam, und alles bekommt ein
rechtliches Ansehen. Masena, der hier kommandier¬
te, ergriff eine herrliche Methode Sicherheit zu schaf¬
fen. Einige Schweizer Kaufleute waren in der Gegend
geplündert worden; der General lieſs sie arretieren
und die Sache strenge untersuchen; die Angabe war
richtig. Nun wurden die Gemeinheiten, in deren
26
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 399 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/427>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.