Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

Tugenden, als einen Kampf der erwachenden Ver¬
nunft mit den despotischen und hierarchischen Kniffen
nähme, so wäre das Gamälde unterhaltend genug, und
als das älteste Dokument der Menschenkunde heilig:
aber wozu dieses dem Volke, das davon nichts brau¬
chen kann? Das Papstthum hat vielleicht keinen
glücklichern Einfall gehabt, als dem Volke dieses Buch
zu entziehen; wenn man ihm nur etwas reineres und
besseres dafür gegeben hätte. Die Legenden der Hei¬
ligen aber und die Ausgeburten des Aberglaubens aus
dem Mittelalter sind freylich noch viel schlimmer.
Was den ersten heiligsten Geboten der Vernunft wider¬
spricht, das kann kein heiliger Geist als Wahrheit
stempeln.

Von Bologna aus nahm ich meinen Tornister wie¬
der auf die Schulter und pilgerte durch die grosse
schöne Ebene herüber nach Mailand. In Modena ge¬
fiel mirs sehr wohl, ohne dass ich den erbeuteten Ei¬
mer sah. Die Stadt ist reinlich und lebendig und la¬
chend; die Wirthshäuser Kaffeehäuser, sind gut und
billig. Ein ganzes Dutzend Tambours schlugen den
Zapfenstreich durch die ganze Stadt, ohne dass ein
einziges Bajonett dabey gewesen wäre. In der neuen
Republik ist man wenigstens überall sicher; die Polizey
ist ordentlich und wachsam, und alles bekommt ein
rechtliches Ansehen. Masena, der hier kommandier¬
te, ergriff eine herrliche Methode Sicherheit zu schaf¬
fen. Einige Schweizer Kaufleute waren in der Gegend
geplündert worden; der General liess sie arretieren
und die Sache strenge untersuchen; die Angabe war
richtig. Nun wurden die Gemeinheiten, in deren

26

Tugenden, als einen Kampf der erwachenden Ver¬
nunft mit den despotischen und hierarchischen Kniffen
nähme, so wäre das Gamälde unterhaltend genug, und
als das älteste Dokument der Menschenkunde heilig:
aber wozu dieses dem Volke, das davon nichts brau¬
chen kann? Das Papstthum hat vielleicht keinen
glücklichern Einfall gehabt, als dem Volke dieses Buch
zu entziehen; wenn man ihm nur etwas reineres und
besseres dafür gegeben hätte. Die Legenden der Hei¬
ligen aber und die Ausgeburten des Aberglaubens aus
dem Mittelalter sind freylich noch viel schlimmer.
Was den ersten heiligsten Geboten der Vernunft wider¬
spricht, das kann kein heiliger Geist als Wahrheit
stempeln.

Von Bologna aus nahm ich meinen Tornister wie¬
der auf die Schulter und pilgerte durch die groſse
schöne Ebene herüber nach Mailand. In Modena ge¬
fiel mirs sehr wohl, ohne daſs ich den erbeuteten Ei¬
mer sah. Die Stadt ist reinlich und lebendig und la¬
chend; die Wirthshäuser Kaffeehäuser, sind gut und
billig. Ein ganzes Dutzend Tambours schlugen den
Zapfenstreich durch die ganze Stadt, ohne daſs ein
einziges Bajonett dabey gewesen wäre. In der neuen
Republik ist man wenigstens überall sicher; die Polizey
ist ordentlich und wachsam, und alles bekommt ein
rechtliches Ansehen. Masena, der hier kommandier¬
te, ergriff eine herrliche Methode Sicherheit zu schaf¬
fen. Einige Schweizer Kaufleute waren in der Gegend
geplündert worden; der General lieſs sie arretieren
und die Sache strenge untersuchen; die Angabe war
richtig. Nun wurden die Gemeinheiten, in deren

26
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0427" n="399 "/>
Tugenden, als einen Kampf der erwachenden Ver¬<lb/>
nunft mit den despotischen und hierarchischen Kniffen<lb/>
nähme, so wäre das Gamälde unterhaltend genug, und<lb/>
als das älteste Dokument der Menschenkunde heilig:<lb/>
aber wozu dieses dem Volke, das davon nichts brau¬<lb/>
chen kann? Das Papstthum hat vielleicht keinen<lb/>
glücklichern Einfall gehabt, als dem Volke dieses Buch<lb/>
zu entziehen; wenn man ihm nur etwas reineres und<lb/>
besseres dafür gegeben hätte. Die Legenden der Hei¬<lb/>
ligen aber und die Ausgeburten des Aberglaubens aus<lb/>
dem Mittelalter sind freylich noch viel schlimmer.<lb/>
Was den ersten heiligsten Geboten der Vernunft wider¬<lb/>
spricht, das kann kein heiliger Geist als Wahrheit<lb/>
stempeln.</p><lb/>
        <p>Von Bologna aus nahm ich meinen Tornister wie¬<lb/>
der auf die Schulter und pilgerte durch die gro&#x017F;se<lb/>
schöne Ebene herüber nach Mailand. In Modena ge¬<lb/>
fiel mirs sehr wohl, ohne da&#x017F;s ich den erbeuteten Ei¬<lb/>
mer sah. Die Stadt ist reinlich und lebendig und la¬<lb/>
chend; die Wirthshäuser Kaffeehäuser, sind gut und<lb/>
billig. Ein ganzes Dutzend Tambours schlugen den<lb/>
Zapfenstreich durch die ganze Stadt, ohne da&#x017F;s ein<lb/>
einziges Bajonett dabey gewesen wäre. In der neuen<lb/>
Republik ist man wenigstens überall sicher; die Polizey<lb/>
ist ordentlich und wachsam, und alles bekommt ein<lb/>
rechtliches Ansehen. Masena, der hier kommandier¬<lb/>
te, ergriff eine herrliche Methode Sicherheit zu schaf¬<lb/>
fen. Einige Schweizer Kaufleute waren in der Gegend<lb/>
geplündert worden; der General lie&#x017F;s sie arretieren<lb/>
und die Sache strenge untersuchen; die Angabe war<lb/>
richtig. Nun wurden die Gemeinheiten, in deren<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">26<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[399 /0427] Tugenden, als einen Kampf der erwachenden Ver¬ nunft mit den despotischen und hierarchischen Kniffen nähme, so wäre das Gamälde unterhaltend genug, und als das älteste Dokument der Menschenkunde heilig: aber wozu dieses dem Volke, das davon nichts brau¬ chen kann? Das Papstthum hat vielleicht keinen glücklichern Einfall gehabt, als dem Volke dieses Buch zu entziehen; wenn man ihm nur etwas reineres und besseres dafür gegeben hätte. Die Legenden der Hei¬ ligen aber und die Ausgeburten des Aberglaubens aus dem Mittelalter sind freylich noch viel schlimmer. Was den ersten heiligsten Geboten der Vernunft wider¬ spricht, das kann kein heiliger Geist als Wahrheit stempeln. Von Bologna aus nahm ich meinen Tornister wie¬ der auf die Schulter und pilgerte durch die groſse schöne Ebene herüber nach Mailand. In Modena ge¬ fiel mirs sehr wohl, ohne daſs ich den erbeuteten Ei¬ mer sah. Die Stadt ist reinlich und lebendig und la¬ chend; die Wirthshäuser Kaffeehäuser, sind gut und billig. Ein ganzes Dutzend Tambours schlugen den Zapfenstreich durch die ganze Stadt, ohne daſs ein einziges Bajonett dabey gewesen wäre. In der neuen Republik ist man wenigstens überall sicher; die Polizey ist ordentlich und wachsam, und alles bekommt ein rechtliches Ansehen. Masena, der hier kommandier¬ te, ergriff eine herrliche Methode Sicherheit zu schaf¬ fen. Einige Schweizer Kaufleute waren in der Gegend geplündert worden; der General lieſs sie arretieren und die Sache strenge untersuchen; die Angabe war richtig. Nun wurden die Gemeinheiten, in deren 26

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/427
Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 399 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/427>, abgerufen am 22.11.2024.