alles kühne Emporstteben der Menschennatur zur knechtischen Geduld nieder zu drücken, und diese subalterne Tugend zur höchsten Vollkommenheit der Moral zu erheben. Wozu braucht man Gerechtigkeit, Grossmuth und Standhaftigkeit? Man predigt Geduld und Demuth. Demuth ist nach der Etymologie Muth zu dienen, und die zweydeutigste aller Tugenden. In der alten griechischen und römischen Moral findet man diese Tugend nicht; und die Einführung ist kein Vorzug der christlichen. Sie kann nur im Evangelium der Despoten stehen, welche sie aber für sich selbst doch sehr entbehrlich finden. Es ist freylich auch phi¬ losophisch besser, Unrecht leiden als Unrecht thun; aber es giebt ein Drittes, das vernünftiger und edler ist als beydes: mit Muth und Kraft verhindern, dass durchaus kein Unrecht geschehe. In unserm lieben Vaterlande hat man das Kreuz zwar meistens wegge¬ nommen, aber dafür den Galgen hingesetzt. So schlecht auch dieser ist, kommt er mir doch noch et¬ was besser vor. Christus hat gewiss seiner Religion keinen so jämmerlichen Anstrich geben wollen, als sie nachher durch ihre unglücklichen Bonzen bekommen hat. Freylich, wenn man den Gekreuzigten nicht an allen Feldwegen zeigte, könnte es doch wohl der Menge einfallen, ihre Urbefugnisse etwas näher zu untersuchen und zu finden, dass keine Konsequenz da¬ rin ist, sich durch den Druck des Feudalsystems und das Privilegienwesen kreuzigen zu lassen. Berechnet ist es ziemlich gut, wenn es nur gut wäre.
Bey Pietramala sahe ich oben den zweydeutigen Vulkan nicht, weil er zu weit rechts hinüber in den
alles kühne Emporstteben der Menschennatur zur knechtischen Geduld nieder zu drücken, und diese subalterne Tugend zur höchsten Vollkommenheit der Moral zu erheben. Wozu braucht man Gerechtigkeit, Groſsmuth und Standhaftigkeit? Man predigt Geduld und Demuth. Demuth ist nach der Etymologie Muth zu dienen, und die zweydeutigste aller Tugenden. In der alten griechischen und römischen Moral findet man diese Tugend nicht; und die Einführung ist kein Vorzug der christlichen. Sie kann nur im Evangelium der Despoten stehen, welche sie aber für sich selbst doch sehr entbehrlich finden. Es ist freylich auch phi¬ losophisch besser, Unrecht leiden als Unrecht thun; aber es giebt ein Drittes, das vernünftiger und edler ist als beydes: mit Muth und Kraft verhindern, daſs durchaus kein Unrecht geschehe. In unserm lieben Vaterlande hat man das Kreuz zwar meistens wegge¬ nommen, aber dafür den Galgen hingesetzt. So schlecht auch dieser ist, kommt er mir doch noch et¬ was besser vor. Christus hat gewiſs seiner Religion keinen so jämmerlichen Anstrich geben wollen, als sie nachher durch ihre unglücklichen Bonzen bekommen hat. Freylich, wenn man den Gekreuzigten nicht an allen Feldwegen zeigte, könnte es doch wohl der Menge einfallen, ihre Urbefugnisse etwas näher zu untersuchen und zu finden, daſs keine Konsequenz da¬ rin ist, sich durch den Druck des Feudalsystems und das Privilegienwesen kreuzigen zu lassen. Berechnet ist es ziemlich gut, wenn es nur gut wäre.
Bey Pietramala sahe ich oben den zweydeutigen Vulkan nicht, weil er zu weit rechts hinüber in den
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alles kühne Emporstteben der Menschennatur zur
knechtischen Geduld nieder zu drücken, und diese
subalterne Tugend zur höchsten Vollkommenheit der
Moral zu erheben. Wozu braucht man Gerechtigkeit,
Groſsmuth und Standhaftigkeit? Man predigt Geduld
und Demuth. Demuth ist nach der Etymologie Muth
zu dienen, und die zweydeutigste aller Tugenden. In
der alten griechischen und römischen Moral findet
man diese Tugend nicht; und die Einführung ist kein
Vorzug der christlichen. Sie kann nur im Evangelium
der Despoten stehen, welche sie aber für sich selbst
doch sehr entbehrlich finden. Es ist freylich auch phi¬
losophisch besser, Unrecht leiden als Unrecht thun;
aber es giebt ein Drittes, das vernünftiger und edler
ist als beydes: mit Muth und Kraft verhindern, daſs
durchaus kein Unrecht geschehe. In unserm lieben
Vaterlande hat man das Kreuz zwar meistens wegge¬
nommen, aber dafür den Galgen hingesetzt. So
schlecht auch dieser ist, kommt er mir doch noch et¬
was besser vor. Christus hat gewiſs seiner Religion
keinen so jämmerlichen Anstrich geben wollen, als sie
nachher durch ihre unglücklichen Bonzen bekommen
hat. Freylich, wenn man den Gekreuzigten nicht an
allen Feldwegen zeigte, könnte es doch wohl der
Menge einfallen, ihre Urbefugnisse etwas näher zu
untersuchen und zu finden, daſs keine Konsequenz da¬
rin ist, sich durch den Druck des Feudalsystems und
das Privilegienwesen kreuzigen zu lassen. Berechnet
ist es ziemlich gut, wenn es nur gut wäre.
Bey Pietramala sahe ich oben den zweydeutigen
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 396 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/424>, abgerufen am 22.11.2024.
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