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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Nun bin ich wieder hier in dem Sitz der heiligen
Kirche, aber nicht in ihrem Schoosse. Wie Schade
das ist, ich habe so viel Ansatz und Neigung zur Ka¬
tholicität, würde mich so gern auch an ein Oberhaupt
in geistlichen Dingen halten, wenn nur die Leute et¬
was leidlicher ordentlich und vernünftig wären. Mei¬
ner ist der Katholicismus der Vernunft, der allgemei¬
nen Gerechtigkeit, der Freyheit und Humanität; und
der ihrige ist die Nebelkappe der Vorurtheile, der Pri¬
vilegien, des eisernen Gewissenszwanges. Ich hoffte,
wir würden einst zusammen kommen; aber seit Bo¬
napartes Bekehrung habe ich für mich die Hoffnung
sinken lassen. Dank sey es der Frömmeley und dem
Mamelukengeist des grossen französischen Bannerherrn,
die Römer haben nun wieder Ueberfluss an Kirchen,
Mönchen und Banditen. Er hat uns zum wenigsten
wieder einige hundert Jahre zurückgeworfen. Homo
sum
-- sagt Terenz; sonst könntest Du leicht fragen,
was mich das Zeug anginge. Aber ich will den Faden
meiner Wanderschaft wieder aufnehmen.

Den letzten Tag in Neapel besuchte ich noch den
Agnano und die Hundsgrotte. Schon Füger in Wien
hatte mich gewarnt, ich möchte mich dort in Acht
nehmen: allein im May, dachte ich, hat so ein Spa¬
ziergang wohl nichts zu sagen. Der Morgen war
drückend schwül, und über der Solfatara und dem
Kamaldulenser Berge hingen Gewitterwolken. Alles
ist bekannt genug; ich wollte nur aus Neugier das


Nun bin ich wieder hier in dem Sitz der heiligen
Kirche, aber nicht in ihrem Schooſse. Wie Schade
das ist, ich habe so viel Ansatz und Neigung zur Ka¬
tholicität, würde mich so gern auch an ein Oberhaupt
in geistlichen Dingen halten, wenn nur die Leute et¬
was leidlicher ordentlich und vernünftig wären. Mei¬
ner ist der Katholicismus der Vernunft, der allgemei¬
nen Gerechtigkeit, der Freyheit und Humanität; und
der ihrige ist die Nebelkappe der Vorurtheile, der Pri¬
vilegien, des eisernen Gewissenszwanges. Ich hoffte,
wir würden einst zusammen kommen; aber seit Bo¬
napartes Bekehrung habe ich für mich die Hoffnung
sinken laſſen. Dank sey es der Frömmeley und dem
Mamelukengeist des groſsen französischen Bannerherrn,
die Römer haben nun wieder Ueberfluſs an Kirchen,
Mönchen und Banditen. Er hat uns zum wenigsten
wieder einige hundert Jahre zurückgeworfen. Homo
sum
— sagt Terenz; sonst könntest Du leicht fragen,
was mich das Zeug anginge. Aber ich will den Faden
meiner Wanderschaft wieder aufnehmen.

Den letzten Tag in Neapel besuchte ich noch den
Agnano und die Hundsgrotte. Schon Füger in Wien
hatte mich gewarnt, ich möchte mich dort in Acht
nehmen: allein im May, dachte ich, hat so ein Spa¬
ziergang wohl nichts zu sagen. Der Morgen war
drückend schwül, und über der Solfatara und dem
Kamaldulenser Berge hingen Gewitterwolken. Alles
ist bekannt genug; ich wollte nur aus Neugier das

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[[359]/0387] Rom. Nun bin ich wieder hier in dem Sitz der heiligen Kirche, aber nicht in ihrem Schooſse. Wie Schade das ist, ich habe so viel Ansatz und Neigung zur Ka¬ tholicität, würde mich so gern auch an ein Oberhaupt in geistlichen Dingen halten, wenn nur die Leute et¬ was leidlicher ordentlich und vernünftig wären. Mei¬ ner ist der Katholicismus der Vernunft, der allgemei¬ nen Gerechtigkeit, der Freyheit und Humanität; und der ihrige ist die Nebelkappe der Vorurtheile, der Pri¬ vilegien, des eisernen Gewissenszwanges. Ich hoffte, wir würden einst zusammen kommen; aber seit Bo¬ napartes Bekehrung habe ich für mich die Hoffnung sinken laſſen. Dank sey es der Frömmeley und dem Mamelukengeist des groſsen französischen Bannerherrn, die Römer haben nun wieder Ueberfluſs an Kirchen, Mönchen und Banditen. Er hat uns zum wenigsten wieder einige hundert Jahre zurückgeworfen. Homo sum — sagt Terenz; sonst könntest Du leicht fragen, was mich das Zeug anginge. Aber ich will den Faden meiner Wanderschaft wieder aufnehmen. Den letzten Tag in Neapel besuchte ich noch den Agnano und die Hundsgrotte. Schon Füger in Wien hatte mich gewarnt, ich möchte mich dort in Acht nehmen: allein im May, dachte ich, hat so ein Spa¬ ziergang wohl nichts zu sagen. Der Morgen war drückend schwül, und über der Solfatara und dem Kamaldulenser Berge hingen Gewitterwolken. Alles ist bekannt genug; ich wollte nur aus Neugier das

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. [359]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/387>, abgerufen am 28.03.2024.