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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Ich hielt mich hier nur zwey Stunden auf, umging
die Area der Stadt, in welcher nichts als die drey
bekannten grossen alten Gebäude, die Wohnung des
Monsignore, eines Bischofs wie ich höre, ein elendes
elendes Wirthshaus und noch ein anderes jämmerli¬
ches Haus stehen. Das ist jetzt ganz Pästum. Ich
suchte, jetzt in der Rosenzeit, Rosen in Pästum für
Dich, um Dir ein klassisch sentimentales Geschenk
mit zu bringen: aber da kann ein Seher keine Rose
finden. In der ganzen Gegend rund umher, versi¬
cherte mich einer von den Leuten des Monsignore,
ist kein Rosenstock mehr. Ich durchschaute und durch¬
suchte selbst alles, auch den Garten des gnädigen
Herrn; aber die Barbaren hatten keine einzige Rose.
Darüber gerieth ich in hohen Eifer und donnerte
über das Piakulum an der heiligen Natur. Der
Wirth, mein Führer, sagte mir, vor sechs Jahren wä¬
ren noch einige da gewesen; aber die Fremden hätten
sie vollends alle weggerissen. Das war nun eine er¬
bärmliche Entschuldigung. Ich machte ihm begreiflich,
dass die Rosen von Pästum ehedem als die schönsten
der Erde berühmt gewesen, dass er sie nicht musste
abreissen lassen, dass er nachpflanzen sollte, dass es
sein Vortheil seyn würde, dass jeder Fremde gern et¬
was für eine pästische Rose bezahlte; dass ich, zum
Beyspiel, selbst jetzt wohl einen Piaster gäbe, wenn
ich nur eine erhalten könnte. Das letzte besonders
leuchtete dem Manne ein; um die schöne Natur schien
er sich nicht zu bekümmern; dazu ist die dortige
Menschheit zu tief gesunken. Er versprach darauf zu
denken, und ich habe vielleicht das Verdienst, dass

Ich hielt mich hier nur zwey Stunden auf, umging
die Area der Stadt, in welcher nichts als die drey
bekannten groſsen alten Gebäude, die Wohnung des
Monsignore, eines Bischofs wie ich höre, ein elendes
elendes Wirthshaus und noch ein anderes jämmerli¬
ches Haus stehen. Das ist jetzt ganz Pästum. Ich
suchte, jetzt in der Rosenzeit, Rosen in Pästum für
Dich, um Dir ein klassisch sentimentales Geschenk
mit zu bringen: aber da kann ein Seher keine Rose
finden. In der ganzen Gegend rund umher, versi¬
cherte mich einer von den Leuten des Monsignore,
ist kein Rosenstock mehr. Ich durchschaute und durch¬
suchte selbst alles, auch den Garten des gnädigen
Herrn; aber die Barbaren hatten keine einzige Rose.
Darüber gerieth ich in hohen Eifer und donnerte
über das Piakulum an der heiligen Natur. Der
Wirth, mein Führer, sagte mir, vor sechs Jahren wä¬
ren noch einige da gewesen; aber die Fremden hätten
sie vollends alle weggerissen. Das war nun eine er¬
bärmliche Entschuldigung. Ich machte ihm begreiflich,
daſs die Rosen von Pästum ehedem als die schönsten
der Erde berühmt gewesen, daſs er sie nicht muſste
abreiſsen lassen, daſs er nachpflanzen sollte, daſs es
sein Vortheil seyn würde, daſs jeder Fremde gern et¬
was für eine pästische Rose bezahlte; daſs ich, zum
Beyspiel, selbst jetzt wohl einen Piaster gäbe, wenn
ich nur eine erhalten könnte. Das letzte besonders
leuchtete dem Manne ein; um die schöne Natur schien
er sich nicht zu bekümmern; dazu ist die dortige
Menschheit zu tief gesunken. Er versprach darauf zu
denken, und ich habe vielleicht das Verdienst, daſs

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[347/0373] Ich hielt mich hier nur zwey Stunden auf, umging die Area der Stadt, in welcher nichts als die drey bekannten groſsen alten Gebäude, die Wohnung des Monsignore, eines Bischofs wie ich höre, ein elendes elendes Wirthshaus und noch ein anderes jämmerli¬ ches Haus stehen. Das ist jetzt ganz Pästum. Ich suchte, jetzt in der Rosenzeit, Rosen in Pästum für Dich, um Dir ein klassisch sentimentales Geschenk mit zu bringen: aber da kann ein Seher keine Rose finden. In der ganzen Gegend rund umher, versi¬ cherte mich einer von den Leuten des Monsignore, ist kein Rosenstock mehr. Ich durchschaute und durch¬ suchte selbst alles, auch den Garten des gnädigen Herrn; aber die Barbaren hatten keine einzige Rose. Darüber gerieth ich in hohen Eifer und donnerte über das Piakulum an der heiligen Natur. Der Wirth, mein Führer, sagte mir, vor sechs Jahren wä¬ ren noch einige da gewesen; aber die Fremden hätten sie vollends alle weggerissen. Das war nun eine er¬ bärmliche Entschuldigung. Ich machte ihm begreiflich, daſs die Rosen von Pästum ehedem als die schönsten der Erde berühmt gewesen, daſs er sie nicht muſste abreiſsen lassen, daſs er nachpflanzen sollte, daſs es sein Vortheil seyn würde, daſs jeder Fremde gern et¬ was für eine pästische Rose bezahlte; daſs ich, zum Beyspiel, selbst jetzt wohl einen Piaster gäbe, wenn ich nur eine erhalten könnte. Das letzte besonders leuchtete dem Manne ein; um die schöne Natur schien er sich nicht zu bekümmern; dazu ist die dortige Menschheit zu tief gesunken. Er versprach darauf zu denken, und ich habe vielleicht das Verdienst, daſs

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/373>, abgerufen am 22.11.2024.