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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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ein Molo gewesen seyn soll, will mir nicht recht ein¬
leuchten. Es sind noch dreyzehn Stücke davon übrig,
die in verschiedenen Distanzen aus dem Wasser her¬
vorragen. Wenn es nicht zu idiotisch klänge, würde
ich sie wohl für die Reste der berüchtigten Brücke
halten. Die Entfernung von Puzzuoli nach Bajä ist
nicht so gross, dass es einem Menschen, wie das Stie¬
felchen, nicht hätte einfallen können so einen Streich
zu machen. Damals war der Meerbusen landeinwärts
noch etwas tiefer; der Lukriner See hing mit dem
Avernus zusammen und half den Julischen Hafen bil¬
den; der Umweg war also etwas grösser als jetzt. Zum
Molo für Puzzuoli scheinen mir die Trümmern we¬
der Gestalt noch gehörige Richtung zu haben. Meinet¬
wegen sey es wie man wolle. Ich stieg bey dem Lu¬
kriner See aus, der durch die Erdrevolutionen sehr
viel eingeengt worden ist. Jetzt ist er nichts besser
als ein grosser Teich. Wir gingen, vermuthlich durch
den Einschnitt des Berges, hinein, durch welchen man
ehemals die beyden Seen, den Lukriner und den
Averner, zusammen verbunden hatte, um den Juli¬
schen Hafen zu bilden. Häufige Erdbeben und vulka¬
nische Ausbrüche haben alles geändert. Der Zugang
zum Avernus ist noch jetzt romantisch genug, und
der Eintritt in die sogenannte Grotte der Sibylle wirk¬
lich schön und schauerlich. Ich setzte mich am Ein¬
gange hin und sah rechts gegen über den alten Tem¬
pel, der für den Tempel des Apollo gilt. Es ist ein
Wunder, wie dieser Tempel bey der Erhebung des
neuen Berges stehen blieb, die ohne grosse Erschütte¬
rung der Nachbarschaft unmöglich geschehen konnte.

ein Molo gewesen seyn soll, will mir nicht recht ein¬
leuchten. Es sind noch dreyzehn Stücke davon übrig,
die in verschiedenen Distanzen aus dem Wasser her¬
vorragen. Wenn es nicht zu idiotisch klänge, würde
ich sie wohl für die Reste der berüchtigten Brücke
halten. Die Entfernung von Puzzuoli nach Bajä ist
nicht so groſs, daſs es einem Menschen, wie das Stie¬
felchen, nicht hätte einfallen können so einen Streich
zu machen. Damals war der Meerbusen landeinwärts
noch etwas tiefer; der Lukriner See hing mit dem
Avernus zusammen und half den Julischen Hafen bil¬
den; der Umweg war also etwas gröſser als jetzt. Zum
Molo für Puzzuoli scheinen mir die Trümmern we¬
der Gestalt noch gehörige Richtung zu haben. Meinet¬
wegen sey es wie man wolle. Ich stieg bey dem Lu¬
kriner See aus, der durch die Erdrevolutionen sehr
viel eingeengt worden ist. Jetzt ist er nichts besser
als ein groſser Teich. Wir gingen, vermuthlich durch
den Einschnitt des Berges, hinein, durch welchen man
ehemals die beyden Seen, den Lukriner und den
Averner, zusammen verbunden hatte, um den Juli¬
schen Hafen zu bilden. Häufige Erdbeben und vulka¬
nische Ausbrüche haben alles geändert. Der Zugang
zum Avernus ist noch jetzt romantisch genug, und
der Eintritt in die sogenannte Grotte der Sibylle wirk¬
lich schön und schauerlich. Ich setzte mich am Ein¬
gange hin und sah rechts gegen über den alten Tem¬
pel, der für den Tempel des Apollo gilt. Es ist ein
Wunder, wie dieser Tempel bey der Erhebung des
neuen Berges stehen blieb, die ohne groſse Erschütte¬
rung der Nachbarschaft unmöglich geschehen konnte.

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[333/0359] ein Molo gewesen seyn soll, will mir nicht recht ein¬ leuchten. Es sind noch dreyzehn Stücke davon übrig, die in verschiedenen Distanzen aus dem Wasser her¬ vorragen. Wenn es nicht zu idiotisch klänge, würde ich sie wohl für die Reste der berüchtigten Brücke halten. Die Entfernung von Puzzuoli nach Bajä ist nicht so groſs, daſs es einem Menschen, wie das Stie¬ felchen, nicht hätte einfallen können so einen Streich zu machen. Damals war der Meerbusen landeinwärts noch etwas tiefer; der Lukriner See hing mit dem Avernus zusammen und half den Julischen Hafen bil¬ den; der Umweg war also etwas gröſser als jetzt. Zum Molo für Puzzuoli scheinen mir die Trümmern we¬ der Gestalt noch gehörige Richtung zu haben. Meinet¬ wegen sey es wie man wolle. Ich stieg bey dem Lu¬ kriner See aus, der durch die Erdrevolutionen sehr viel eingeengt worden ist. Jetzt ist er nichts besser als ein groſser Teich. Wir gingen, vermuthlich durch den Einschnitt des Berges, hinein, durch welchen man ehemals die beyden Seen, den Lukriner und den Averner, zusammen verbunden hatte, um den Juli¬ schen Hafen zu bilden. Häufige Erdbeben und vulka¬ nische Ausbrüche haben alles geändert. Der Zugang zum Avernus ist noch jetzt romantisch genug, und der Eintritt in die sogenannte Grotte der Sibylle wirk¬ lich schön und schauerlich. Ich setzte mich am Ein¬ gange hin und sah rechts gegen über den alten Tem¬ pel, der für den Tempel des Apollo gilt. Es ist ein Wunder, wie dieser Tempel bey der Erhebung des neuen Berges stehen blieb, die ohne groſse Erschütte¬ rung der Nachbarschaft unmöglich geschehen konnte.

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/359>, abgerufen am 22.11.2024.