Aeolus hat uns noch immer seinen Schlauch nicht ge¬ geben, und wir müssen aushalten. Das Essen ist recht gut und die Gesellschaft noch besser; meine Geduld ist also weiter auf keiner sehr grossen Probe; und ich habe noch die ganze Odyssee zu lesen. Der Russische und Englische Gesandte sind auf dem grossen Schiffe; wir haben also noch die Ehre ihrentwegen recht lang¬ sam zu fahren. Die Geschichte des Tags auf unserer Flotte sagt eben, dass der Russischen Excellenz ein Pferd krank geworden ist. Wie viele von den Leuten seekrank sind, das ist eine erbärmliche Kleinigkeit: aber bedenke nur, der Leibgaul des Russischen Ge¬ sandten, der ist ein Kerl von Gewicht. Man erzählt bey Tische diess und jenes: sogar die Geschichten der Hofleute aus ihrem eigenen Munde bestätigen die schlechte Meinung, die ich durchaus von der neapoli¬ tanischen Regierung habe. Es waren einige sybariti¬ sche Herren bey uns, die doch nicht lassen konnten, dann und wann etwas vorzubringen und einzugeste¬ hen, was Stoff zu Aergerniss und Sarkasmen gab. Es ist wieder tiefe Nacht im Golf geworden; der Wind bläst hoch und wirft uns gewaltig. Ich habe auf allen meinen Fahrten, Dank sey es meiner guten Erziehung, nie die Seekrankheit gehabt: ich lege mich ruhig nie¬ der und schlafe.
Aeolus hat uns noch immer seinen Schlauch nicht ge¬ geben, und wir müssen aushalten. Das Essen ist recht gut und die Gesellschaft noch besser; meine Geduld ist also weiter auf keiner sehr groſsen Probe; und ich habe noch die ganze Odyssee zu lesen. Der Russische und Englische Gesandte sind auf dem groſsen Schiffe; wir haben also noch die Ehre ihrentwegen recht lang¬ sam zu fahren. Die Geschichte des Tags auf unserer Flotte sagt eben, daſs der Russischen Excellenz ein Pferd krank geworden ist. Wie viele von den Leuten seekrank sind, das ist eine erbärmliche Kleinigkeit: aber bedenke nur, der Leibgaul des Russischen Ge¬ sandten, der ist ein Kerl von Gewicht. Man erzählt bey Tische dieſs und jenes: sogar die Geschichten der Hofleute aus ihrem eigenen Munde bestätigen die schlechte Meinung, die ich durchaus von der neapoli¬ tanischen Regierung habe. Es waren einige sybariti¬ sche Herren bey uns, die doch nicht lassen konnten, dann und wann etwas vorzubringen und einzugeste¬ hen, was Stoff zu Aergerniſs und Sarkasmen gab. Es ist wieder tiefe Nacht im Golf geworden; der Wind bläst hoch und wirft uns gewaltig. Ich habe auf allen meinen Fahrten, Dank sey es meiner guten Erziehung, nie die Seekrankheit gehabt: ich lege mich ruhig nie¬ der und schlafe.
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0357"n="331"/>
Aeolus hat uns noch immer seinen Schlauch nicht ge¬<lb/>
geben, und wir müssen aushalten. Das Essen ist recht<lb/>
gut und die Gesellschaft noch besser; meine Geduld<lb/>
ist also weiter auf keiner sehr groſsen Probe; und ich<lb/>
habe noch die ganze Odyssee zu lesen. Der Russische<lb/>
und Englische Gesandte sind auf dem groſsen Schiffe;<lb/>
wir haben also noch die Ehre ihrentwegen recht lang¬<lb/>
sam zu fahren. Die Geschichte des Tags auf unserer<lb/>
Flotte sagt eben, daſs der Russischen Excellenz ein<lb/>
Pferd krank geworden ist. Wie viele von den Leuten<lb/>
seekrank sind, das ist eine erbärmliche Kleinigkeit:<lb/>
aber bedenke nur, der Leibgaul des Russischen Ge¬<lb/>
sandten, der ist ein Kerl von Gewicht. Man erzählt<lb/>
bey Tische dieſs und jenes: sogar die Geschichten der<lb/>
Hofleute aus ihrem eigenen Munde bestätigen die<lb/>
schlechte Meinung, die ich durchaus von der neapoli¬<lb/>
tanischen Regierung habe. Es waren einige sybariti¬<lb/>
sche Herren bey uns, die doch nicht lassen konnten,<lb/>
dann und wann etwas vorzubringen und einzugeste¬<lb/>
hen, was Stoff zu Aergerniſs und Sarkasmen gab. Es<lb/>
ist wieder tiefe Nacht im Golf geworden; der Wind<lb/>
bläst hoch und wirft uns gewaltig. Ich habe auf allen<lb/>
meinen Fahrten, Dank sey es meiner guten Erziehung,<lb/>
nie die Seekrankheit gehabt: ich lege mich ruhig nie¬<lb/>
der und schlafe.</p><lb/></div><milestonerendition="#hr"unit="section"/></body></text></TEI>
[331/0357]
Aeolus hat uns noch immer seinen Schlauch nicht ge¬
geben, und wir müssen aushalten. Das Essen ist recht
gut und die Gesellschaft noch besser; meine Geduld
ist also weiter auf keiner sehr groſsen Probe; und ich
habe noch die ganze Odyssee zu lesen. Der Russische
und Englische Gesandte sind auf dem groſsen Schiffe;
wir haben also noch die Ehre ihrentwegen recht lang¬
sam zu fahren. Die Geschichte des Tags auf unserer
Flotte sagt eben, daſs der Russischen Excellenz ein
Pferd krank geworden ist. Wie viele von den Leuten
seekrank sind, das ist eine erbärmliche Kleinigkeit:
aber bedenke nur, der Leibgaul des Russischen Ge¬
sandten, der ist ein Kerl von Gewicht. Man erzählt
bey Tische dieſs und jenes: sogar die Geschichten der
Hofleute aus ihrem eigenen Munde bestätigen die
schlechte Meinung, die ich durchaus von der neapoli¬
tanischen Regierung habe. Es waren einige sybariti¬
sche Herren bey uns, die doch nicht lassen konnten,
dann und wann etwas vorzubringen und einzugeste¬
hen, was Stoff zu Aergerniſs und Sarkasmen gab. Es
ist wieder tiefe Nacht im Golf geworden; der Wind
bläst hoch und wirft uns gewaltig. Ich habe auf allen
meinen Fahrten, Dank sey es meiner guten Erziehung,
nie die Seekrankheit gehabt: ich lege mich ruhig nie¬
der und schlafe.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/357>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.