Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

erstechen sich unter einander bey der geringsten Ver¬
anlassung, hörte ich einen kundigen wahrhaften Mann
urtheilen; aber ein Fremder ist heilig. Ich möchte
mich freylich nicht zu sehr auf meine fremde Heilig¬
keit verlassen; aber die Sache ist nicht ohne Grund.
Ich blieb, zum Beyspiel, zwischen Messina und Paler¬
mo in einem einzelnen Hause, dessen zwey handfeste
Besitzer ich gleich beym ersten Anblick klassificiert
hatte. Alles bestätigte meinen Argwohn und meine
Besorgniss. Man speiste mich indessen leidlich und
machte mir sodann ein Lager auf einer Art von Prit¬
sche, so dass alle Schiessgewehre und Dolche in ei¬
nem Winkel zu meinem Kopfe lagen. Man machte
mich auch darauf aufmerksam, dass ich bewaffnet wä¬
re, und ich schlief nun ziemlich ruhig.

Nach Sankt Martin hinauf bin ich nicht gekom¬
men, weil das Wetter beständig sehr unfreundlich
war, und ich mich die letzten Tage nicht entfernen
durfte, da man mit dem ersten guten Winde abfahren
wollte. Die Mönche dort oben sollen die prächtigste
Mast in der ganzen Christenheit haben. Wenn das
Christenthum Schuld an allem Unheil wäre, das man
bey seinen Priestern und durch seine Priester sieht, so
wäre der Stifter der hassenswürdigste der Menschen.
Das astronomische Observatorium auf dem Schlosse
konnte ich nicht füglich sehen, weil Piazzi nicht zu¬
gegen vvar. Uebrigens bin ich auch ein Laie am
Himmel. Vielleicht hat es eine wohlthätige Wirkung
auf die Insel, dass die Sicilianer nun ihre Göttin un¬
ter den Sternen finden; bisher haben sie das Heilig¬
thum der Ceres und ihre Geschenke gewissenlos ver¬

erstechen sich unter einander bey der geringsten Ver¬
anlassung, hörte ich einen kundigen wahrhaften Mann
urtheilen; aber ein Fremder ist heilig. Ich möchte
mich freylich nicht zu sehr auf meine fremde Heilig¬
keit verlassen; aber die Sache ist nicht ohne Grund.
Ich blieb, zum Beyspiel, zwischen Messina und Paler¬
mo in einem einzelnen Hause, dessen zwey handfeste
Besitzer ich gleich beym ersten Anblick klassificiert
hatte. Alles bestätigte meinen Argwohn und meine
Besorgniſs. Man speiste mich indessen leidlich und
machte mir sodann ein Lager auf einer Art von Prit¬
sche, so daſs alle Schieſsgewehre und Dolche in ei¬
nem Winkel zu meinem Kopfe lagen. Man machte
mich auch darauf aufmerksam, daſs ich bewaffnet wä¬
re, und ich schlief nun ziemlich ruhig.

Nach Sankt Martin hinauf bin ich nicht gekom¬
men, weil das Wetter beständig sehr unfreundlich
war, und ich mich die letzten Tage nicht entfernen
durfte, da man mit dem ersten guten Winde abfahren
wollte. Die Mönche dort oben sollen die prächtigste
Mast in der ganzen Christenheit haben. Wenn das
Christenthum Schuld an allem Unheil wäre, das man
bey seinen Priestern und durch seine Priester sieht, so
wäre der Stifter der hassenswürdigste der Menschen.
Das astronomische Observatorium auf dem Schlosse
konnte ich nicht füglich sehen, weil Piazzi nicht zu¬
gegen vvar. Uebrigens bin ich auch ein Laie am
Himmel. Vielleicht hat es eine wohlthätige Wirkung
auf die Insel, daſs die Sicilianer nun ihre Göttin un¬
ter den Sternen finden; bisher haben sie das Heilig¬
thum der Ceres und ihre Geschenke gewissenlos ver¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0353" n="327"/>
erstechen sich unter einander bey der geringsten Ver¬<lb/>
anlassung, hörte ich einen kundigen wahrhaften Mann<lb/>
urtheilen; aber ein Fremder ist heilig. Ich möchte<lb/>
mich freylich nicht zu sehr auf meine fremde Heilig¬<lb/>
keit verlassen; aber die Sache ist nicht ohne Grund.<lb/>
Ich blieb, zum Beyspiel, zwischen Messina und Paler¬<lb/>
mo in einem einzelnen Hause, dessen zwey handfeste<lb/>
Besitzer ich gleich beym ersten Anblick klassificiert<lb/>
hatte. Alles bestätigte meinen Argwohn und meine<lb/>
Besorgni&#x017F;s. Man speiste mich indessen leidlich und<lb/>
machte mir sodann ein Lager auf einer Art von Prit¬<lb/>
sche, so da&#x017F;s alle Schie&#x017F;sgewehre und Dolche in ei¬<lb/>
nem Winkel zu meinem Kopfe lagen. Man machte<lb/>
mich auch darauf aufmerksam, da&#x017F;s ich bewaffnet wä¬<lb/>
re, und ich schlief nun ziemlich ruhig.</p><lb/>
        <p>Nach Sankt Martin hinauf bin ich nicht gekom¬<lb/>
men, weil das Wetter beständig sehr unfreundlich<lb/>
war, und ich mich die letzten Tage nicht entfernen<lb/>
durfte, da man mit dem ersten guten Winde abfahren<lb/>
wollte. Die Mönche dort oben sollen die prächtigste<lb/>
Mast in der ganzen Christenheit haben. Wenn das<lb/>
Christenthum Schuld an allem Unheil wäre, das man<lb/>
bey seinen Priestern und durch seine Priester sieht, so<lb/>
wäre der Stifter der hassenswürdigste der Menschen.<lb/>
Das astronomische Observatorium auf dem Schlosse<lb/>
konnte ich nicht füglich sehen, weil Piazzi nicht zu¬<lb/>
gegen vvar. Uebrigens bin ich auch ein Laie am<lb/>
Himmel. Vielleicht hat es eine wohlthätige Wirkung<lb/>
auf die Insel, da&#x017F;s die Sicilianer nun ihre Göttin un¬<lb/>
ter den Sternen finden; bisher haben sie das Heilig¬<lb/>
thum der Ceres und ihre Geschenke gewissenlos ver¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[327/0353] erstechen sich unter einander bey der geringsten Ver¬ anlassung, hörte ich einen kundigen wahrhaften Mann urtheilen; aber ein Fremder ist heilig. Ich möchte mich freylich nicht zu sehr auf meine fremde Heilig¬ keit verlassen; aber die Sache ist nicht ohne Grund. Ich blieb, zum Beyspiel, zwischen Messina und Paler¬ mo in einem einzelnen Hause, dessen zwey handfeste Besitzer ich gleich beym ersten Anblick klassificiert hatte. Alles bestätigte meinen Argwohn und meine Besorgniſs. Man speiste mich indessen leidlich und machte mir sodann ein Lager auf einer Art von Prit¬ sche, so daſs alle Schieſsgewehre und Dolche in ei¬ nem Winkel zu meinem Kopfe lagen. Man machte mich auch darauf aufmerksam, daſs ich bewaffnet wä¬ re, und ich schlief nun ziemlich ruhig. Nach Sankt Martin hinauf bin ich nicht gekom¬ men, weil das Wetter beständig sehr unfreundlich war, und ich mich die letzten Tage nicht entfernen durfte, da man mit dem ersten guten Winde abfahren wollte. Die Mönche dort oben sollen die prächtigste Mast in der ganzen Christenheit haben. Wenn das Christenthum Schuld an allem Unheil wäre, das man bey seinen Priestern und durch seine Priester sieht, so wäre der Stifter der hassenswürdigste der Menschen. Das astronomische Observatorium auf dem Schlosse konnte ich nicht füglich sehen, weil Piazzi nicht zu¬ gegen vvar. Uebrigens bin ich auch ein Laie am Himmel. Vielleicht hat es eine wohlthätige Wirkung auf die Insel, daſs die Sicilianer nun ihre Göttin un¬ ter den Sternen finden; bisher haben sie das Heilig¬ thum der Ceres und ihre Geschenke gewissenlos ver¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/353
Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/353>, abgerufen am 22.11.2024.