mitten in der Insel. In der Stadt war auf dem Markte ein gewaltiger Lärm von Menschen; man ass und trank, und handelte und zankte, und sprach über¬ all sehr hoch, als auf einmal das Allerheiligste vorbey¬ getragen wurde; schnell ward alles still und stürzte nieder und der ganze Markt machte eine sonderbare Gruppe. Ich konnte aus meinem Fenster bey einer Mahlzeit getrockneter Oliven, die mein Lieblingsge¬ richt hier sind, unbemerkt und bequem alles sehen. Ein so gutes Wirthshaus hätte ich hier nicht gesucht; Zimmer, Bett, Tisch, alles ist sehr gut, und verhält¬ nissmässig sehr billig.
Von hier aus wollte ich nach Syrakus, und ging aufmerksam immer den Weg fort, den man mir be¬ zeichnet hatte, und war, ehe ich mirs versah, in Pala¬ gonia, dem Stammhause des seligen Patrons der Un¬ geheuer, barocken Andenkens. Wäre ich an seiner Stelle gewesen, ich wäre hier geblieben; denn Palago¬ nia gefällt mir viel besser als die Nachbarschaft von Palermo, wo er das Tabernakel seiner ästhetischen, Missgeburten aufschlug. Wieland lässt den geächteten Diagoras in der Gegend von Tempe aus Aergerniss über Götter und Menschen ein ähnliches Spielwerk treiben; aber er thut es besser und genialischer als der Sicilianer. Palagonia liegt herrlich in einem Bergwin¬ kel des Thales Enna. Kommt man von Caltagirone herüber, so geht man durch furchtbare Felsenschluch¬ ten und steigt einen Berg herab, als ob es in die Hölle ginge; und es geht in ein Elysium. Schade dass die exemplarische sicilianische Faulheit es nicht besser be¬ nutzt und geniesst. Die Stadt ist traurig schmutzig.
mitten in der Insel. In der Stadt war auf dem Markte ein gewaltiger Lärm von Menschen; man aſs und trank, und handelte und zankte, und sprach über¬ all sehr hoch, als auf einmal das Allerheiligste vorbey¬ getragen wurde; schnell ward alles still und stürzte nieder und der ganze Markt machte eine sonderbare Gruppe. Ich konnte aus meinem Fenster bey einer Mahlzeit getrockneter Oliven, die mein Lieblingsge¬ richt hier sind, unbemerkt und bequem alles sehen. Ein so gutes Wirthshaus hätte ich hier nicht gesucht; Zimmer, Bett, Tisch, alles ist sehr gut, und verhält¬ niſsmäſsig sehr billig.
Von hier aus wollte ich nach Syrakus, und ging aufmerksam immer den Weg fort, den man mir be¬ zeichnet hatte, und war, ehe ich mirs versah, in Pala¬ gonia, dem Stammhause des seligen Patrons der Un¬ geheuer, barocken Andenkens. Wäre ich an seiner Stelle gewesen, ich wäre hier geblieben; denn Palago¬ nia gefällt mir viel besser als die Nachbarschaft von Palermo, wo er das Tabernakel seiner ästhetischen, Miſsgeburten aufschlug. Wieland läſst den geächteten Diagoras in der Gegend von Tempe aus Aergerniſs über Götter und Menschen ein ähnliches Spielwerk treiben; aber er thut es besser und genialischer als der Sicilianer. Palagonia liegt herrlich in einem Bergwin¬ kel des Thales Enna. Kommt man von Caltagirone herüber, so geht man durch furchtbare Felsenschluch¬ ten und steigt einen Berg herab, als ob es in die Hölle ginge; und es geht in ein Elysium. Schade daſs die exemplarische sicilianische Faulheit es nicht besser be¬ nutzt und genieſst. Die Stadt ist traurig schmutzig.
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[235/0261]
mitten in der Insel. In der Stadt war auf dem
Markte ein gewaltiger Lärm von Menschen; man aſs
und trank, und handelte und zankte, und sprach über¬
all sehr hoch, als auf einmal das Allerheiligste vorbey¬
getragen wurde; schnell ward alles still und stürzte
nieder und der ganze Markt machte eine sonderbare
Gruppe. Ich konnte aus meinem Fenster bey einer
Mahlzeit getrockneter Oliven, die mein Lieblingsge¬
richt hier sind, unbemerkt und bequem alles sehen.
Ein so gutes Wirthshaus hätte ich hier nicht gesucht;
Zimmer, Bett, Tisch, alles ist sehr gut, und verhält¬
niſsmäſsig sehr billig.
Von hier aus wollte ich nach Syrakus, und ging
aufmerksam immer den Weg fort, den man mir be¬
zeichnet hatte, und war, ehe ich mirs versah, in Pala¬
gonia, dem Stammhause des seligen Patrons der Un¬
geheuer, barocken Andenkens. Wäre ich an seiner
Stelle gewesen, ich wäre hier geblieben; denn Palago¬
nia gefällt mir viel besser als die Nachbarschaft von
Palermo, wo er das Tabernakel seiner ästhetischen,
Miſsgeburten aufschlug. Wieland läſst den geächteten
Diagoras in der Gegend von Tempe aus Aergerniſs
über Götter und Menschen ein ähnliches Spielwerk
treiben; aber er thut es besser und genialischer als der
Sicilianer. Palagonia liegt herrlich in einem Bergwin¬
kel des Thales Enna. Kommt man von Caltagirone
herüber, so geht man durch furchtbare Felsenschluch¬
ten und steigt einen Berg herab, als ob es in die Hölle
ginge; und es geht in ein Elysium. Schade daſs die
exemplarische sicilianische Faulheit es nicht besser be¬
nutzt und genieſst. Die Stadt ist traurig schmutzig.
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/261>, abgerufen am 22.11.2024.
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