Zeichen der Hospitalität und der Sicherheit. Ob ich gleich nicht lange vorher reichlich aus einem kleinen Felsenbache getrunken hatte, so machte ich doch kei¬ ne Umstände der ehrenvollen Gesellschaft Bescheid zu thun, so gut ich konnte, und trank aus der darge¬ reichten engen Flasche. Diese Flaschen mit sehr en¬ gen Mündungen sind, wie Du vielleicht schon weisst, hier für das Klima sehr diätetisch eingerichtet. Man ist durchaus genöthigt sehr langsam zu trinken, weil man doch nicht mehr schlucken kann als heraus läuft. Nun fragte man mich dieses und jenes, worauf ich so unbefangen als möglich antwortete. -- An wen seyd Ihr in Syrakus empfohlen? -- An den Ritter Lando¬ lina. -- Den kenne ich; sagte Einer. -- Ihr seyd also arm und wollt den Giro machen, und geht zu Fusse? Ich bejahte das. Nun fragte man mich: Versteht Ihr das Spiel? Ich hatte die Frage nicht einmal recht ver¬ standen: da ich aber, ausser ein wenig Schach, durch¬ aus gar kein Spiel verstehe, konnte ich mit gutem Ge¬ wissen Nein antworten. Diese Frage ist mir vorher und nachher in Sicilien oft gethan worden, und die Erkundigung ist, ob man etwas vom Lotto verstehe, welches auch hier, Dank sey es der schlechten Regie¬ rung, eine allgemeine Seuche ist. Das gemeine Volk steht hier noch oft in dem Wahn, der Fremde als ein gescheidter Kerl müsse sogleich ausrechnen oder aus¬ zaubern können, welche Nummern gewinnen werden. Man wünschte mir gute Reise und ritt fort. Was war nun von den Leuten zu halten? Aus gewöhnli¬ cher Vorsicht hatte ich die Uhr tief gesteckt; sie war also nicht zu sehen: mein Taschenbuch, in welchem
Zeichen der Hospitalität und der Sicherheit. Ob ich gleich nicht lange vorher reichlich aus einem kleinen Felsenbache getrunken hatte, so machte ich doch kei¬ ne Umstände der ehrenvollen Gesellschaft Bescheid zu thun, so gut ich konnte, und trank aus der darge¬ reichten engen Flasche. Diese Flaschen mit sehr en¬ gen Mündungen sind, wie Du vielleicht schon weiſst, hier für das Klima sehr diätetisch eingerichtet. Man ist durchaus genöthigt sehr langsam zu trinken, weil man doch nicht mehr schlucken kann als heraus läuft. Nun fragte man mich dieses und jenes, worauf ich so unbefangen als möglich antwortete. — An wen seyd Ihr in Syrakus empfohlen? — An den Ritter Lando¬ lina. — Den kenne ich; sagte Einer. — Ihr seyd also arm und wollt den Giro machen, und geht zu Fuſse? Ich bejahte das. Nun fragte man mich: Versteht Ihr das Spiel? Ich hatte die Frage nicht einmal recht ver¬ standen: da ich aber, auſser ein wenig Schach, durch¬ aus gar kein Spiel verstehe, konnte ich mit gutem Ge¬ wissen Nein antworten. Diese Frage ist mir vorher und nachher in Sicilien oft gethan worden, und die Erkundigung ist, ob man etwas vom Lotto verstehe, welches auch hier, Dank sey es der schlechten Regie¬ rung, eine allgemeine Seuche ist. Das gemeine Volk steht hier noch oft in dem Wahn, der Fremde als ein gescheidter Kerl müsse sogleich ausrechnen oder aus¬ zaubern können, welche Nummern gewinnen werden. Man wünschte mir gute Reise und ritt fort. Was war nun von den Leuten zu halten? Aus gewöhnli¬ cher Vorsicht hatte ich die Uhr tief gesteckt; sie war also nicht zu sehen: mein Taschenbuch, in welchem
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Zeichen der Hospitalität und der Sicherheit. Ob ich
gleich nicht lange vorher reichlich aus einem kleinen
Felsenbache getrunken hatte, so machte ich doch kei¬
ne Umstände der ehrenvollen Gesellschaft Bescheid zu
thun, so gut ich konnte, und trank aus der darge¬
reichten engen Flasche. Diese Flaschen mit sehr en¬
gen Mündungen sind, wie Du vielleicht schon weiſst,
hier für das Klima sehr diätetisch eingerichtet. Man
ist durchaus genöthigt sehr langsam zu trinken, weil
man doch nicht mehr schlucken kann als heraus läuft.
Nun fragte man mich dieses und jenes, worauf ich so
unbefangen als möglich antwortete. — An wen seyd
Ihr in Syrakus empfohlen? — An den Ritter Lando¬
lina. — Den kenne ich; sagte Einer. — Ihr seyd also
arm und wollt den Giro machen, und geht zu Fuſse?
Ich bejahte das. Nun fragte man mich: Versteht Ihr
das Spiel? Ich hatte die Frage nicht einmal recht ver¬
standen: da ich aber, auſser ein wenig Schach, durch¬
aus gar kein Spiel verstehe, konnte ich mit gutem Ge¬
wissen Nein antworten. Diese Frage ist mir vorher
und nachher in Sicilien oft gethan worden, und die
Erkundigung ist, ob man etwas vom Lotto verstehe,
welches auch hier, Dank sey es der schlechten Regie¬
rung, eine allgemeine Seuche ist. Das gemeine Volk
steht hier noch oft in dem Wahn, der Fremde als ein
gescheidter Kerl müsse sogleich ausrechnen oder aus¬
zaubern können, welche Nummern gewinnen werden.
Man wünschte mir gute Reise und ritt fort. Was
war nun von den Leuten zu halten? Aus gewöhnli¬
cher Vorsicht hatte ich die Uhr tief gesteckt; sie war
also nicht zu sehen: mein Taschenbuch, in welchem
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/256>, abgerufen am 22.11.2024.
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