Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

der Baum mit der Mütze und der Inschrift: L' Union
des Fran
cois et des Cisalpins. Aber welche Union!
das mag der heilige Bartholomäus in Mayland sagen.

Wenn ich nun ein ordentlicher systematischer
Reisender wäre, so hätte ich von Rimini rechts hin¬
auf auf die Berge gehen sollen, um die selige Repu¬
blik Sankt Marino zu besuchen; zumahl da ich eine
kleine Liebschaft gegen die Republiken habe, wenn
sie nur leidlich vernünftig sind. Aber ich ging nun
gerade fort nach Katholika und Pesaro. Die Arianer
hatten, wie man sagt, auf dem Koncilium zu Rimini
den Meister gespielt; desswegen gingen die rechtgläu¬
bigen Bischöfe mit Protest herüber nach Katholika
und verewigten ihre muthige Flucht durch den Na¬
men des Orts. Auch steht, wie ich selbst gelesen ha¬
be, die ganze Geschichte auf einer grossen Marmor¬
platte über dem Portal der Kirche zu Katholika:
ich nehme mir aber selten die Mühe etwas abzu¬
schreiben, am wenigsten dergleichen Orthodoxistereyen.
In Pesaro, wo ich beyläufig die erste Handvoll
päpstlicher Soldaten antraf, fragte ich, weil ich
müde war, den ersten besten, der mir begegnete, wo
ich logieren könnte? Bey mir antwortete er. Sehr
wohl! sagte ich, und folgte. Der Mann hatte ein
Schurzfell und schien, mit Shakespear zu reden, ein
Wundarzt für alte Schuhe zu seyn. Nun fragte er
mich, was ich essen wollte? Das stellte ich denn ganz
seiner Weisheit anheim, und er that sein möglichstes
mich zu frieden zu stellen, ging aus und brachte Vik¬
tualien, machte selbst den Koch und holte zweyerley
Wein. Das war von nun an oft der Fall, dass der

der Baum mit der Mütze und der Inschrift: L' Union
des Fran
çois et des Cisalpins. Aber welche Union!
das mag der heilige Bartholomäus in Mayland sagen.

Wenn ich nun ein ordentlicher systematischer
Reisender wäre, so hätte ich von Rimini rechts hin¬
auf auf die Berge gehen sollen, um die selige Repu¬
blik Sankt Marino zu besuchen; zumahl da ich eine
kleine Liebschaft gegen die Republiken habe, wenn
sie nur leidlich vernünftig sind. Aber ich ging nun
gerade fort nach Katholika und Pesaro. Die Arianer
hatten, wie man sagt, auf dem Koncilium zu Rimini
den Meister gespielt; deſswegen gingen die rechtgläu¬
bigen Bischöfe mit Protest herüber nach Katholika
und verewigten ihre muthige Flucht durch den Na¬
men des Orts. Auch steht, wie ich selbst gelesen ha¬
be, die ganze Geschichte auf einer groſsen Marmor¬
platte über dem Portal der Kirche zu Katholika:
ich nehme mir aber selten die Mühe etwas abzu¬
schreiben, am wenigsten dergleichen Orthodoxistereyen.
In Pesaro, wo ich beyläufig die erste Handvoll
päpstlicher Soldaten antraf, fragte ich, weil ich
müde war, den ersten besten, der mir begegnete, wo
ich logieren könnte? Bey mir antwortete er. Sehr
wohl! sagte ich, und folgte. Der Mann hatte ein
Schurzfell und schien, mit Shakespear zu reden, ein
Wundarzt für alte Schuhe zu seyn. Nun fragte er
mich, was ich essen wollte? Das stellte ich denn ganz
seiner Weisheit anheim, und er that sein möglichstes
mich zu frieden zu stellen, ging aus und brachte Vik¬
tualien, machte selbst den Koch und holte zweyerley
Wein. Das war von nun an oft der Fall, daſs der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0152" n="126"/>
der Baum mit der Mütze und der Inschrift: <hi rendition="#i">L</hi>' <hi rendition="#i">Union<lb/>
des Fran</hi>ç<hi rendition="#i">ois et des Cisalpins</hi>. Aber welche Union!<lb/>
das mag der heilige Bartholomäus in Mayland sagen.</p><lb/>
        <p>Wenn ich nun ein ordentlicher systematischer<lb/>
Reisender wäre, so hätte ich von Rimini rechts hin¬<lb/>
auf auf die Berge gehen sollen, um die selige Repu¬<lb/>
blik Sankt Marino zu besuchen; zumahl da ich eine<lb/>
kleine Liebschaft gegen die Republiken habe, wenn<lb/>
sie nur leidlich vernünftig sind. Aber ich ging nun<lb/>
gerade fort nach Katholika und Pesaro. Die Arianer<lb/>
hatten, wie man sagt, auf dem Koncilium zu Rimini<lb/>
den Meister gespielt; de&#x017F;swegen gingen die rechtgläu¬<lb/>
bigen Bischöfe mit Protest herüber nach Katholika<lb/>
und verewigten ihre muthige Flucht durch den Na¬<lb/>
men des Orts. Auch steht, wie ich selbst gelesen ha¬<lb/>
be, die ganze Geschichte auf einer gro&#x017F;sen Marmor¬<lb/>
platte über dem Portal der Kirche zu Katholika:<lb/>
ich nehme mir aber selten die Mühe etwas abzu¬<lb/>
schreiben, am wenigsten dergleichen Orthodoxistereyen.<lb/>
In Pesaro, wo ich beyläufig die erste Handvoll<lb/>
päpstlicher Soldaten antraf, fragte ich, weil ich<lb/>
müde war, den ersten besten, der mir begegnete, wo<lb/>
ich logieren könnte? Bey mir antwortete er. Sehr<lb/>
wohl! sagte ich, und folgte. Der Mann hatte ein<lb/>
Schurzfell und schien, mit Shakespear zu reden, ein<lb/>
Wundarzt für alte Schuhe zu seyn. Nun fragte er<lb/>
mich, was ich essen wollte? Das stellte ich denn ganz<lb/>
seiner Weisheit anheim, und er that sein möglichstes<lb/>
mich zu frieden zu stellen, ging aus und brachte Vik¬<lb/>
tualien, machte selbst den Koch und holte zweyerley<lb/>
Wein. Das war von nun an oft der Fall, da&#x017F;s der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0152] der Baum mit der Mütze und der Inschrift: L' Union des François et des Cisalpins. Aber welche Union! das mag der heilige Bartholomäus in Mayland sagen. Wenn ich nun ein ordentlicher systematischer Reisender wäre, so hätte ich von Rimini rechts hin¬ auf auf die Berge gehen sollen, um die selige Repu¬ blik Sankt Marino zu besuchen; zumahl da ich eine kleine Liebschaft gegen die Republiken habe, wenn sie nur leidlich vernünftig sind. Aber ich ging nun gerade fort nach Katholika und Pesaro. Die Arianer hatten, wie man sagt, auf dem Koncilium zu Rimini den Meister gespielt; deſswegen gingen die rechtgläu¬ bigen Bischöfe mit Protest herüber nach Katholika und verewigten ihre muthige Flucht durch den Na¬ men des Orts. Auch steht, wie ich selbst gelesen ha¬ be, die ganze Geschichte auf einer groſsen Marmor¬ platte über dem Portal der Kirche zu Katholika: ich nehme mir aber selten die Mühe etwas abzu¬ schreiben, am wenigsten dergleichen Orthodoxistereyen. In Pesaro, wo ich beyläufig die erste Handvoll päpstlicher Soldaten antraf, fragte ich, weil ich müde war, den ersten besten, der mir begegnete, wo ich logieren könnte? Bey mir antwortete er. Sehr wohl! sagte ich, und folgte. Der Mann hatte ein Schurzfell und schien, mit Shakespear zu reden, ein Wundarzt für alte Schuhe zu seyn. Nun fragte er mich, was ich essen wollte? Das stellte ich denn ganz seiner Weisheit anheim, und er that sein möglichstes mich zu frieden zu stellen, ging aus und brachte Vik¬ tualien, machte selbst den Koch und holte zweyerley Wein. Das war von nun an oft der Fall, daſs der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/152
Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/152>, abgerufen am 29.11.2024.