man in Ehren nur verlangen kann. Es kam noch ein Schiffskapitän, der mir Gesellschaft leistete und mir von seinen Fahrten im mittelländischen Meere eine Menge Geschichten erzählte. Er bedauerte, dass es Friede sey und der Schleichhandel nicht mehr so viel eintrage: das sagte er nehmlich, ohne sich sehr ver¬ blümt auszudrücken. Die Rechnung war für die sehr gute Bewirthung ausserordentlich billig. Cesena ist übrigens eine alte sehr verfallene Stadt, und der auf¬ gepflanzte Freyheitsbaum machte unter den halbver¬ schütteten Häusern des fast leeren Marktes eine trau¬ rige Figur. Pius der Sechste muss für seine Vaterstadt nicht viel gethan haben: es würde ihm weit rühmli¬ cher seyn, als der verunglückte Pallast für seinen ver¬ dienstlosen Nepoten.
Vor Savignano ging ich, nicht vvie Cäsar, über den Rubikon. Wahrscheinlich hat der kahlköpfige Weltbeherrscher hier oder etwas weiter unten am Meere den ersten entscheidenden Schritt gethan, die sonderbare Freyheit seines Vaterlandes zu zertrümmern, als er als Despot des neu eroberten Galliens zurück kehrte. Ein eigener Charakter, der Julius Cäsar. Es ist von gewissen Leuten schwer zu bestimmen, ob sie mehr Liebe oder Hass verdienen. Ich erinnere mich, dass es mir in einem solchen moralischen Kampfe ein¬ mahl entfuhr, Cäsar sey der liebenswürdigste Schurke, den die Geschichte aufstelle. Die Aeusserung hätte mir fast die Beschuldigung der verletzten Majestät zugezo¬ gen. Dagegen wollte man mir neulich beweisen, Bru¬ tus sey eigentlich der Schurke gewesen, und Cäsar ganz Liebenswürdigkeit. So, so; bien vous fasse! Ihr
man in Ehren nur verlangen kann. Es kam noch ein Schiffskapitän, der mir Gesellschaft leistete und mir von seinen Fahrten im mittelländischen Meere eine Menge Geschichten erzählte. Er bedauerte, daſs es Friede sey und der Schleichhandel nicht mehr so viel eintrage: das sagte er nehmlich, ohne sich sehr ver¬ blümt auszudrücken. Die Rechnung war für die sehr gute Bewirthung auſserordentlich billig. Cesena ist übrigens eine alte sehr verfallene Stadt, und der auf¬ gepflanzte Freyheitsbaum machte unter den halbver¬ schütteten Häusern des fast leeren Marktes eine trau¬ rige Figur. Pius der Sechste muſs für seine Vaterstadt nicht viel gethan haben: es würde ihm weit rühmli¬ cher seyn, als der verunglückte Pallast für seinen ver¬ dienstlosen Nepoten.
Vor Savignano ging ich, nicht vvie Cäsar, über den Rubikon. Wahrscheinlich hat der kahlköpfige Weltbeherrscher hier oder etwas weiter unten am Meere den ersten entscheidenden Schritt gethan, die sonderbare Freyheit seines Vaterlandes zu zertrümmern, als er als Despot des neu eroberten Galliens zurück kehrte. Ein eigener Charakter, der Julius Cäsar. Es ist von gewissen Leuten schwer zu bestimmen, ob sie mehr Liebe oder Haſs verdienen. Ich erinnere mich, daſs es mir in einem solchen moralischen Kampfe ein¬ mahl entfuhr, Cäsar sey der liebenswürdigste Schurke, den die Geschichte aufstelle. Die Aeuſserung hätte mir fast die Beschuldigung der verletzten Majestät zugezo¬ gen. Dagegen wollte man mir neulich beweisen, Bru¬ tus sey eigentlich der Schurke gewesen, und Cäsar ganz Liebenswürdigkeit. So, so; bien vous fasse! Ihr
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man in Ehren nur verlangen kann. Es kam noch ein
Schiffskapitän, der mir Gesellschaft leistete und mir
von seinen Fahrten im mittelländischen Meere eine
Menge Geschichten erzählte. Er bedauerte, daſs es
Friede sey und der Schleichhandel nicht mehr so viel
eintrage: das sagte er nehmlich, ohne sich sehr ver¬
blümt auszudrücken. Die Rechnung war für die sehr
gute Bewirthung auſserordentlich billig. Cesena ist
übrigens eine alte sehr verfallene Stadt, und der auf¬
gepflanzte Freyheitsbaum machte unter den halbver¬
schütteten Häusern des fast leeren Marktes eine trau¬
rige Figur. Pius der Sechste muſs für seine Vaterstadt
nicht viel gethan haben: es würde ihm weit rühmli¬
cher seyn, als der verunglückte Pallast für seinen ver¬
dienstlosen Nepoten.
Vor Savignano ging ich, nicht vvie Cäsar, über
den Rubikon. Wahrscheinlich hat der kahlköpfige
Weltbeherrscher hier oder etwas weiter unten am
Meere den ersten entscheidenden Schritt gethan, die
sonderbare Freyheit seines Vaterlandes zu zertrümmern,
als er als Despot des neu eroberten Galliens zurück
kehrte. Ein eigener Charakter, der Julius Cäsar. Es
ist von gewissen Leuten schwer zu bestimmen, ob sie
mehr Liebe oder Haſs verdienen. Ich erinnere mich,
daſs es mir in einem solchen moralischen Kampfe ein¬
mahl entfuhr, Cäsar sey der liebenswürdigste Schurke,
den die Geschichte aufstelle. Die Aeuſserung hätte mir
fast die Beschuldigung der verletzten Majestät zugezo¬
gen. Dagegen wollte man mir neulich beweisen, Bru¬
tus sey eigentlich der Schurke gewesen, und Cäsar
ganz Liebenswürdigkeit. So, so; bien vous fasse! Ihr
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/150>, abgerufen am 28.11.2024.
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