ihrer artigen Vertraulichkeit fort, und ich ward ernst. Sie waren beyde ganz hübsche Sünderinnen, und tru¬ gen sich ganz niedlich und anständig mit der feine¬ ren Klasse. Ich demonstrierte in meinem gebroche¬ nen Italiänisch so gut ich konnte, sie möchten mich in Ruhe lassen. Es half nichts; die Gesellschaft in ei¬ niger Entfernung lächelte und Einige lachten sogar. Eine von den beyden Nymphchen schmiegte sich so schmeichelnd als möglich an mich an. Da ward ich heiss und fing an in meinem stärksten Basstone auf gut Russisch zu fluchen, mischte so etwas von Impudenza und senza vergogna dazu, stampfte mit meinem Kno¬ tenstocke emphatisch auf das Pflaster, dass die Gesell¬ schaft sich schüchtern zerstreute und die erschrockenen Geschöpfchen ihren Weg gingen.
Ein anderer, etwas ernsthafterer Vorfall beschäf¬ tigte mich fast eine halbe Stunde. Ich verschliesse den Abend mein Zimmer und lege mich zu Bette. Als ich den Morgen aufstehe, finde ich meine Kleider, die neben mir auf einem andern Bette lagen, ziemlich in Unordnung und meinen Huth herab geworfen. Das Schloss war unberührt und mir fehlte übrigens nichts. Ich dachte hin und her und konnte nichts heraus grübeln, und mir schwebten mancherley son¬ derbare Gedanken von der alten venetianischen Poli¬ zey vor dem Gehirne; so dass ich sogleich, als ich mich angezogen hatte, zu dem Kellner ging und ihm den Vorfall erzählte. Das Haus war gross und voll. Da erhielt ich denn zu meiner Beruhigung den Aufschluss, es seyen die Nacht noch Fremde angekommen, und man habe noch eine Matratze gebraucht, und sie aus dem
ihrer artigen Vertraulichkeit fort, und ich ward ernst. Sie waren beyde ganz hübsche Sünderinnen, und tru¬ gen sich ganz niedlich und anständig mit der feine¬ ren Klasse. Ich demonstrierte in meinem gebroche¬ nen Italiänisch so gut ich konnte, sie möchten mich in Ruhe lassen. Es half nichts; die Gesellschaft in ei¬ niger Entfernung lächelte und Einige lachten sogar. Eine von den beyden Nymphchen schmiegte sich so schmeichelnd als möglich an mich an. Da ward ich heiſs und fing an in meinem stärksten Baſstone auf gut Russisch zu fluchen, mischte so etwas von Impudenza und senza vergogna dazu, stampfte mit meinem Kno¬ tenstocke emphatisch auf das Pflaster, daſs die Gesell¬ schaft sich schüchtern zerstreute und die erschrockenen Geschöpfchen ihren Weg gingen.
Ein anderer, etwas ernsthafterer Vorfall beschäf¬ tigte mich fast eine halbe Stunde. Ich verschlieſse den Abend mein Zimmer und lege mich zu Bette. Als ich den Morgen aufstehe, finde ich meine Kleider, die neben mir auf einem andern Bette lagen, ziemlich in Unordnung und meinen Huth herab geworfen. Das Schloſs war unberührt und mir fehlte übrigens nichts. Ich dachte hin und her und konnte nichts heraus grübeln, und mir schwebten mancherley son¬ derbare Gedanken von der alten venetianischen Poli¬ zey vor dem Gehirne; so daſs ich sogleich, als ich mich angezogen hatte, zu dem Kellner ging und ihm den Vorfall erzählte. Das Haus war groſs und voll. Da erhielt ich denn zu meiner Beruhigung den Aufschluſs, es seyen die Nacht noch Fremde angekommen, und man habe noch eine Matratze gebraucht, und sie aus dem
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ihrer artigen Vertraulichkeit fort, und ich ward ernst.
Sie waren beyde ganz hübsche Sünderinnen, und tru¬
gen sich ganz niedlich und anständig mit der feine¬
ren Klasse. Ich demonstrierte in meinem gebroche¬
nen Italiänisch so gut ich konnte, sie möchten mich
in Ruhe lassen. Es half nichts; die Gesellschaft in ei¬
niger Entfernung lächelte und Einige lachten sogar.
Eine von den beyden Nymphchen schmiegte sich so
schmeichelnd als möglich an mich an. Da ward ich
heiſs und fing an in meinem stärksten Baſstone auf gut
Russisch zu fluchen, mischte so etwas von Impudenza
und senza vergogna dazu, stampfte mit meinem Kno¬
tenstocke emphatisch auf das Pflaster, daſs die Gesell¬
schaft sich schüchtern zerstreute und die erschrockenen
Geschöpfchen ihren Weg gingen.
Ein anderer, etwas ernsthafterer Vorfall beschäf¬
tigte mich fast eine halbe Stunde. Ich verschlieſse
den Abend mein Zimmer und lege mich zu Bette. Als
ich den Morgen aufstehe, finde ich meine Kleider,
die neben mir auf einem andern Bette lagen, ziemlich
in Unordnung und meinen Huth herab geworfen.
Das Schloſs war unberührt und mir fehlte übrigens
nichts. Ich dachte hin und her und konnte nichts
heraus grübeln, und mir schwebten mancherley son¬
derbare Gedanken von der alten venetianischen Poli¬
zey vor dem Gehirne; so daſs ich sogleich, als ich mich
angezogen hatte, zu dem Kellner ging und ihm den
Vorfall erzählte. Das Haus war groſs und voll. Da
erhielt ich denn zu meiner Beruhigung den Aufschluſs,
es seyen die Nacht noch Fremde angekommen, und man
habe noch eine Matratze gebraucht, und sie aus dem
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/125>, abgerufen am 26.11.2024.
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