Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

ihrer artigen Vertraulichkeit fort, und ich ward ernst.
Sie waren beyde ganz hübsche Sünderinnen, und tru¬
gen sich ganz niedlich und anständig mit der feine¬
ren Klasse. Ich demonstrierte in meinem gebroche¬
nen Italiänisch so gut ich konnte, sie möchten mich
in Ruhe lassen. Es half nichts; die Gesellschaft in ei¬
niger Entfernung lächelte und Einige lachten sogar.
Eine von den beyden Nymphchen schmiegte sich so
schmeichelnd als möglich an mich an. Da ward ich
heiss und fing an in meinem stärksten Basstone auf gut
Russisch zu fluchen, mischte so etwas von Impudenza
und senza vergogna dazu, stampfte mit meinem Kno¬
tenstocke emphatisch auf das Pflaster, dass die Gesell¬
schaft sich schüchtern zerstreute und die erschrockenen
Geschöpfchen ihren Weg gingen.

Ein anderer, etwas ernsthafterer Vorfall beschäf¬
tigte mich fast eine halbe Stunde. Ich verschliesse
den Abend mein Zimmer und lege mich zu Bette. Als
ich den Morgen aufstehe, finde ich meine Kleider,
die neben mir auf einem andern Bette lagen, ziemlich
in Unordnung und meinen Huth herab geworfen.
Das Schloss war unberührt und mir fehlte übrigens
nichts. Ich dachte hin und her und konnte nichts
heraus grübeln, und mir schwebten mancherley son¬
derbare Gedanken von der alten venetianischen Poli¬
zey vor dem Gehirne; so dass ich sogleich, als ich mich
angezogen hatte, zu dem Kellner ging und ihm den
Vorfall erzählte. Das Haus war gross und voll. Da
erhielt ich denn zu meiner Beruhigung den Aufschluss,
es seyen die Nacht noch Fremde angekommen, und man
habe noch eine Matratze gebraucht, und sie aus dem

ihrer artigen Vertraulichkeit fort, und ich ward ernst.
Sie waren beyde ganz hübsche Sünderinnen, und tru¬
gen sich ganz niedlich und anständig mit der feine¬
ren Klasse. Ich demonstrierte in meinem gebroche¬
nen Italiänisch so gut ich konnte, sie möchten mich
in Ruhe lassen. Es half nichts; die Gesellschaft in ei¬
niger Entfernung lächelte und Einige lachten sogar.
Eine von den beyden Nymphchen schmiegte sich so
schmeichelnd als möglich an mich an. Da ward ich
heiſs und fing an in meinem stärksten Baſstone auf gut
Russisch zu fluchen, mischte so etwas von Impudenza
und senza vergogna dazu, stampfte mit meinem Kno¬
tenstocke emphatisch auf das Pflaster, daſs die Gesell¬
schaft sich schüchtern zerstreute und die erschrockenen
Geschöpfchen ihren Weg gingen.

Ein anderer, etwas ernsthafterer Vorfall beschäf¬
tigte mich fast eine halbe Stunde. Ich verschlieſse
den Abend mein Zimmer und lege mich zu Bette. Als
ich den Morgen aufstehe, finde ich meine Kleider,
die neben mir auf einem andern Bette lagen, ziemlich
in Unordnung und meinen Huth herab geworfen.
Das Schloſs war unberührt und mir fehlte übrigens
nichts. Ich dachte hin und her und konnte nichts
heraus grübeln, und mir schwebten mancherley son¬
derbare Gedanken von der alten venetianischen Poli¬
zey vor dem Gehirne; so daſs ich sogleich, als ich mich
angezogen hatte, zu dem Kellner ging und ihm den
Vorfall erzählte. Das Haus war groſs und voll. Da
erhielt ich denn zu meiner Beruhigung den Aufschluſs,
es seyen die Nacht noch Fremde angekommen, und man
habe noch eine Matratze gebraucht, und sie aus dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0125" n="99"/>
ihrer artigen Vertraulichkeit fort, und ich ward ernst.<lb/>
Sie waren beyde ganz hübsche Sünderinnen, und tru¬<lb/>
gen sich ganz niedlich und anständig mit der feine¬<lb/>
ren Klasse. Ich demonstrierte in meinem gebroche¬<lb/>
nen Italiänisch so gut ich konnte, sie möchten mich<lb/>
in Ruhe lassen. Es half nichts; die Gesellschaft in ei¬<lb/>
niger Entfernung lächelte und Einige lachten sogar.<lb/>
Eine von den beyden Nymphchen schmiegte sich so<lb/>
schmeichelnd als möglich an mich an. Da ward ich<lb/>
hei&#x017F;s und fing an in meinem stärksten Ba&#x017F;stone auf gut<lb/>
Russisch zu fluchen, mischte so etwas von <hi rendition="#i">Impudenza</hi><lb/>
und <hi rendition="#i">senza vergogna</hi> dazu, stampfte mit meinem Kno¬<lb/>
tenstocke emphatisch auf das Pflaster, da&#x017F;s die Gesell¬<lb/>
schaft sich schüchtern zerstreute und die erschrockenen<lb/>
Geschöpfchen ihren Weg gingen.</p><lb/>
        <p>Ein anderer, etwas ernsthafterer Vorfall beschäf¬<lb/>
tigte mich fast eine halbe Stunde. Ich verschlie&#x017F;se<lb/>
den Abend mein Zimmer und lege mich zu Bette. Als<lb/>
ich den Morgen aufstehe, finde ich meine Kleider,<lb/>
die neben mir auf einem andern Bette lagen, ziemlich<lb/>
in Unordnung und meinen Huth herab geworfen.<lb/>
Das Schlo&#x017F;s war unberührt und mir fehlte übrigens<lb/>
nichts. Ich dachte hin und her und konnte nichts<lb/>
heraus grübeln, und mir schwebten mancherley son¬<lb/>
derbare Gedanken von der alten venetianischen Poli¬<lb/>
zey vor dem Gehirne; so da&#x017F;s ich sogleich, als ich mich<lb/>
angezogen hatte, zu dem Kellner ging und ihm den<lb/>
Vorfall erzählte. Das Haus war gro&#x017F;s und voll. Da<lb/>
erhielt ich denn zu meiner Beruhigung den Aufschlu&#x017F;s,<lb/>
es seyen die Nacht noch Fremde angekommen, und man<lb/>
habe noch eine Matratze gebraucht, und sie aus dem<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0125] ihrer artigen Vertraulichkeit fort, und ich ward ernst. Sie waren beyde ganz hübsche Sünderinnen, und tru¬ gen sich ganz niedlich und anständig mit der feine¬ ren Klasse. Ich demonstrierte in meinem gebroche¬ nen Italiänisch so gut ich konnte, sie möchten mich in Ruhe lassen. Es half nichts; die Gesellschaft in ei¬ niger Entfernung lächelte und Einige lachten sogar. Eine von den beyden Nymphchen schmiegte sich so schmeichelnd als möglich an mich an. Da ward ich heiſs und fing an in meinem stärksten Baſstone auf gut Russisch zu fluchen, mischte so etwas von Impudenza und senza vergogna dazu, stampfte mit meinem Kno¬ tenstocke emphatisch auf das Pflaster, daſs die Gesell¬ schaft sich schüchtern zerstreute und die erschrockenen Geschöpfchen ihren Weg gingen. Ein anderer, etwas ernsthafterer Vorfall beschäf¬ tigte mich fast eine halbe Stunde. Ich verschlieſse den Abend mein Zimmer und lege mich zu Bette. Als ich den Morgen aufstehe, finde ich meine Kleider, die neben mir auf einem andern Bette lagen, ziemlich in Unordnung und meinen Huth herab geworfen. Das Schloſs war unberührt und mir fehlte übrigens nichts. Ich dachte hin und her und konnte nichts heraus grübeln, und mir schwebten mancherley son¬ derbare Gedanken von der alten venetianischen Poli¬ zey vor dem Gehirne; so daſs ich sogleich, als ich mich angezogen hatte, zu dem Kellner ging und ihm den Vorfall erzählte. Das Haus war groſs und voll. Da erhielt ich denn zu meiner Beruhigung den Aufschluſs, es seyen die Nacht noch Fremde angekommen, und man habe noch eine Matratze gebraucht, und sie aus dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/125
Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/125>, abgerufen am 26.11.2024.