sprechen, oder auch aus dem Stegreife über ein gege¬ benes Thema theils in Prose theils in Versen sogleich mit solchem Feuer reden, dass man sie wirklich ei¬ nige Mahl mit grossem Vergnügen hört. Du kannst Dir vorstellen, wie geringe die Summe und wie ernie¬ drigend das Handwerk seyn muss. Eine Menge Leute von allen Kalibern, Lumpige und Wohlgekleidete, sassen auf Stühlen und auf der Erde rund herum und warteten auf den Anfang, und eine Art von buntsche¬ ckigem Bedienten, der seinem Prinzipal das Geld sam¬ melte, rief und wiederholte mit lauter Stimme: Manca ancora cinque soldi; ancora cinque soldi! Je¬ der warf seinen Soldo hin, und man machte gewaltige Augen, als ich einige Mahl mit einem schlechten Zwölfkreuzerstück der Foderung ein Ende machte und die Arbeit beschleunigte. Welch ein Abstand von die¬ sen Improvisatoren bis zu den römischen, von denen wir zuweilen in unsern deutschen Blättern lesen!
Auf der Giudekka ist es, wo möglich, noch ärm¬ licher als in der Stadt; aber eben desswegen sind dort nicht so viele Bettler, weil vielleicht niemand hoffen darf, dort nur eine leidliche Ernte zu halten. Die Erlöserskirche ist daselbst die beste, und ihre Kapuzi¬ ner sind die Einzigen, die in Venedig noch etwas schöne Natur geniessen. Die Kirche ist mit Orangerie besetzt, und sie haben bey ihrem Kloster, nach der See hinaus, einen sehr schönen Weingarten. Diese, nebst einigen Oleastern in der Gegend des Zeughau¬ ses, sind die einzigen Bäume, die ich in Venedig gese¬ hen habe. Die Insel Sankt George hält bekanntlich die Kirche und das Kapitel, wo der jetzige Papst ge¬
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sprechen, oder auch aus dem Stegreife über ein gege¬ benes Thema theils in Prose theils in Versen sogleich mit solchem Feuer reden, daſs man sie wirklich ei¬ nige Mahl mit groſsem Vergnügen hört. Du kannst Dir vorstellen, wie geringe die Summe und wie ernie¬ drigend das Handwerk seyn muſs. Eine Menge Leute von allen Kalibern, Lumpige und Wohlgekleidete, saſsen auf Stühlen und auf der Erde rund herum und warteten auf den Anfang, und eine Art von buntsche¬ ckigem Bedienten, der seinem Prinzipal das Geld sam¬ melte, rief und wiederholte mit lauter Stimme: Manca ancora cinque soldi; ancora cinque soldi! Je¬ der warf seinen Soldo hin, und man machte gewaltige Augen, als ich einige Mahl mit einem schlechten Zwölfkreuzerstück der Foderung ein Ende machte und die Arbeit beschleunigte. Welch ein Abstand von die¬ sen Improvisatoren bis zu den römischen, von denen wir zuweilen in unsern deutschen Blättern lesen!
Auf der Giudekka ist es, wo möglich, noch ärm¬ licher als in der Stadt; aber eben deſswegen sind dort nicht so viele Bettler, weil vielleicht niemand hoffen darf, dort nur eine leidliche Ernte zu halten. Die Erlöserskirche ist daselbst die beste, und ihre Kapuzi¬ ner sind die Einzigen, die in Venedig noch etwas schöne Natur genieſsen. Die Kirche ist mit Orangerie besetzt, und sie haben bey ihrem Kloster, nach der See hinaus, einen sehr schönen Weingarten. Diese, nebst einigen Oleastern in der Gegend des Zeughau¬ ses, sind die einzigen Bäume, die ich in Venedig gese¬ hen habe. Die Insel Sankt George hält bekanntlich die Kirche und das Kapitel, wo der jetzige Papst ge¬
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sprechen, oder auch aus dem Stegreife über ein gege¬
benes Thema theils in Prose theils in Versen sogleich
mit solchem Feuer reden, daſs man sie wirklich ei¬
nige Mahl mit groſsem Vergnügen hört. Du kannst
Dir vorstellen, wie geringe die Summe und wie ernie¬
drigend das Handwerk seyn muſs. Eine Menge Leute
von allen Kalibern, Lumpige und Wohlgekleidete,
saſsen auf Stühlen und auf der Erde rund herum und
warteten auf den Anfang, und eine Art von buntsche¬
ckigem Bedienten, der seinem Prinzipal das Geld sam¬
melte, rief und wiederholte mit lauter Stimme:
Manca ancora cinque soldi; ancora cinque soldi! Je¬
der warf seinen Soldo hin, und man machte gewaltige
Augen, als ich einige Mahl mit einem schlechten
Zwölfkreuzerstück der Foderung ein Ende machte und
die Arbeit beschleunigte. Welch ein Abstand von die¬
sen Improvisatoren bis zu den römischen, von denen
wir zuweilen in unsern deutschen Blättern lesen!
Auf der Giudekka ist es, wo möglich, noch ärm¬
licher als in der Stadt; aber eben deſswegen sind dort
nicht so viele Bettler, weil vielleicht niemand hoffen
darf, dort nur eine leidliche Ernte zu halten. Die
Erlöserskirche ist daselbst die beste, und ihre Kapuzi¬
ner sind die Einzigen, die in Venedig noch etwas
schöne Natur genieſsen. Die Kirche ist mit Orangerie
besetzt, und sie haben bey ihrem Kloster, nach der
See hinaus, einen sehr schönen Weingarten. Diese,
nebst einigen Oleastern in der Gegend des Zeughau¬
ses, sind die einzigen Bäume, die ich in Venedig gese¬
hen habe. Die Insel Sankt George hält bekanntlich
die Kirche und das Kapitel, wo der jetzige Papst ge¬
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/123>, abgerufen am 26.11.2024.
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