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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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der hier in der Gegend in besonders gutem Kredit steht
und es verdient. Er gehört unter die wenigen Weine
die ich ohne Wasser trank, welche Ehre, zum Bey¬
spiel, nicht einmahl dem Burgunder widerfährt. Doch
kann ein Idiot wie ich hierin eben keine kompetente
Stimme haben. Von Prewald bis nach Triest sind
fünf Meilen. Ich hatte den Morgen nichts gegessen,
fand unterwegs kein einladendes Haus; und, mein
Freund, ich machte nüchtern im Januar die fünf Mei¬
len recht stattlich ab. In Sessana hatte mir das erste
Wirthshaus gar keine gute Miene, und es hielten eine
gewaltige Menge Fuhrleute davor. Der Ort ist nicht
ganz klein, dachte ich, es wird sich schon noch ein
anderes besseres finden. Es fand sich keins, ich war
zu faul zu dem ersten zurück zu gehen, ging also vor¬
wärts; und nun war von Sessana bis an die Douane
von Triest nichts zu haben. Es ist lauter steiniger
Bergrücken und es war kein Tropfen gutes Wasser zu
finden: das war für einen durstigen Fussgänger das
verdriesslichste. Wenn ich nicht zuweilen ein Stück¬
chen Eis gefunden hätte, das mir den Durst löschte,
so wäre ich übel daran gewesen. Die Bergspitze von
Prewald sah ich bis nach Triest, und sie schien mir
immer so nahe, als ob man eine Falkonetkugel hätte
hinüber schiessen können. Von Schottwien bis Pre¬
wald hatte ich abwechselnd sehr viel Schnee; bey Ses¬
sana hörte er allmählich auf, und hier liegt er nur
noch in einigen finstern Gängen und Schluchten. In
Prewald zitterte ich noch vor Frost am Ofen und hier
diesseit des Berges am Meere schwitzt man schon. Es

der hier in der Gegend in besonders gutem Kredit steht
und es verdient. Er gehört unter die wenigen Weine
die ich ohne Wasser trank, welche Ehre, zum Bey¬
spiel, nicht einmahl dem Burgunder widerfährt. Doch
kann ein Idiot wie ich hierin eben keine kompetente
Stimme haben. Von Prewald bis nach Triest sind
fünf Meilen. Ich hatte den Morgen nichts gegessen,
fand unterwegs kein einladendes Haus; und, mein
Freund, ich machte nüchtern im Januar die fünf Mei¬
len recht stattlich ab. In Sessana hatte mir das erste
Wirthshaus gar keine gute Miene, und es hielten eine
gewaltige Menge Fuhrleute davor. Der Ort ist nicht
ganz klein, dachte ich, es wird sich schon noch ein
anderes besseres finden. Es fand sich keins, ich war
zu faul zu dem ersten zurück zu gehen, ging also vor¬
wärts; und nun war von Sessana bis an die Douane
von Triest nichts zu haben. Es ist lauter steiniger
Bergrücken und es war kein Tropfen gutes Wasser zu
finden: das war für einen durstigen Fuſsgänger das
verdrieſslichste. Wenn ich nicht zuweilen ein Stück¬
chen Eis gefunden hätte, das mir den Durst löschte,
so wäre ich übel daran gewesen. Die Bergspitze von
Prewald sah ich bis nach Triest, und sie schien mir
immer so nahe, als ob man eine Falkonetkugel hätte
hinüber schieſsen können. Von Schottwien bis Pre¬
wald hatte ich abwechselnd sehr viel Schnee; bey Ses¬
sana hörte er allmählich auf, und hier liegt er nur
noch in einigen finstern Gängen und Schluchten. In
Prewald zitterte ich noch vor Frost am Ofen und hier
dieſseit des Berges am Meere schwitzt man schon. Es

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[80/0106] der hier in der Gegend in besonders gutem Kredit steht und es verdient. Er gehört unter die wenigen Weine die ich ohne Wasser trank, welche Ehre, zum Bey¬ spiel, nicht einmahl dem Burgunder widerfährt. Doch kann ein Idiot wie ich hierin eben keine kompetente Stimme haben. Von Prewald bis nach Triest sind fünf Meilen. Ich hatte den Morgen nichts gegessen, fand unterwegs kein einladendes Haus; und, mein Freund, ich machte nüchtern im Januar die fünf Mei¬ len recht stattlich ab. In Sessana hatte mir das erste Wirthshaus gar keine gute Miene, und es hielten eine gewaltige Menge Fuhrleute davor. Der Ort ist nicht ganz klein, dachte ich, es wird sich schon noch ein anderes besseres finden. Es fand sich keins, ich war zu faul zu dem ersten zurück zu gehen, ging also vor¬ wärts; und nun war von Sessana bis an die Douane von Triest nichts zu haben. Es ist lauter steiniger Bergrücken und es war kein Tropfen gutes Wasser zu finden: das war für einen durstigen Fuſsgänger das verdrieſslichste. Wenn ich nicht zuweilen ein Stück¬ chen Eis gefunden hätte, das mir den Durst löschte, so wäre ich übel daran gewesen. Die Bergspitze von Prewald sah ich bis nach Triest, und sie schien mir immer so nahe, als ob man eine Falkonetkugel hätte hinüber schieſsen können. Von Schottwien bis Pre¬ wald hatte ich abwechselnd sehr viel Schnee; bey Ses¬ sana hörte er allmählich auf, und hier liegt er nur noch in einigen finstern Gängen und Schluchten. In Prewald zitterte ich noch vor Frost am Ofen und hier dieſseit des Berges am Meere schwitzt man schon. Es

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/106>, abgerufen am 24.11.2024.