Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

musste ich vor der Morgenvisite jede untersuchen, um dem
Professor berichten zu können; im Verlaufe der übrigen Zeit
musste ich beinahe die sämmtlichen Kreissenden untersuchen,
behufs des Unterrichtes der Schüler, und daher die grosse
Sterblichkeit im Monat April und Mai im Jahre 1847.

Unter Inländern versteht man diejenigen Schüler, welche
ihre Studien an einer österreichischen Hochschule gemacht,
und unter Ausländern versteht man diejenigen, welche an einer
nicht österreichischen Hochschule ihre Studien zurückgelegt
haben, und zu ihrer ferneren Ausbildung die grossartigen An-
stalten der Wiener Hochschule für längere oder kürzere Zeit
besuchten. In Wien konnte man Aerzte aus allen Ländern der
civilisirten Welt treffen. Der praktische geburtshilfliche Curs
dauerte zwei Monate; der Andrang der Schüler in dieses
grösste Gebärhaus der Welt war so gross, dass man unmög-
lich alle sich Meldenden gleich aufnehmen konnte, ohne die
Kreissenden zu sehr zu belästigen. Die sich Meldenden be-
kamen eine Nummer und die Austretenden wurden nach der
Reihenfolge der Meldungsnummer, ohne Rücksicht ob In-
oder Ausländer, ersetzt. Jedem Schüler stand es frei, den ge-
burtshilflichen praktischen Curs so oft mitzumachen, als er es
für seine geburtshilfliche Ausbildung für nöthig hielt; damit
aber durch das ununterbrochene Bleiben mehrerer Schüler
während mehrerer Curse die Uebrigen an der Aufnahme nicht
gehindert werden, mussten zwischen je zwei Cursen drei Mo-
nate verstreichen. Die Commission beschuldigte die Auslän-
der, dass sie gefährlicher seien, als die Inländer, weil sie
roher untersuchen, und in Folge dieser Voraussetzung durften
nur zwei Ausländer gleichzeitig den praktisch-geburtshilfli-
chen Curs besuchen. Dass die Commission dadurch eine jeden
Grundes entbehrende Beschuldigung gegen die Ausländer aus-
sprach, wird Jedermann auch ohne meine Betheurung glau-
ben, allein ich selbst hielt die Ausländer für gefährlicher als
die Inländer, aber nicht deshalb, weil sie roher untersuchen.

musste ich vor der Morgenvisite jede untersuchen, um dem
Professor berichten zu können; im Verlaufe der übrigen Zeit
musste ich beinahe die sämmtlichen Kreissenden untersuchen,
behufs des Unterrichtes der Schüler, und daher die grosse
Sterblichkeit im Monat April und Mai im Jahre 1847.

Unter Inländern versteht man diejenigen Schüler, welche
ihre Studien an einer österreichischen Hochschule gemacht,
und unter Ausländern versteht man diejenigen, welche an einer
nicht österreichischen Hochschule ihre Studien zurückgelegt
haben, und zu ihrer ferneren Ausbildung die grossartigen An-
stalten der Wiener Hochschule für längere oder kürzere Zeit
besuchten. In Wien konnte man Aerzte aus allen Ländern der
civilisirten Welt treffen. Der praktische geburtshilfliche Curs
dauerte zwei Monate; der Andrang der Schüler in dieses
grösste Gebärhaus der Welt war so gross, dass man unmög-
lich alle sich Meldenden gleich aufnehmen konnte, ohne die
Kreissenden zu sehr zu belästigen. Die sich Meldenden be-
kamen eine Nummer und die Austretenden wurden nach der
Reihenfolge der Meldungsnummer, ohne Rücksicht ob In-
oder Ausländer, ersetzt. Jedem Schüler stand es frei, den ge-
burtshilflichen praktischen Curs so oft mitzumachen, als er es
für seine geburtshilfliche Ausbildung für nöthig hielt; damit
aber durch das ununterbrochene Bleiben mehrerer Schüler
während mehrerer Curse die Uebrigen an der Aufnahme nicht
gehindert werden, mussten zwischen je zwei Cursen drei Mo-
nate verstreichen. Die Commission beschuldigte die Auslän-
der, dass sie gefährlicher seien, als die Inländer, weil sie
roher untersuchen, und in Folge dieser Voraussetzung durften
nur zwei Ausländer gleichzeitig den praktisch-geburtshilfli-
chen Curs besuchen. Dass die Commission dadurch eine jeden
Grundes entbehrende Beschuldigung gegen die Ausländer aus-
sprach, wird Jedermann auch ohne meine Betheurung glau-
ben, allein ich selbst hielt die Ausländer für gefährlicher als
die Inländer, aber nicht deshalb, weil sie roher untersuchen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0086" n="74"/>
musste ich vor der Morgenvisite jede untersuchen, um dem<lb/>
Professor berichten zu können; im Verlaufe der übrigen Zeit<lb/>
musste ich beinahe die sämmtlichen Kreissenden untersuchen,<lb/>
behufs des Unterrichtes der Schüler, und daher die grosse<lb/>
Sterblichkeit im Monat April und Mai im Jahre 1847.</p><lb/>
        <p>Unter Inländern versteht man diejenigen Schüler, welche<lb/>
ihre Studien an einer österreichischen Hochschule gemacht,<lb/>
und unter Ausländern versteht man diejenigen, welche an einer<lb/>
nicht österreichischen Hochschule ihre Studien zurückgelegt<lb/>
haben, und zu ihrer ferneren Ausbildung die grossartigen An-<lb/>
stalten der Wiener Hochschule für längere oder kürzere Zeit<lb/>
besuchten. In Wien konnte man Aerzte aus allen Ländern der<lb/>
civilisirten Welt treffen. Der praktische geburtshilfliche Curs<lb/>
dauerte zwei Monate; der Andrang der Schüler in dieses<lb/>
grösste Gebärhaus der Welt war so gross, dass man unmög-<lb/>
lich alle sich Meldenden gleich aufnehmen konnte, ohne die<lb/>
Kreissenden zu sehr zu belästigen. Die sich Meldenden be-<lb/>
kamen eine Nummer und die Austretenden wurden nach der<lb/>
Reihenfolge der Meldungsnummer, ohne Rücksicht ob In-<lb/>
oder Ausländer, ersetzt. Jedem Schüler stand es frei, den ge-<lb/>
burtshilflichen praktischen Curs so oft mitzumachen, als er es<lb/>
für seine geburtshilfliche Ausbildung für nöthig hielt; damit<lb/>
aber durch das ununterbrochene Bleiben mehrerer Schüler<lb/>
während mehrerer Curse die Uebrigen an der Aufnahme nicht<lb/>
gehindert werden, mussten zwischen je zwei Cursen drei Mo-<lb/>
nate verstreichen. Die Commission beschuldigte die Auslän-<lb/>
der, dass sie gefährlicher seien, als die Inländer, weil sie<lb/>
roher untersuchen, und in Folge dieser Voraussetzung durften<lb/>
nur zwei Ausländer gleichzeitig den praktisch-geburtshilfli-<lb/>
chen Curs besuchen. Dass die Commission dadurch eine jeden<lb/>
Grundes entbehrende Beschuldigung gegen die Ausländer aus-<lb/>
sprach, wird Jedermann auch ohne meine Betheurung glau-<lb/>
ben, allein ich selbst hielt die Ausländer für gefährlicher als<lb/>
die Inländer, aber nicht deshalb, weil sie roher untersuchen.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0086] musste ich vor der Morgenvisite jede untersuchen, um dem Professor berichten zu können; im Verlaufe der übrigen Zeit musste ich beinahe die sämmtlichen Kreissenden untersuchen, behufs des Unterrichtes der Schüler, und daher die grosse Sterblichkeit im Monat April und Mai im Jahre 1847. Unter Inländern versteht man diejenigen Schüler, welche ihre Studien an einer österreichischen Hochschule gemacht, und unter Ausländern versteht man diejenigen, welche an einer nicht österreichischen Hochschule ihre Studien zurückgelegt haben, und zu ihrer ferneren Ausbildung die grossartigen An- stalten der Wiener Hochschule für längere oder kürzere Zeit besuchten. In Wien konnte man Aerzte aus allen Ländern der civilisirten Welt treffen. Der praktische geburtshilfliche Curs dauerte zwei Monate; der Andrang der Schüler in dieses grösste Gebärhaus der Welt war so gross, dass man unmög- lich alle sich Meldenden gleich aufnehmen konnte, ohne die Kreissenden zu sehr zu belästigen. Die sich Meldenden be- kamen eine Nummer und die Austretenden wurden nach der Reihenfolge der Meldungsnummer, ohne Rücksicht ob In- oder Ausländer, ersetzt. Jedem Schüler stand es frei, den ge- burtshilflichen praktischen Curs so oft mitzumachen, als er es für seine geburtshilfliche Ausbildung für nöthig hielt; damit aber durch das ununterbrochene Bleiben mehrerer Schüler während mehrerer Curse die Uebrigen an der Aufnahme nicht gehindert werden, mussten zwischen je zwei Cursen drei Mo- nate verstreichen. Die Commission beschuldigte die Auslän- der, dass sie gefährlicher seien, als die Inländer, weil sie roher untersuchen, und in Folge dieser Voraussetzung durften nur zwei Ausländer gleichzeitig den praktisch-geburtshilfli- chen Curs besuchen. Dass die Commission dadurch eine jeden Grundes entbehrende Beschuldigung gegen die Ausländer aus- sprach, wird Jedermann auch ohne meine Betheurung glau- ben, allein ich selbst hielt die Ausländer für gefährlicher als die Inländer, aber nicht deshalb, weil sie roher untersuchen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/86
Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/86>, abgerufen am 05.05.2024.