Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

theilen in das Gefässsystem der Individuen bedingt und da-
durch bei den Wöchnerinnen dieselbe Krankheit hervorgeru-
fen, welche wir bei Kolletschka gesehen.

Wenn die Voraussetzung, dass die an der Hand kleben-
den Cadavertheile bei den Wöchnerinnen dieselbe Krankheit
hervorbringen, welche die am Messer klebenden Cadaver-
theile bei Kolletschka hervorgebracht haben, richtig ist, so
muss, wenn durch eine chemische Einwirkung die Cadaver-
theile an der Hand vollkommen zerstört werden, und daher
bei Untersuchungen von Schwangeren, Kreissenden und Wöch-
nerinnen, deren Genitalien blos mit den Fingern und nicht
gleichzeitig mit Cadavertheilen in Berührung gebracht wer-
den, diese Krankheit verhindert werden können, in dem
Masse, als sie durch Einwirkung von Cadavertheilen mittelst
des untersuchenden Fingers bedingt war. Mir schien dies im
Vorhinein um so wahrscheinlicher, als mir das Factum, dass
zersetzte organische Stoffe mit lebenden Organismen in Be-
rührung gebracht, in denselben einen Zersetzungsprocess her-
vorrufen, bekannt war.

Um die an der Hand klebenden Cadavertheile zu zerstö-
ren, benützte ich, ohne mich jedoch des Tages zu erinnern,
beiläufig von Mitte Mai 1847 angefangen, die Chlorina li-
quida
, mit welcher ich und jeder Schüler vor der Untersu-
chung seine Hände waschen musste. Nach einiger Zeit ver-
liess ich die Chlorina liquida wegen ihres hohen Preises und
ging zu dem bedeutend billigeren Chlorkalk über. Im Monate
Mai 1847, in dessen zweiter Hälfte erst die Chlorwaschungen
eingeführt wurden, starben noch 36 oder 12.24 Percent von
294 Wöchnerinnen; in den übrigen sieben Monaten des Jah-
res 1847 verhielt sich das Mortalitätsverhältniss unter den an
der ersten Gebärklinik verpflegten Wöchnerinnen wie folgt:

theilen in das Gefässsystem der Individuen bedingt und da-
durch bei den Wöchnerinnen dieselbe Krankheit hervorgeru-
fen, welche wir bei Kolletschka gesehen.

Wenn die Voraussetzung, dass die an der Hand kleben-
den Cadavertheile bei den Wöchnerinnen dieselbe Krankheit
hervorbringen, welche die am Messer klebenden Cadaver-
theile bei Kolletschka hervorgebracht haben, richtig ist, so
muss, wenn durch eine chemische Einwirkung die Cadaver-
theile an der Hand vollkommen zerstört werden, und daher
bei Untersuchungen von Schwangeren, Kreissenden und Wöch-
nerinnen, deren Genitalien blos mit den Fingern und nicht
gleichzeitig mit Cadavertheilen in Berührung gebracht wer-
den, diese Krankheit verhindert werden können, in dem
Masse, als sie durch Einwirkung von Cadavertheilen mittelst
des untersuchenden Fingers bedingt war. Mir schien dies im
Vorhinein um so wahrscheinlicher, als mir das Factum, dass
zersetzte organische Stoffe mit lebenden Organismen in Be-
rührung gebracht, in denselben einen Zersetzungsprocess her-
vorrufen, bekannt war.

Um die an der Hand klebenden Cadavertheile zu zerstö-
ren, benützte ich, ohne mich jedoch des Tages zu erinnern,
beiläufig von Mitte Mai 1847 angefangen, die Chlorina li-
quida
, mit welcher ich und jeder Schüler vor der Untersu-
chung seine Hände waschen musste. Nach einiger Zeit ver-
liess ich die Chlorina liquida wegen ihres hohen Preises und
ging zu dem bedeutend billigeren Chlorkalk über. Im Monate
Mai 1847, in dessen zweiter Hälfte erst die Chlorwaschungen
eingeführt wurden, starben noch 36 oder 12.24 Percent von
294 Wöchnerinnen; in den übrigen sieben Monaten des Jah-
res 1847 verhielt sich das Mortalitätsverhältniss unter den an
der ersten Gebärklinik verpflegten Wöchnerinnen wie folgt:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0067" n="55"/>
theilen in das Gefässsystem der Individuen bedingt und da-<lb/>
durch bei den Wöchnerinnen dieselbe Krankheit hervorgeru-<lb/>
fen, welche wir bei <hi rendition="#g">Kolletschka</hi> gesehen.</p><lb/>
        <p>Wenn die Voraussetzung, dass die an der Hand kleben-<lb/>
den Cadavertheile bei den Wöchnerinnen dieselbe Krankheit<lb/>
hervorbringen, welche die am Messer klebenden Cadaver-<lb/>
theile bei <hi rendition="#g">Kolletschka</hi> hervorgebracht haben, richtig ist, so<lb/>
muss, wenn durch eine chemische Einwirkung die Cadaver-<lb/>
theile an der Hand vollkommen zerstört werden, und daher<lb/>
bei Untersuchungen von Schwangeren, Kreissenden und Wöch-<lb/>
nerinnen, deren Genitalien blos mit den Fingern und nicht<lb/>
gleichzeitig mit Cadavertheilen in Berührung gebracht wer-<lb/>
den, diese Krankheit verhindert werden können, in dem<lb/>
Masse, als sie durch Einwirkung von Cadavertheilen mittelst<lb/>
des untersuchenden Fingers bedingt war. Mir schien dies im<lb/>
Vorhinein um so wahrscheinlicher, als mir das Factum, dass<lb/>
zersetzte organische Stoffe mit lebenden Organismen in Be-<lb/>
rührung gebracht, in denselben einen Zersetzungsprocess her-<lb/>
vorrufen, bekannt war.</p><lb/>
        <p>Um die an der Hand klebenden Cadavertheile zu zerstö-<lb/>
ren, benützte ich, ohne mich jedoch des Tages zu erinnern,<lb/>
beiläufig von Mitte Mai 1847 angefangen, die <hi rendition="#i">Chlorina li-<lb/>
quida</hi>, mit welcher ich und jeder Schüler vor der Untersu-<lb/>
chung seine Hände waschen musste. Nach einiger Zeit ver-<lb/>
liess ich die <hi rendition="#i">Chlorina liquida</hi> wegen ihres hohen Preises und<lb/>
ging zu dem bedeutend billigeren Chlorkalk über. Im Monate<lb/>
Mai 1847, in dessen zweiter Hälfte erst die Chlorwaschungen<lb/>
eingeführt wurden, starben noch 36 oder 12.<hi rendition="#sub">24</hi> Percent von<lb/>
294 Wöchnerinnen; in den übrigen sieben Monaten des Jah-<lb/>
res 1847 verhielt sich das Mortalitätsverhältniss unter den an<lb/>
der ersten Gebärklinik verpflegten Wöchnerinnen wie folgt:<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0067] theilen in das Gefässsystem der Individuen bedingt und da- durch bei den Wöchnerinnen dieselbe Krankheit hervorgeru- fen, welche wir bei Kolletschka gesehen. Wenn die Voraussetzung, dass die an der Hand kleben- den Cadavertheile bei den Wöchnerinnen dieselbe Krankheit hervorbringen, welche die am Messer klebenden Cadaver- theile bei Kolletschka hervorgebracht haben, richtig ist, so muss, wenn durch eine chemische Einwirkung die Cadaver- theile an der Hand vollkommen zerstört werden, und daher bei Untersuchungen von Schwangeren, Kreissenden und Wöch- nerinnen, deren Genitalien blos mit den Fingern und nicht gleichzeitig mit Cadavertheilen in Berührung gebracht wer- den, diese Krankheit verhindert werden können, in dem Masse, als sie durch Einwirkung von Cadavertheilen mittelst des untersuchenden Fingers bedingt war. Mir schien dies im Vorhinein um so wahrscheinlicher, als mir das Factum, dass zersetzte organische Stoffe mit lebenden Organismen in Be- rührung gebracht, in denselben einen Zersetzungsprocess her- vorrufen, bekannt war. Um die an der Hand klebenden Cadavertheile zu zerstö- ren, benützte ich, ohne mich jedoch des Tages zu erinnern, beiläufig von Mitte Mai 1847 angefangen, die Chlorina li- quida, mit welcher ich und jeder Schüler vor der Untersu- chung seine Hände waschen musste. Nach einiger Zeit ver- liess ich die Chlorina liquida wegen ihres hohen Preises und ging zu dem bedeutend billigeren Chlorkalk über. Im Monate Mai 1847, in dessen zweiter Hälfte erst die Chlorwaschungen eingeführt wurden, starben noch 36 oder 12.24 Percent von 294 Wöchnerinnen; in den übrigen sieben Monaten des Jah- res 1847 verhielt sich das Mortalitätsverhältniss unter den an der ersten Gebärklinik verpflegten Wöchnerinnen wie folgt:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/67
Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/67>, abgerufen am 04.05.2024.