Kiwisch sagt: "In Bezug auf die Milchsecretion machte ich die Erfahrung, dass nichtsäugende Wöchnerinnen während der Epidemie weniger zahlreich ergriffen wurden, als die Säu- genden. So war in der Prager Gebäranstalt die Anzahl der Erkrankten auf der Abtheilung für Zahlende, wo keine Ent- bundene nährt, im Verhältnisse zu jener auf der Abtheilung für Säugende immer eine geringere."
Scanzoni findet gerade in der Nervenaufregung die Ur- sache der grösseren Sterblichkeit an Bildungsanstalten für Geburtshelfer im Vergleiche zu Bildungsanstalten für Hebam- men. Und Prof. Brown ist mit Scanzoni einer Ueberzeugung.
Die heimlich Gebärenden und die Zahlenden zu Prag sind seltener erkrankt, weil selbe nicht dem Unterrichte gewidmet, folglich nicht inficirt wurden; an Bildungsanstalten für Ge- burtshelfer wird häufiger inficirt als an Bildungsanstalten der Hebammen, und deshalb der ungünstigere Gesundheitszustand der ersteren.
Die nach dem Jahre 1847 erschienenen Schriften über Puerperalfieber haben mich je nachdem glücklich gemacht, wenn ich erfuhr, dass dort und dort sich meine Ansicht be- währt, mein Glück wurde getrübt, wenn ich wahrnahm, dass trotz des Erfolges die Sache doch angezweifelt wurde, es er- regte meine Indignation, wenn ich sah, wie sich Unfähigkeit, Unredlichkeit, Gewissenlosigkeit breit machte, lange Todten- listen erpressten mir tiefe Seufzer; aber diese Schriften hatten das Angenehme, dass selbe auch mitunter meine Lachmuskeln mehr in Thätigkeit setzten, als selbst eine Nestroy'sche Posse.
Virchow schickt nicht blos auf eigene Faust Irrthümer in die Welt; Virchow leiht auch die Autorität seines Namens fremden Irrthümern. Virchow hat die Irrthümer, in welchen Prof. Veit in Rostok in Bezug auf das Puerperalfieber lebt, dadurch zu den seinigen gemacht, dass er eine Abhandlung desselben über Puerperalfieber in sein Handbuch der speciellen Pathologie und Theorie aufgenommen hat, in welcher Abhand- lung für die epidemische und gegen meine Lehre über die Ent-
Kiwisch sagt: »In Bezug auf die Milchsecretion machte ich die Erfahrung, dass nichtsäugende Wöchnerinnen während der Epidemie weniger zahlreich ergriffen wurden, als die Säu- genden. So war in der Prager Gebäranstalt die Anzahl der Erkrankten auf der Abtheilung für Zahlende, wo keine Ent- bundene nährt, im Verhältnisse zu jener auf der Abtheilung für Säugende immer eine geringere.«
Scanzoni findet gerade in der Nervenaufregung die Ur- sache der grösseren Sterblichkeit an Bildungsanstalten für Geburtshelfer im Vergleiche zu Bildungsanstalten für Hebam- men. Und Prof. Brown ist mit Scanzoni einer Ueberzeugung.
Die heimlich Gebärenden und die Zahlenden zu Prag sind seltener erkrankt, weil selbe nicht dem Unterrichte gewidmet, folglich nicht inficirt wurden; an Bildungsanstalten für Ge- burtshelfer wird häufiger inficirt als an Bildungsanstalten der Hebammen, und deshalb der ungünstigere Gesundheitszustand der ersteren.
Die nach dem Jahre 1847 erschienenen Schriften über Puerperalfieber haben mich je nachdem glücklich gemacht, wenn ich erfuhr, dass dort und dort sich meine Ansicht be- währt, mein Glück wurde getrübt, wenn ich wahrnahm, dass trotz des Erfolges die Sache doch angezweifelt wurde, es er- regte meine Indignation, wenn ich sah, wie sich Unfähigkeit, Unredlichkeit, Gewissenlosigkeit breit machte, lange Todten- listen erpressten mir tiefe Seufzer; aber diese Schriften hatten das Angenehme, dass selbe auch mitunter meine Lachmuskeln mehr in Thätigkeit setzten, als selbst eine Nestroy’sche Posse.
Virchow schickt nicht blos auf eigene Faust Irrthümer in die Welt; Virchow leiht auch die Autorität seines Namens fremden Irrthümern. Virchow hat die Irrthümer, in welchen Prof. Veit in Rostok in Bezug auf das Puerperalfieber lebt, dadurch zu den seinigen gemacht, dass er eine Abhandlung desselben über Puerperalfieber in sein Handbuch der speciellen Pathologie und Theorie aufgenommen hat, in welcher Abhand- lung für die epidemische und gegen meine Lehre über die Ent-
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Kiwisch sagt: »In Bezug auf die Milchsecretion machte
ich die Erfahrung, dass nichtsäugende Wöchnerinnen während
der Epidemie weniger zahlreich ergriffen wurden, als die Säu-
genden. So war in der Prager Gebäranstalt die Anzahl der
Erkrankten auf der Abtheilung für Zahlende, wo keine Ent-
bundene nährt, im Verhältnisse zu jener auf der Abtheilung
für Säugende immer eine geringere.«
Scanzoni findet gerade in der Nervenaufregung die Ur-
sache der grösseren Sterblichkeit an Bildungsanstalten für
Geburtshelfer im Vergleiche zu Bildungsanstalten für Hebam-
men. Und Prof. Brown ist mit Scanzoni einer Ueberzeugung.
Die heimlich Gebärenden und die Zahlenden zu Prag sind
seltener erkrankt, weil selbe nicht dem Unterrichte gewidmet,
folglich nicht inficirt wurden; an Bildungsanstalten für Ge-
burtshelfer wird häufiger inficirt als an Bildungsanstalten der
Hebammen, und deshalb der ungünstigere Gesundheitszustand
der ersteren.
Die nach dem Jahre 1847 erschienenen Schriften über
Puerperalfieber haben mich je nachdem glücklich gemacht,
wenn ich erfuhr, dass dort und dort sich meine Ansicht be-
währt, mein Glück wurde getrübt, wenn ich wahrnahm, dass
trotz des Erfolges die Sache doch angezweifelt wurde, es er-
regte meine Indignation, wenn ich sah, wie sich Unfähigkeit,
Unredlichkeit, Gewissenlosigkeit breit machte, lange Todten-
listen erpressten mir tiefe Seufzer; aber diese Schriften hatten
das Angenehme, dass selbe auch mitunter meine Lachmuskeln
mehr in Thätigkeit setzten, als selbst eine Nestroy’sche Posse.
Virchow schickt nicht blos auf eigene Faust Irrthümer in
die Welt; Virchow leiht auch die Autorität seines Namens
fremden Irrthümern. Virchow hat die Irrthümer, in welchen
Prof. Veit in Rostok in Bezug auf das Puerperalfieber lebt,
dadurch zu den seinigen gemacht, dass er eine Abhandlung
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Pathologie und Theorie aufgenommen hat, in welcher Abhand-
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/487>, abgerufen am 22.11.2024.
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