Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

fälle unter den wirklich erkrankten Wöchnerinnen waren auf
beiden Abtheilungen nicht verschieden.

Dass aber die geburtshilfliche Behandlung, vieles und
rohes Operiren etc., nicht die Ursache der zahlreichen Er-
krankungen an der ersten Abtheilung waren, ging daraus her-
vor, dass bei der überwiegend grossen Anzahl der Erkrank-
ten gar keine geburtshilfliche Operation vorgenommen wurde,
an beiden Abtheilungen wird nach Boer's Grundsätzen ge-
handelt.

Es herrschte an der ersten geburtshilflichen Klinik die
Sitte, dass die Neuentbundenen drei Stunden nach überstan-
dener Geburt vom Geburtsbette aufstehen, und sich zu Fuss
über einen zwar mit Glas geschlossenen, im Winter geheizten
Gang auf das ihnen bestimmte Wochenbett begeben mussten,
welches eine ziemliche Strecke betrug, wenn sie sich gerade
in die vom Kreissezimmer entfernteren Wochenzimmer zu be-
geben hatten; nur schwächliche oder kranke oder solche, bei
welchen eine Operation gemacht wurde, wurden getragen.

Dass aber dieser Uebelstand nicht die grössere Sterblich-
keit hervorgebracht, geht daraus hervor, dass dieser Uebel-
stand auch an der zweiten geburtshilflichen Klinik geübt
wurde, und zwar auf eine noch nachtheiligere Weise, weil die
zweite geburtshilfliche Abtheilung durch das gemeinschaft-
liche Vorzimmer, welches nie geheizt wurde, in zwei Theile
getheilt wird, und daher alle Wöchnerinnen, welche jenseits
des Vorzimmers ihr Wochenbett angewiesen erhielten, das-
selbe passiren mussten.

An der ersten geburtshilflichen Klinik befand sich ein
grosses Wochenzimmer im zweiten Stockwerke des Gebäudes;
da man aber den Neuentbundenen nicht zumuthen konnte,
auch dorthin zu Fuss zu gehen, so mussten die sieben- und
achttägigen gesunden Wöchnerinnen, welcher übrigens ohne-
dies der Tag des Verlassens des Bettes war, über eine mit
einer Glaswand geschützte Treppe sich dorthin begeben.
Dass dieses zweite Umlegen die grosse Sterblichkeit an der

fälle unter den wirklich erkrankten Wöchnerinnen waren auf
beiden Abtheilungen nicht verschieden.

Dass aber die geburtshilfliche Behandlung, vieles und
rohes Operiren etc., nicht die Ursache der zahlreichen Er-
krankungen an der ersten Abtheilung waren, ging daraus her-
vor, dass bei der überwiegend grossen Anzahl der Erkrank-
ten gar keine geburtshilfliche Operation vorgenommen wurde,
an beiden Abtheilungen wird nach Boer’s Grundsätzen ge-
handelt.

Es herrschte an der ersten geburtshilflichen Klinik die
Sitte, dass die Neuentbundenen drei Stunden nach überstan-
dener Geburt vom Geburtsbette aufstehen, und sich zu Fuss
über einen zwar mit Glas geschlossenen, im Winter geheizten
Gang auf das ihnen bestimmte Wochenbett begeben mussten,
welches eine ziemliche Strecke betrug, wenn sie sich gerade
in die vom Kreissezimmer entfernteren Wochenzimmer zu be-
geben hatten; nur schwächliche oder kranke oder solche, bei
welchen eine Operation gemacht wurde, wurden getragen.

Dass aber dieser Uebelstand nicht die grössere Sterblich-
keit hervorgebracht, geht daraus hervor, dass dieser Uebel-
stand auch an der zweiten geburtshilflichen Klinik geübt
wurde, und zwar auf eine noch nachtheiligere Weise, weil die
zweite geburtshilfliche Abtheilung durch das gemeinschaft-
liche Vorzimmer, welches nie geheizt wurde, in zwei Theile
getheilt wird, und daher alle Wöchnerinnen, welche jenseits
des Vorzimmers ihr Wochenbett angewiesen erhielten, das-
selbe passiren mussten.

An der ersten geburtshilflichen Klinik befand sich ein
grosses Wochenzimmer im zweiten Stockwerke des Gebäudes;
da man aber den Neuentbundenen nicht zumuthen konnte,
auch dorthin zu Fuss zu gehen, so mussten die sieben- und
achttägigen gesunden Wöchnerinnen, welcher übrigens ohne-
dies der Tag des Verlassens des Bettes war, über eine mit
einer Glaswand geschützte Treppe sich dorthin begeben.
Dass dieses zweite Umlegen die grosse Sterblichkeit an der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0048" n="36"/>
fälle unter den wirklich erkrankten Wöchnerinnen waren auf<lb/>
beiden Abtheilungen nicht verschieden.</p><lb/>
        <p>Dass aber die geburtshilfliche Behandlung, vieles und<lb/>
rohes Operiren etc., nicht die Ursache der zahlreichen Er-<lb/>
krankungen an der ersten Abtheilung waren, ging daraus her-<lb/>
vor, dass bei der überwiegend grossen Anzahl der Erkrank-<lb/>
ten gar keine geburtshilfliche Operation vorgenommen wurde,<lb/>
an beiden Abtheilungen wird nach <hi rendition="#g">Boer&#x2019;s</hi> Grundsätzen ge-<lb/>
handelt.</p><lb/>
        <p>Es herrschte an der ersten geburtshilflichen Klinik die<lb/>
Sitte, dass die Neuentbundenen drei Stunden nach überstan-<lb/>
dener Geburt vom Geburtsbette aufstehen, und sich zu Fuss<lb/>
über einen zwar mit Glas geschlossenen, im Winter geheizten<lb/>
Gang auf das ihnen bestimmte Wochenbett begeben mussten,<lb/>
welches eine ziemliche Strecke betrug, wenn sie sich gerade<lb/>
in die vom Kreissezimmer entfernteren Wochenzimmer zu be-<lb/>
geben hatten; nur schwächliche oder kranke oder solche, bei<lb/>
welchen eine Operation gemacht wurde, wurden getragen.</p><lb/>
        <p>Dass aber dieser Uebelstand nicht die grössere Sterblich-<lb/>
keit hervorgebracht, geht daraus hervor, dass dieser Uebel-<lb/>
stand auch an der zweiten geburtshilflichen Klinik geübt<lb/>
wurde, und zwar auf eine noch nachtheiligere Weise, weil die<lb/>
zweite geburtshilfliche Abtheilung durch das gemeinschaft-<lb/>
liche Vorzimmer, welches nie geheizt wurde, in zwei Theile<lb/>
getheilt wird, und daher alle Wöchnerinnen, welche jenseits<lb/>
des Vorzimmers ihr Wochenbett angewiesen erhielten, das-<lb/>
selbe passiren mussten.</p><lb/>
        <p>An der ersten geburtshilflichen Klinik befand sich ein<lb/>
grosses Wochenzimmer im zweiten Stockwerke des Gebäudes;<lb/>
da man aber den Neuentbundenen nicht zumuthen konnte,<lb/>
auch dorthin zu Fuss zu gehen, so mussten die sieben- und<lb/>
achttägigen gesunden Wöchnerinnen, welcher übrigens ohne-<lb/>
dies der Tag des Verlassens des Bettes war, über eine mit<lb/>
einer Glaswand geschützte Treppe sich dorthin begeben.<lb/>
Dass dieses zweite Umlegen die grosse Sterblichkeit an der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0048] fälle unter den wirklich erkrankten Wöchnerinnen waren auf beiden Abtheilungen nicht verschieden. Dass aber die geburtshilfliche Behandlung, vieles und rohes Operiren etc., nicht die Ursache der zahlreichen Er- krankungen an der ersten Abtheilung waren, ging daraus her- vor, dass bei der überwiegend grossen Anzahl der Erkrank- ten gar keine geburtshilfliche Operation vorgenommen wurde, an beiden Abtheilungen wird nach Boer’s Grundsätzen ge- handelt. Es herrschte an der ersten geburtshilflichen Klinik die Sitte, dass die Neuentbundenen drei Stunden nach überstan- dener Geburt vom Geburtsbette aufstehen, und sich zu Fuss über einen zwar mit Glas geschlossenen, im Winter geheizten Gang auf das ihnen bestimmte Wochenbett begeben mussten, welches eine ziemliche Strecke betrug, wenn sie sich gerade in die vom Kreissezimmer entfernteren Wochenzimmer zu be- geben hatten; nur schwächliche oder kranke oder solche, bei welchen eine Operation gemacht wurde, wurden getragen. Dass aber dieser Uebelstand nicht die grössere Sterblich- keit hervorgebracht, geht daraus hervor, dass dieser Uebel- stand auch an der zweiten geburtshilflichen Klinik geübt wurde, und zwar auf eine noch nachtheiligere Weise, weil die zweite geburtshilfliche Abtheilung durch das gemeinschaft- liche Vorzimmer, welches nie geheizt wurde, in zwei Theile getheilt wird, und daher alle Wöchnerinnen, welche jenseits des Vorzimmers ihr Wochenbett angewiesen erhielten, das- selbe passiren mussten. An der ersten geburtshilflichen Klinik befand sich ein grosses Wochenzimmer im zweiten Stockwerke des Gebäudes; da man aber den Neuentbundenen nicht zumuthen konnte, auch dorthin zu Fuss zu gehen, so mussten die sieben- und achttägigen gesunden Wöchnerinnen, welcher übrigens ohne- dies der Tag des Verlassens des Bettes war, über eine mit einer Glaswand geschützte Treppe sich dorthin begeben. Dass dieses zweite Umlegen die grosse Sterblichkeit an der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/48
Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/48>, abgerufen am 24.11.2024.