Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

Als ich Schüler der praktischen Geburtshilfe an der
I. Klinik zu Wien war, war Chiari Assistent; in seinen Vor-
trägen über Puerperalfieber sagte er, dass die epidemischen
Einflüsse manchmal so bösartig seien, dass selbst nicht im
Puerperalzustande befindliche Individuen vom Puerperalfieber
ergriffen würden. Als Beweis führte er eine Kranke an, welche
an fibrösen Gebärmutterpolypen leidend, in die Gebärklinik
aufgenommen wurde, und vor der Operation starb, die Section
wies die pathologisch-anatomischen Befunde des Kindbett-
fiebers nach. Nachdem die Erfolge der Chlorwaschungen ge-
zeigt, wie das Puerperalfieber entsteht, machte Chiari selbst
mich nochmals auf diesen Fall aufmerksam, mit der Bemerkung,
jetzt wisse er, dass dieses Individuum so gut wie die Wöch-
nerinnen durch einen zersetzten Stoff inficirt wurde.

Und wie beklagenswerth auch die in gynaecologischen
Abtheilungen verpflegten Individuen sind, das verkünden die
Berichte über die Leistungen der gynaecologischen Abthei-
lungen, und um beim Gebärmutterpolypen zu bleiben, wie oft
sterben solche Individuen an Pyaemie vor der Operation, wie
oft sterben solche Individuen an Pyaemie selbst nach Exci-
sionen; ich habe durch sechs Jahre eine gynaecologische Ab-
theilung geleitet, ich nehme während der fünf Jahre, seit ich
Professor bin, alle mit Gebärmutterpolypen sich meldenden
Kranken auf, ich habe in der Privatpraxis oft Gelegenheit,
Gebärmutterpolypen zu operiren, ich habe diese namhafte Zahl
Polypen, einen einzigen ausgenommen, alle durch die Excision
entfernt, ich habe nicht nur keinen einzigen Todesfall zu be-
klagen, ich habe selbst nicht eine einzige bedeutendere Er-
krankung nach der Excision gesehen, obwohl darunter auch
Polypen waren mit handtellerbreitem Stiele, und diesen gün-
stigen Erfolg schreibe ich nur dem Umstande zu, dass ich mit
reinen Händen operire.

Nachdem wir so Seyfert belehrt, und nachdem ihm diese
Schrift als Beweis gelten muss, dass sich meine Ansicht über
die Entstehung und Verhütung des Kindbettfiebers bewährt

Als ich Schüler der praktischen Geburtshilfe an der
I. Klinik zu Wien war, war Chiari Assistent; in seinen Vor-
trägen über Puerperalfieber sagte er, dass die epidemischen
Einflüsse manchmal so bösartig seien, dass selbst nicht im
Puerperalzustande befindliche Individuen vom Puerperalfieber
ergriffen würden. Als Beweis führte er eine Kranke an, welche
an fibrösen Gebärmutterpolypen leidend, in die Gebärklinik
aufgenommen wurde, und vor der Operation starb, die Section
wies die pathologisch-anatomischen Befunde des Kindbett-
fiebers nach. Nachdem die Erfolge der Chlorwaschungen ge-
zeigt, wie das Puerperalfieber entsteht, machte Chiari selbst
mich nochmals auf diesen Fall aufmerksam, mit der Bemerkung,
jetzt wisse er, dass dieses Individuum so gut wie die Wöch-
nerinnen durch einen zersetzten Stoff inficirt wurde.

Und wie beklagenswerth auch die in gynaecologischen
Abtheilungen verpflegten Individuen sind, das verkünden die
Berichte über die Leistungen der gynaecologischen Abthei-
lungen, und um beim Gebärmutterpolypen zu bleiben, wie oft
sterben solche Individuen an Pyaemie vor der Operation, wie
oft sterben solche Individuen an Pyaemie selbst nach Exci-
sionen; ich habe durch sechs Jahre eine gynaecologische Ab-
theilung geleitet, ich nehme während der fünf Jahre, seit ich
Professor bin, alle mit Gebärmutterpolypen sich meldenden
Kranken auf, ich habe in der Privatpraxis oft Gelegenheit,
Gebärmutterpolypen zu operiren, ich habe diese namhafte Zahl
Polypen, einen einzigen ausgenommen, alle durch die Excision
entfernt, ich habe nicht nur keinen einzigen Todesfall zu be-
klagen, ich habe selbst nicht eine einzige bedeutendere Er-
krankung nach der Excision gesehen, obwohl darunter auch
Polypen waren mit handtellerbreitem Stiele, und diesen gün-
stigen Erfolg schreibe ich nur dem Umstande zu, dass ich mit
reinen Händen operire.

Nachdem wir so Seyfert belehrt, und nachdem ihm diese
Schrift als Beweis gelten muss, dass sich meine Ansicht über
die Entstehung und Verhütung des Kindbettfiebers bewährt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0440" n="428"/>
        <p>Als ich Schüler der praktischen Geburtshilfe an der<lb/>
I. Klinik zu Wien war, war Chiari Assistent; in seinen Vor-<lb/>
trägen über Puerperalfieber sagte er, dass die epidemischen<lb/>
Einflüsse manchmal so bösartig seien, dass selbst nicht im<lb/>
Puerperalzustande befindliche Individuen vom Puerperalfieber<lb/>
ergriffen würden. Als Beweis führte er eine Kranke an, welche<lb/>
an fibrösen Gebärmutterpolypen leidend, in die Gebärklinik<lb/>
aufgenommen wurde, und vor der Operation starb, die Section<lb/>
wies die pathologisch-anatomischen Befunde des Kindbett-<lb/>
fiebers nach. Nachdem die Erfolge der Chlorwaschungen ge-<lb/>
zeigt, wie das Puerperalfieber entsteht, machte Chiari selbst<lb/>
mich nochmals auf diesen Fall aufmerksam, mit der Bemerkung,<lb/>
jetzt wisse er, dass dieses Individuum so gut wie die Wöch-<lb/>
nerinnen durch einen zersetzten Stoff inficirt wurde.</p><lb/>
        <p>Und wie beklagenswerth auch die in gynaecologischen<lb/>
Abtheilungen verpflegten Individuen sind, das verkünden die<lb/>
Berichte über die Leistungen der gynaecologischen Abthei-<lb/>
lungen, und um beim Gebärmutterpolypen zu bleiben, wie oft<lb/>
sterben solche Individuen an Pyaemie vor der Operation, wie<lb/>
oft sterben solche Individuen an Pyaemie selbst nach Exci-<lb/>
sionen; ich habe durch sechs Jahre eine gynaecologische Ab-<lb/>
theilung geleitet, ich nehme während der fünf Jahre, seit ich<lb/>
Professor bin, alle mit Gebärmutterpolypen sich meldenden<lb/>
Kranken auf, ich habe in der Privatpraxis oft Gelegenheit,<lb/>
Gebärmutterpolypen zu operiren, ich habe diese namhafte Zahl<lb/>
Polypen, einen einzigen ausgenommen, alle durch die Excision<lb/>
entfernt, ich habe nicht nur keinen einzigen Todesfall zu be-<lb/>
klagen, ich habe selbst nicht eine einzige bedeutendere Er-<lb/>
krankung nach der Excision gesehen, obwohl darunter auch<lb/>
Polypen waren mit handtellerbreitem Stiele, und diesen gün-<lb/>
stigen Erfolg schreibe ich nur dem Umstande zu, dass ich mit<lb/>
reinen Händen operire.</p><lb/>
        <p>Nachdem wir so Seyfert belehrt, und nachdem ihm diese<lb/>
Schrift als Beweis gelten muss, dass sich meine Ansicht über<lb/>
die Entstehung und Verhütung des Kindbettfiebers bewährt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[428/0440] Als ich Schüler der praktischen Geburtshilfe an der I. Klinik zu Wien war, war Chiari Assistent; in seinen Vor- trägen über Puerperalfieber sagte er, dass die epidemischen Einflüsse manchmal so bösartig seien, dass selbst nicht im Puerperalzustande befindliche Individuen vom Puerperalfieber ergriffen würden. Als Beweis führte er eine Kranke an, welche an fibrösen Gebärmutterpolypen leidend, in die Gebärklinik aufgenommen wurde, und vor der Operation starb, die Section wies die pathologisch-anatomischen Befunde des Kindbett- fiebers nach. Nachdem die Erfolge der Chlorwaschungen ge- zeigt, wie das Puerperalfieber entsteht, machte Chiari selbst mich nochmals auf diesen Fall aufmerksam, mit der Bemerkung, jetzt wisse er, dass dieses Individuum so gut wie die Wöch- nerinnen durch einen zersetzten Stoff inficirt wurde. Und wie beklagenswerth auch die in gynaecologischen Abtheilungen verpflegten Individuen sind, das verkünden die Berichte über die Leistungen der gynaecologischen Abthei- lungen, und um beim Gebärmutterpolypen zu bleiben, wie oft sterben solche Individuen an Pyaemie vor der Operation, wie oft sterben solche Individuen an Pyaemie selbst nach Exci- sionen; ich habe durch sechs Jahre eine gynaecologische Ab- theilung geleitet, ich nehme während der fünf Jahre, seit ich Professor bin, alle mit Gebärmutterpolypen sich meldenden Kranken auf, ich habe in der Privatpraxis oft Gelegenheit, Gebärmutterpolypen zu operiren, ich habe diese namhafte Zahl Polypen, einen einzigen ausgenommen, alle durch die Excision entfernt, ich habe nicht nur keinen einzigen Todesfall zu be- klagen, ich habe selbst nicht eine einzige bedeutendere Er- krankung nach der Excision gesehen, obwohl darunter auch Polypen waren mit handtellerbreitem Stiele, und diesen gün- stigen Erfolg schreibe ich nur dem Umstande zu, dass ich mit reinen Händen operire. Nachdem wir so Seyfert belehrt, und nachdem ihm diese Schrift als Beweis gelten muss, dass sich meine Ansicht über die Entstehung und Verhütung des Kindbettfiebers bewährt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/440
Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/440>, abgerufen am 11.05.2024.