Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

rente Ansicht hatte, that, so zogen wir aus dieser unterlassenen
Opposition den für uns erfreulichen Schluss, dass Scanzoni sich
zu unserer Ansicht bekehrt, und da wir voraussetzten, dass
Scanzoni sich gewiss nur in Folge überzeugender Beobachtungen
zu unserer Ansicht, welche er so lange bekämpft, bekehrt
haben konnte, so warteten wir mit Sehnsucht auf das Er-
scheinen einer Brochüre, oder wenigstens eines Artikels, allen-
falls in den "Beiträgen zur Geburtskunde und Gynaekologie",
in welcher er der medicinischen Welt seine geänderte Ueber-
zeugung mit den überzeugenden Beobachtungen mittheilt;
aber nachdem ein Jahr verflossen, und das zweite, und das
dritte, und das vierte, und Scanzoni sich noch immer nicht
dem medicinischen Publicum als medicinischen Rousseau
darstellte, so schwanden mit jedem Jahre natürlich unsere
Hoffnungen immer mehr, und das fünfte Jahr war bestimmt,
uns Gewissheit zu bringen, welch Illusionen wir uns hingegeben.

Gegen Ende des Jahres 1859 erschien eine Schrift unter
dem Titel: "Historisch-kritische Darstellung der Pathologie
des Kindbettfiebers, von den ältesten Zeiten bis auf die unsere."
Von Dr. H. Silberschmidt. Und diese Schrift wurde von der
med. Facultät zu Würzburg mit einem Preise gekrönt. Der Autor
dieser Schrift spricht sich gegen meine Ansicht über die Ent-
stehung des Kindbettfiebers aus, und da diese Schrift dennoch
von einer Corporation, deren Mitglied Scanzoni ist, welchem
gewiss in dieser Angelegenheit ein entscheidender Einfluss
gegönnt war, mit einem Preise gekrönt wurde, so ist es mehr
als gewiss, dass es unsererseits Illusion war, wenn wir hofften,
dass Scanzoni sich zu unserer Ueberzeugung bekehrt, weil
er die für uns günstige Aeusserung Kiwisch's nicht angegriffen.

Ja, diese Schrift erwähnt nicht einmal die einzelnen
Fälle, in welchen selbst Scanzoni eine derartige Infection nicht
in Abrede stellen will.

Doch hören wir, was Dr. Silberschmidt sagt. Er sagt:
"Skoda und Semmelweis glaubten, die nächste Ursache des
Puerperalfiebers sei Leichengift." Also schon der erste Satz

26 *

rente Ansicht hatte, that, so zogen wir aus dieser unterlassenen
Opposition den für uns erfreulichen Schluss, dass Scanzoni sich
zu unserer Ansicht bekehrt, und da wir voraussetzten, dass
Scanzoni sich gewiss nur in Folge überzeugender Beobachtungen
zu unserer Ansicht, welche er so lange bekämpft, bekehrt
haben konnte, so warteten wir mit Sehnsucht auf das Er-
scheinen einer Brochüre, oder wenigstens eines Artikels, allen-
falls in den »Beiträgen zur Geburtskunde und Gynaekologie«,
in welcher er der medicinischen Welt seine geänderte Ueber-
zeugung mit den überzeugenden Beobachtungen mittheilt;
aber nachdem ein Jahr verflossen, und das zweite, und das
dritte, und das vierte, und Scanzoni sich noch immer nicht
dem medicinischen Publicum als medicinischen Rousseau
darstellte, so schwanden mit jedem Jahre natürlich unsere
Hoffnungen immer mehr, und das fünfte Jahr war bestimmt,
uns Gewissheit zu bringen, welch Illusionen wir uns hingegeben.

Gegen Ende des Jahres 1859 erschien eine Schrift unter
dem Titel: »Historisch-kritische Darstellung der Pathologie
des Kindbettfiebers, von den ältesten Zeiten bis auf die unsere.«
Von Dr. H. Silberschmidt. Und diese Schrift wurde von der
med. Facultät zu Würzburg mit einem Preise gekrönt. Der Autor
dieser Schrift spricht sich gegen meine Ansicht über die Ent-
stehung des Kindbettfiebers aus, und da diese Schrift dennoch
von einer Corporation, deren Mitglied Scanzoni ist, welchem
gewiss in dieser Angelegenheit ein entscheidender Einfluss
gegönnt war, mit einem Preise gekrönt wurde, so ist es mehr
als gewiss, dass es unsererseits Illusion war, wenn wir hofften,
dass Scanzoni sich zu unserer Ueberzeugung bekehrt, weil
er die für uns günstige Aeusserung Kiwisch’s nicht angegriffen.

Ja, diese Schrift erwähnt nicht einmal die einzelnen
Fälle, in welchen selbst Scanzoni eine derartige Infection nicht
in Abrede stellen will.

Doch hören wir, was Dr. Silberschmidt sagt. Er sagt:
»Skoda und Semmelweis glaubten, die nächste Ursache des
Puerperalfiebers sei Leichengift.« Also schon der erste Satz

26 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0415" n="403"/>
rente Ansicht hatte, that, so zogen wir aus dieser unterlassenen<lb/>
Opposition den für uns erfreulichen Schluss, dass Scanzoni sich<lb/>
zu unserer Ansicht bekehrt, und da wir voraussetzten, dass<lb/>
Scanzoni sich gewiss nur in Folge überzeugender Beobachtungen<lb/>
zu unserer Ansicht, welche er so lange bekämpft, bekehrt<lb/>
haben konnte, so warteten wir mit Sehnsucht auf das Er-<lb/>
scheinen einer Brochüre, oder wenigstens eines Artikels, allen-<lb/>
falls in den »Beiträgen zur Geburtskunde und Gynaekologie«,<lb/>
in welcher er der medicinischen Welt seine geänderte Ueber-<lb/>
zeugung mit den überzeugenden Beobachtungen mittheilt;<lb/>
aber nachdem ein Jahr verflossen, und das zweite, und das<lb/>
dritte, und das vierte, und Scanzoni sich noch immer nicht<lb/>
dem medicinischen Publicum als medicinischen Rousseau<lb/>
darstellte, so schwanden mit jedem Jahre natürlich unsere<lb/>
Hoffnungen immer mehr, und das fünfte Jahr war bestimmt,<lb/>
uns Gewissheit zu bringen, welch Illusionen wir uns hingegeben.</p><lb/>
        <p>Gegen Ende des Jahres 1859 erschien eine Schrift unter<lb/>
dem Titel: »Historisch-kritische Darstellung der Pathologie<lb/>
des Kindbettfiebers, von den ältesten Zeiten bis auf die unsere.«<lb/>
Von Dr. H. Silberschmidt. Und diese Schrift wurde von der<lb/>
med. Facultät zu Würzburg mit einem Preise gekrönt. Der Autor<lb/>
dieser Schrift spricht sich gegen meine Ansicht über die Ent-<lb/>
stehung des Kindbettfiebers aus, und da diese Schrift dennoch<lb/>
von einer Corporation, deren Mitglied Scanzoni ist, welchem<lb/>
gewiss in dieser Angelegenheit ein entscheidender Einfluss<lb/>
gegönnt war, mit einem Preise gekrönt wurde, so ist es mehr<lb/>
als gewiss, dass es unsererseits Illusion war, wenn wir hofften,<lb/>
dass Scanzoni sich zu unserer Ueberzeugung bekehrt, weil<lb/>
er die für uns günstige Aeusserung Kiwisch&#x2019;s nicht angegriffen.</p><lb/>
        <p>Ja, diese Schrift erwähnt nicht einmal die einzelnen<lb/>
Fälle, in welchen selbst Scanzoni eine derartige Infection nicht<lb/>
in Abrede stellen will.</p><lb/>
        <p>Doch hören wir, was Dr. Silberschmidt sagt. Er sagt:<lb/>
»Skoda und Semmelweis glaubten, die nächste Ursache des<lb/>
Puerperalfiebers sei Leichengift.« Also schon der erste Satz<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">26 *</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[403/0415] rente Ansicht hatte, that, so zogen wir aus dieser unterlassenen Opposition den für uns erfreulichen Schluss, dass Scanzoni sich zu unserer Ansicht bekehrt, und da wir voraussetzten, dass Scanzoni sich gewiss nur in Folge überzeugender Beobachtungen zu unserer Ansicht, welche er so lange bekämpft, bekehrt haben konnte, so warteten wir mit Sehnsucht auf das Er- scheinen einer Brochüre, oder wenigstens eines Artikels, allen- falls in den »Beiträgen zur Geburtskunde und Gynaekologie«, in welcher er der medicinischen Welt seine geänderte Ueber- zeugung mit den überzeugenden Beobachtungen mittheilt; aber nachdem ein Jahr verflossen, und das zweite, und das dritte, und das vierte, und Scanzoni sich noch immer nicht dem medicinischen Publicum als medicinischen Rousseau darstellte, so schwanden mit jedem Jahre natürlich unsere Hoffnungen immer mehr, und das fünfte Jahr war bestimmt, uns Gewissheit zu bringen, welch Illusionen wir uns hingegeben. Gegen Ende des Jahres 1859 erschien eine Schrift unter dem Titel: »Historisch-kritische Darstellung der Pathologie des Kindbettfiebers, von den ältesten Zeiten bis auf die unsere.« Von Dr. H. Silberschmidt. Und diese Schrift wurde von der med. Facultät zu Würzburg mit einem Preise gekrönt. Der Autor dieser Schrift spricht sich gegen meine Ansicht über die Ent- stehung des Kindbettfiebers aus, und da diese Schrift dennoch von einer Corporation, deren Mitglied Scanzoni ist, welchem gewiss in dieser Angelegenheit ein entscheidender Einfluss gegönnt war, mit einem Preise gekrönt wurde, so ist es mehr als gewiss, dass es unsererseits Illusion war, wenn wir hofften, dass Scanzoni sich zu unserer Ueberzeugung bekehrt, weil er die für uns günstige Aeusserung Kiwisch’s nicht angegriffen. Ja, diese Schrift erwähnt nicht einmal die einzelnen Fälle, in welchen selbst Scanzoni eine derartige Infection nicht in Abrede stellen will. Doch hören wir, was Dr. Silberschmidt sagt. Er sagt: »Skoda und Semmelweis glaubten, die nächste Ursache des Puerperalfiebers sei Leichengift.« Also schon der erste Satz 26 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/415
Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/415>, abgerufen am 24.11.2024.