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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

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Wenn eine Kreissende wegen verzögerter Eröffnungspe-
riode z. B. drei Tage auf dem Kreissezimmer zubrachte, da
machte selbe sechs allgemeine Visiten mit, während jeder Vi-
site wurde selbe mindestens von 5 Schülern untersucht, das
gibt 30 Untersuchungen, ungerechnet die vielen Untersuchun-
gen, denen selbe in der Zwischenzeit unterworfen wurde.
Wie viele von den 30 untersuchenden Fingern waren mit zer-
setzten Stoffen verunreinigt? gewiss mehr als einer. Dazu
kommt noch, dass vermöge des anotomischen Baues der weib-
lichen Geschlechtstheile beim Menschen und bei Thieren die
Infection beim menschlichen Weibe leichter geschieht, als bei
Thieren, weil beim menschlichen Weibe die Stelle, wo im
normalen Zustande die Resorption geschieht, nämlich die in-
nere Fläche des Uterus, welche in Folge der Schwangerschaft
der Schleimhaut verlustig ging, leicht erreichbar ist, während
bei Thieren die Schwangerschaft in den Uterushörnern vor
sich geht, die Uterushörner aber münden unter einem geraden
Winkel mittelst einer warzenförmigen Hervorragung in die
Gebärmutterhöhle, wodurch die totale Unmöglichkeit bedingt
ist, den zersetzten Stoff an die Stelle zu bringen, wo die Be-
dingungen für die Resorption am günstigsten sind. Die ein-
gespritzte Masse gelangt bei so kleinen Thieren, bei Kanin-
chen in die Scheide, vielleicht zufällig in die Gebärmutter-
höhle, gewiss aber nicht in die Uterushörner, wo die Resorp-
tion am leichtesten gelingen würde. Daraus ist es zu erklä-
ren, warum bei Thieren wiederholt zersetzte Stoffe einge-
bracht werden müssen, bis die Infection gelingt, während beim
menschlichen Weibe wohl auch oft wiederholt zersetzte Stoffe
eingebracht werden, dass aber beim menschlichen Weibe bei
gehöriger Disposition vielleicht schon ein einmaliges Einbrin-
gen zersetzter Stoffe hinreichen mag, eine Infection hervor-
zubringen.

Scanzoni sagt: "Geschehen die Untersuchungen der
Kreissenden in der Regel nur vor der Entbindung, folglich
zu einer Zeit, wo die beschuldigten Verletzungen der Genita-

Wenn eine Kreissende wegen verzögerter Eröffnungspe-
riode z. B. drei Tage auf dem Kreissezimmer zubrachte, da
machte selbe sechs allgemeine Visiten mit, während jeder Vi-
site wurde selbe mindestens von 5 Schülern untersucht, das
gibt 30 Untersuchungen, ungerechnet die vielen Untersuchun-
gen, denen selbe in der Zwischenzeit unterworfen wurde.
Wie viele von den 30 untersuchenden Fingern waren mit zer-
setzten Stoffen verunreinigt? gewiss mehr als einer. Dazu
kommt noch, dass vermöge des anotomischen Baues der weib-
lichen Geschlechtstheile beim Menschen und bei Thieren die
Infection beim menschlichen Weibe leichter geschieht, als bei
Thieren, weil beim menschlichen Weibe die Stelle, wo im
normalen Zustande die Resorption geschieht, nämlich die in-
nere Fläche des Uterus, welche in Folge der Schwangerschaft
der Schleimhaut verlustig ging, leicht erreichbar ist, während
bei Thieren die Schwangerschaft in den Uterushörnern vor
sich geht, die Uterushörner aber münden unter einem geraden
Winkel mittelst einer warzenförmigen Hervorragung in die
Gebärmutterhöhle, wodurch die totale Unmöglichkeit bedingt
ist, den zersetzten Stoff an die Stelle zu bringen, wo die Be-
dingungen für die Resorption am günstigsten sind. Die ein-
gespritzte Masse gelangt bei so kleinen Thieren, bei Kanin-
chen in die Scheide, vielleicht zufällig in die Gebärmutter-
höhle, gewiss aber nicht in die Uterushörner, wo die Resorp-
tion am leichtesten gelingen würde. Daraus ist es zu erklä-
ren, warum bei Thieren wiederholt zersetzte Stoffe einge-
bracht werden müssen, bis die Infection gelingt, während beim
menschlichen Weibe wohl auch oft wiederholt zersetzte Stoffe
eingebracht werden, dass aber beim menschlichen Weibe bei
gehöriger Disposition vielleicht schon ein einmaliges Einbrin-
gen zersetzter Stoffe hinreichen mag, eine Infection hervor-
zubringen.

Scanzoni sagt: »Geschehen die Untersuchungen der
Kreissenden in der Regel nur vor der Entbindung, folglich
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[340/0352] Wenn eine Kreissende wegen verzögerter Eröffnungspe- riode z. B. drei Tage auf dem Kreissezimmer zubrachte, da machte selbe sechs allgemeine Visiten mit, während jeder Vi- site wurde selbe mindestens von 5 Schülern untersucht, das gibt 30 Untersuchungen, ungerechnet die vielen Untersuchun- gen, denen selbe in der Zwischenzeit unterworfen wurde. Wie viele von den 30 untersuchenden Fingern waren mit zer- setzten Stoffen verunreinigt? gewiss mehr als einer. Dazu kommt noch, dass vermöge des anotomischen Baues der weib- lichen Geschlechtstheile beim Menschen und bei Thieren die Infection beim menschlichen Weibe leichter geschieht, als bei Thieren, weil beim menschlichen Weibe die Stelle, wo im normalen Zustande die Resorption geschieht, nämlich die in- nere Fläche des Uterus, welche in Folge der Schwangerschaft der Schleimhaut verlustig ging, leicht erreichbar ist, während bei Thieren die Schwangerschaft in den Uterushörnern vor sich geht, die Uterushörner aber münden unter einem geraden Winkel mittelst einer warzenförmigen Hervorragung in die Gebärmutterhöhle, wodurch die totale Unmöglichkeit bedingt ist, den zersetzten Stoff an die Stelle zu bringen, wo die Be- dingungen für die Resorption am günstigsten sind. Die ein- gespritzte Masse gelangt bei so kleinen Thieren, bei Kanin- chen in die Scheide, vielleicht zufällig in die Gebärmutter- höhle, gewiss aber nicht in die Uterushörner, wo die Resorp- tion am leichtesten gelingen würde. Daraus ist es zu erklä- ren, warum bei Thieren wiederholt zersetzte Stoffe einge- bracht werden müssen, bis die Infection gelingt, während beim menschlichen Weibe wohl auch oft wiederholt zersetzte Stoffe eingebracht werden, dass aber beim menschlichen Weibe bei gehöriger Disposition vielleicht schon ein einmaliges Einbrin- gen zersetzter Stoffe hinreichen mag, eine Infection hervor- zubringen. Scanzoni sagt: »Geschehen die Untersuchungen der Kreissenden in der Regel nur vor der Entbindung, folglich zu einer Zeit, wo die beschuldigten Verletzungen der Genita-

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Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/352>, abgerufen am 22.11.2024.