Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

Doch hören wir was Scanzoni sagt. Scanzoni sagt: "Professor
Skoda entwickelt in dem gedachten Vortrage zuerst die That-
sachen und Schlüsse, aus deren Combination die Entdeckung
des Dr. Semmelweis hervorgegangen ist. Dieser Theil des
Vortrages bietet übrigens zu wenig Neues, als dass wir es für
nöthig hielten, ihn hier weiter auseinanderzusetzen, denn
dem grössten Theile des ärztlichen Publicums dürfte es be-
kannt sein, dass die Erkrankungen und Sterbefälle der allge-
meinen Annahme zu Folge in Gebärhäusern viel häufiger sind,
als ausserhalb derselben."

Die Thatsachen sind allerdings nicht neu, nur die Schlüsse,
die ich aus alten Thatsachen ziehe, sind neu; nachdem es
Thatsache ist, dass in Gebärhäusern die Erkrankungen und
Sterbefälle viel häufiger sind, als ausserhalb derselben, so ziehe
ich aus dieser alten Thatsache den neuen Schluss, dass die
zahlreicheren Erkrankungen und Sterbefälle im Gebärhause
nicht durch atmosphärische Einflüsse bedingt sein können,
weil die Wöchnerinnen im Gebärhause und die Wöchne-
rinnen ausserhalb des Gebärhauses denselben atmosphärischen
Einflüssen ausgesetzt sind, folglich in gleicher Anzahl erkran-
ken und sterben müssten. Und wenn Scanzoni und die Legion
der Epidemiker trotz dieser Thatsachen das Kindbettfieber
durch atmosphärische Einflüsse entstehen lassen, so beweist
das nur, dass ihnen der Widerspruch zwischen der Lehre
und den Thatsachen wegen Mangel an Nachdenken noch nicht
zum klaren Bewusstsein gekommen ist, oder wenn selbe ja den
Widerspruch erkannt haben, sind selbe dennoch bei dem ac-
creditirten Irrthume des epidemischen Puerperalfiebers geblie-
ben, weil selbe nichts Besseres an deren Stelle zu setzen ver-
mochten.

Scanzoni sagt: Skoda macht ferner auf das Erkrankungs-
und Mortalitätsverhältniss der beiden Gebärkliniken des Wie-
ner Krankenhauses aufmerksam, woraus man entnimmt, dass
die Zahl der Todesfälle auf der für die Aerzte bestimmten Kli-
nik bis Juni 1847 constant, im Jahre 1846 sogar um das Fünf-

Doch hören wir was Scanzoni sagt. Scanzoni sagt: »Professor
Skoda entwickelt in dem gedachten Vortrage zuerst die That-
sachen und Schlüsse, aus deren Combination die Entdeckung
des Dr. Semmelweis hervorgegangen ist. Dieser Theil des
Vortrages bietet übrigens zu wenig Neues, als dass wir es für
nöthig hielten, ihn hier weiter auseinanderzusetzen, denn
dem grössten Theile des ärztlichen Publicums dürfte es be-
kannt sein, dass die Erkrankungen und Sterbefälle der allge-
meinen Annahme zu Folge in Gebärhäusern viel häufiger sind,
als ausserhalb derselben.«

Die Thatsachen sind allerdings nicht neu, nur die Schlüsse,
die ich aus alten Thatsachen ziehe, sind neu; nachdem es
Thatsache ist, dass in Gebärhäusern die Erkrankungen und
Sterbefälle viel häufiger sind, als ausserhalb derselben, so ziehe
ich aus dieser alten Thatsache den neuen Schluss, dass die
zahlreicheren Erkrankungen und Sterbefälle im Gebärhause
nicht durch atmosphärische Einflüsse bedingt sein können,
weil die Wöchnerinnen im Gebärhause und die Wöchne-
rinnen ausserhalb des Gebärhauses denselben atmosphärischen
Einflüssen ausgesetzt sind, folglich in gleicher Anzahl erkran-
ken und sterben müssten. Und wenn Scanzoni und die Legion
der Epidemiker trotz dieser Thatsachen das Kindbettfieber
durch atmosphärische Einflüsse entstehen lassen, so beweist
das nur, dass ihnen der Widerspruch zwischen der Lehre
und den Thatsachen wegen Mangel an Nachdenken noch nicht
zum klaren Bewusstsein gekommen ist, oder wenn selbe ja den
Widerspruch erkannt haben, sind selbe dennoch bei dem ac-
creditirten Irrthume des epidemischen Puerperalfiebers geblie-
ben, weil selbe nichts Besseres an deren Stelle zu setzen ver-
mochten.

Scanzoni sagt: Skoda macht ferner auf das Erkrankungs-
und Mortalitätsverhältniss der beiden Gebärkliniken des Wie-
ner Krankenhauses aufmerksam, woraus man entnimmt, dass
die Zahl der Todesfälle auf der für die Aerzte bestimmten Kli-
nik bis Juni 1847 constant, im Jahre 1846 sogar um das Fünf-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0328" n="316"/>
        <p>Doch hören wir was Scanzoni sagt. Scanzoni sagt: »Professor<lb/>
Skoda entwickelt in dem gedachten Vortrage zuerst die That-<lb/>
sachen und Schlüsse, aus deren Combination die Entdeckung<lb/>
des Dr. Semmelweis hervorgegangen ist. Dieser Theil des<lb/>
Vortrages bietet übrigens zu wenig Neues, als dass wir es für<lb/>
nöthig hielten, ihn hier weiter auseinanderzusetzen, denn<lb/>
dem grössten Theile des ärztlichen Publicums dürfte es be-<lb/>
kannt sein, dass die Erkrankungen und Sterbefälle der allge-<lb/>
meinen Annahme zu Folge in Gebärhäusern viel häufiger sind,<lb/>
als ausserhalb derselben.«</p><lb/>
        <p>Die Thatsachen sind allerdings nicht neu, nur die Schlüsse,<lb/>
die ich aus alten Thatsachen ziehe, sind neu; nachdem es<lb/>
Thatsache ist, dass in Gebärhäusern die Erkrankungen und<lb/>
Sterbefälle viel häufiger sind, als ausserhalb derselben, so ziehe<lb/>
ich aus dieser alten Thatsache den neuen Schluss, dass die<lb/>
zahlreicheren Erkrankungen und Sterbefälle im Gebärhause<lb/>
nicht durch atmosphärische Einflüsse bedingt sein können,<lb/>
weil die Wöchnerinnen im Gebärhause und die Wöchne-<lb/>
rinnen ausserhalb des Gebärhauses denselben atmosphärischen<lb/>
Einflüssen ausgesetzt sind, folglich in gleicher Anzahl erkran-<lb/>
ken und sterben müssten. Und wenn Scanzoni und die Legion<lb/>
der Epidemiker trotz dieser Thatsachen das Kindbettfieber<lb/>
durch atmosphärische Einflüsse entstehen lassen, so beweist<lb/>
das nur, dass ihnen der Widerspruch zwischen der Lehre<lb/>
und den Thatsachen wegen Mangel an Nachdenken noch nicht<lb/>
zum klaren Bewusstsein gekommen ist, oder wenn selbe ja den<lb/>
Widerspruch erkannt haben, sind selbe dennoch bei dem ac-<lb/>
creditirten Irrthume des epidemischen Puerperalfiebers geblie-<lb/>
ben, weil selbe nichts Besseres an deren Stelle zu setzen ver-<lb/>
mochten.</p><lb/>
        <p>Scanzoni sagt: Skoda macht ferner auf das Erkrankungs-<lb/>
und Mortalitätsverhältniss der beiden Gebärkliniken des Wie-<lb/>
ner Krankenhauses aufmerksam, woraus man entnimmt, dass<lb/>
die Zahl der Todesfälle auf der für die Aerzte bestimmten Kli-<lb/>
nik bis Juni 1847 constant, im Jahre 1846 sogar um das Fünf-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[316/0328] Doch hören wir was Scanzoni sagt. Scanzoni sagt: »Professor Skoda entwickelt in dem gedachten Vortrage zuerst die That- sachen und Schlüsse, aus deren Combination die Entdeckung des Dr. Semmelweis hervorgegangen ist. Dieser Theil des Vortrages bietet übrigens zu wenig Neues, als dass wir es für nöthig hielten, ihn hier weiter auseinanderzusetzen, denn dem grössten Theile des ärztlichen Publicums dürfte es be- kannt sein, dass die Erkrankungen und Sterbefälle der allge- meinen Annahme zu Folge in Gebärhäusern viel häufiger sind, als ausserhalb derselben.« Die Thatsachen sind allerdings nicht neu, nur die Schlüsse, die ich aus alten Thatsachen ziehe, sind neu; nachdem es Thatsache ist, dass in Gebärhäusern die Erkrankungen und Sterbefälle viel häufiger sind, als ausserhalb derselben, so ziehe ich aus dieser alten Thatsache den neuen Schluss, dass die zahlreicheren Erkrankungen und Sterbefälle im Gebärhause nicht durch atmosphärische Einflüsse bedingt sein können, weil die Wöchnerinnen im Gebärhause und die Wöchne- rinnen ausserhalb des Gebärhauses denselben atmosphärischen Einflüssen ausgesetzt sind, folglich in gleicher Anzahl erkran- ken und sterben müssten. Und wenn Scanzoni und die Legion der Epidemiker trotz dieser Thatsachen das Kindbettfieber durch atmosphärische Einflüsse entstehen lassen, so beweist das nur, dass ihnen der Widerspruch zwischen der Lehre und den Thatsachen wegen Mangel an Nachdenken noch nicht zum klaren Bewusstsein gekommen ist, oder wenn selbe ja den Widerspruch erkannt haben, sind selbe dennoch bei dem ac- creditirten Irrthume des epidemischen Puerperalfiebers geblie- ben, weil selbe nichts Besseres an deren Stelle zu setzen ver- mochten. Scanzoni sagt: Skoda macht ferner auf das Erkrankungs- und Mortalitätsverhältniss der beiden Gebärkliniken des Wie- ner Krankenhauses aufmerksam, woraus man entnimmt, dass die Zahl der Todesfälle auf der für die Aerzte bestimmten Kli- nik bis Juni 1847 constant, im Jahre 1846 sogar um das Fünf-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/328
Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/328>, abgerufen am 25.11.2024.