ration, als die mögliche Einwirkung des den Händen, Haaren und Kleidern anhängenden Leichendunstes vor Augen gehabt habe. -- Aber, wie schon bemerkt, das specifische Contagium scheint dem Dr. Semmelweis von geringer Bedeutung zu sein, ja es wird seinerseits so wenig beachtet, dass in seinem Auf- satze von der directen Ueberführung der Krankheit von Kran- ken auf naheliegende gesunde Wöchnerinnen gar nicht die Rede ist. Ihm ist es nur zu thun, in der allgemeinen Leichen- infection ohne Rücksicht auf die dem Tode vorausgegangene Krankheit. Und in solcher Auffassung, gestehe ich, scheint seine Ansicht mir nicht die Probabilität für sich zu gewinnen. Denn abgesehen von der ohne Zweifel etwas übertriebenen Vorstellung von der Absorptionsfähigkeit des gesunden Mutter- mundes, die in den Wirkungen der auf denselben angebrachten Arzneistoffe kaum ihre Bestätigung findet, scheinen doch alle mit Ueberführung putrider Stoffe in den Organismus ange- stellten Versuche darzuthun, dass die dadurch hervorgebrachten Wirkungen sowohl in Schnelligkeit als Intensität von quan- titativen Verhältnissen abhängig sind, und dass namentlich die schnell tödtende putride Infection, selbst durch directe Einbrin- gung der putriden Stoffe in die Blutmasse, doch mehr als ho- moeopatische Dosen der Giftstoffe erforderlich macht. Und viel höher wird man doch, aus Achtung für den Reinlichkeitssinn der Wiener Studirenden, den in einen Nagelwinkel verbor- genen Ansteckungsstoff, oder die Ausdünstung der bald nach anatomischen Arbeiten zur Exploration an Gebärenden ver- wandten Finger nicht anschlagen können."
Auf diesen zweiten Punkt haben wir zu erwiedern, dass wir das Kindbettfieber für keine contagiöse Krankheit halten, dass wir allerdings eine allgemeine Infection mittelst eines zer- setzten Stoffes nachgewiesen haben, und dieser zersetzte Stoff kann nun auch von Leichen genommen werden.
Der Leser, welcher diese Schrift aufmerksam gelesen hat, wird sich selbst antworten können; ich will hier nur bemerken, dass, wenn das Kindbettfieber eine contagiöse Krankheit wäre.
ration, als die mögliche Einwirkung des den Händen, Haaren und Kleidern anhängenden Leichendunstes vor Augen gehabt habe. — Aber, wie schon bemerkt, das specifische Contagium scheint dem Dr. Semmelweis von geringer Bedeutung zu sein, ja es wird seinerseits so wenig beachtet, dass in seinem Auf- satze von der directen Ueberführung der Krankheit von Kran- ken auf naheliegende gesunde Wöchnerinnen gar nicht die Rede ist. Ihm ist es nur zu thun, in der allgemeinen Leichen- infection ohne Rücksicht auf die dem Tode vorausgegangene Krankheit. Und in solcher Auffassung, gestehe ich, scheint seine Ansicht mir nicht die Probabilität für sich zu gewinnen. Denn abgesehen von der ohne Zweifel etwas übertriebenen Vorstellung von der Absorptionsfähigkeit des gesunden Mutter- mundes, die in den Wirkungen der auf denselben angebrachten Arzneistoffe kaum ihre Bestätigung findet, scheinen doch alle mit Ueberführung putrider Stoffe in den Organismus ange- stellten Versuche darzuthun, dass die dadurch hervorgebrachten Wirkungen sowohl in Schnelligkeit als Intensität von quan- titativen Verhältnissen abhängig sind, und dass namentlich die schnell tödtende putride Infection, selbst durch directe Einbrin- gung der putriden Stoffe in die Blutmasse, doch mehr als ho- moeopatische Dosen der Giftstoffe erforderlich macht. Und viel höher wird man doch, aus Achtung für den Reinlichkeitssinn der Wiener Studirenden, den in einen Nagelwinkel verbor- genen Ansteckungsstoff, oder die Ausdünstung der bald nach anatomischen Arbeiten zur Exploration an Gebärenden ver- wandten Finger nicht anschlagen können.«
Auf diesen zweiten Punkt haben wir zu erwiedern, dass wir das Kindbettfieber für keine contagiöse Krankheit halten, dass wir allerdings eine allgemeine Infection mittelst eines zer- setzten Stoffes nachgewiesen haben, und dieser zersetzte Stoff kann nun auch von Leichen genommen werden.
Der Leser, welcher diese Schrift aufmerksam gelesen hat, wird sich selbst antworten können; ich will hier nur bemerken, dass, wenn das Kindbettfieber eine contagiöse Krankheit wäre.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0309"n="297"/>
ration, als die mögliche Einwirkung des den Händen, Haaren<lb/>
und Kleidern anhängenden Leichendunstes vor Augen gehabt<lb/>
habe. — Aber, wie schon bemerkt, das specifische Contagium<lb/>
scheint dem Dr. Semmelweis von geringer Bedeutung zu sein,<lb/>
ja es wird seinerseits so wenig beachtet, dass in seinem Auf-<lb/>
satze von der directen Ueberführung der Krankheit von Kran-<lb/>
ken auf naheliegende gesunde Wöchnerinnen gar nicht die<lb/>
Rede ist. Ihm ist es nur zu thun, in der allgemeinen Leichen-<lb/>
infection ohne Rücksicht auf die dem Tode vorausgegangene<lb/>
Krankheit. Und in solcher Auffassung, gestehe ich, scheint<lb/>
seine Ansicht mir nicht die Probabilität für sich zu gewinnen.<lb/>
Denn abgesehen von der ohne Zweifel etwas übertriebenen<lb/>
Vorstellung von der Absorptionsfähigkeit des gesunden Mutter-<lb/>
mundes, die in den Wirkungen der auf denselben angebrachten<lb/>
Arzneistoffe kaum ihre Bestätigung findet, scheinen doch alle<lb/>
mit Ueberführung putrider Stoffe in den Organismus ange-<lb/>
stellten Versuche darzuthun, dass die dadurch hervorgebrachten<lb/>
Wirkungen sowohl in Schnelligkeit als Intensität von quan-<lb/>
titativen Verhältnissen abhängig sind, und dass namentlich die<lb/>
schnell tödtende putride Infection, selbst durch directe Einbrin-<lb/>
gung der putriden Stoffe in die Blutmasse, doch mehr als ho-<lb/>
moeopatische Dosen der Giftstoffe erforderlich macht. Und viel<lb/>
höher wird man doch, aus Achtung für den Reinlichkeitssinn<lb/>
der Wiener Studirenden, den in einen Nagelwinkel verbor-<lb/>
genen Ansteckungsstoff, oder die Ausdünstung der bald nach<lb/>
anatomischen Arbeiten zur Exploration an Gebärenden ver-<lb/>
wandten Finger nicht anschlagen können.«</p><lb/><p>Auf diesen zweiten Punkt haben wir zu erwiedern, dass<lb/>
wir das Kindbettfieber für keine contagiöse Krankheit halten,<lb/>
dass wir allerdings eine allgemeine Infection mittelst eines zer-<lb/>
setzten Stoffes nachgewiesen haben, und dieser zersetzte Stoff<lb/>
kann nun auch von Leichen genommen werden.</p><lb/><p>Der Leser, welcher diese Schrift aufmerksam gelesen hat,<lb/>
wird sich selbst antworten können; ich will hier nur bemerken,<lb/>
dass, wenn das Kindbettfieber eine contagiöse Krankheit wäre.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[297/0309]
ration, als die mögliche Einwirkung des den Händen, Haaren
und Kleidern anhängenden Leichendunstes vor Augen gehabt
habe. — Aber, wie schon bemerkt, das specifische Contagium
scheint dem Dr. Semmelweis von geringer Bedeutung zu sein,
ja es wird seinerseits so wenig beachtet, dass in seinem Auf-
satze von der directen Ueberführung der Krankheit von Kran-
ken auf naheliegende gesunde Wöchnerinnen gar nicht die
Rede ist. Ihm ist es nur zu thun, in der allgemeinen Leichen-
infection ohne Rücksicht auf die dem Tode vorausgegangene
Krankheit. Und in solcher Auffassung, gestehe ich, scheint
seine Ansicht mir nicht die Probabilität für sich zu gewinnen.
Denn abgesehen von der ohne Zweifel etwas übertriebenen
Vorstellung von der Absorptionsfähigkeit des gesunden Mutter-
mundes, die in den Wirkungen der auf denselben angebrachten
Arzneistoffe kaum ihre Bestätigung findet, scheinen doch alle
mit Ueberführung putrider Stoffe in den Organismus ange-
stellten Versuche darzuthun, dass die dadurch hervorgebrachten
Wirkungen sowohl in Schnelligkeit als Intensität von quan-
titativen Verhältnissen abhängig sind, und dass namentlich die
schnell tödtende putride Infection, selbst durch directe Einbrin-
gung der putriden Stoffe in die Blutmasse, doch mehr als ho-
moeopatische Dosen der Giftstoffe erforderlich macht. Und viel
höher wird man doch, aus Achtung für den Reinlichkeitssinn
der Wiener Studirenden, den in einen Nagelwinkel verbor-
genen Ansteckungsstoff, oder die Ausdünstung der bald nach
anatomischen Arbeiten zur Exploration an Gebärenden ver-
wandten Finger nicht anschlagen können.«
Auf diesen zweiten Punkt haben wir zu erwiedern, dass
wir das Kindbettfieber für keine contagiöse Krankheit halten,
dass wir allerdings eine allgemeine Infection mittelst eines zer-
setzten Stoffes nachgewiesen haben, und dieser zersetzte Stoff
kann nun auch von Leichen genommen werden.
Der Leser, welcher diese Schrift aufmerksam gelesen hat,
wird sich selbst antworten können; ich will hier nur bemerken,
dass, wenn das Kindbettfieber eine contagiöse Krankheit wäre.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/309>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.