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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

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Da nun die Individuen in den Gebärhäusern in der Re-
gel ausserhalb der Genitalsphäre keine zur Resorbtion geeig-
nete Stelle darbieten, so muss nothwendiger Weise der zer-
setzte Stoff, welcher die Eigenschaft besitzt, das Kindbettfie-
ber hervorzubringen, den Individuen in die Genitalien einge-
bracht werden; da nun aber die Kleider des Geburtshelfers
nicht in die Genitalien der Individuen eingebracht werden, so
ist die Sitte der Engländer, die Kleider zu wechseln, um das
Kindbettfieber nicht durch die Kleider zu verschleppen, eine
zwar unschädliche, aber überflüssige Vorsicht. Ich und die
Schüler haben im Jahre 1848 zu Wien unsere Kleider nach
Beschäftigungen mit solchen Dingen, welche die Eigenschaft
besitzen, das Kindbettfieber hervorzubringen, nicht gewech-
selt, wir haben nur unsere Hände der Einwirkung des Chlors
ausgesetzt, und haben im Jahre 1848 von 3556 Wöchnerinnen
nur 45, d. i. l.27 Percent am Kindbettfieber verloren.

In den oben angeführten Fällen, wo der Geburtshelfer,
ohne die Kleider gewechselt zu haben, gesunde Kreissende
besuchte, welche dann am Kindbettfieber gestorben sind, wa-
ren gewiss nicht die Kleider, sondern seine Hände die Träger
des zersetzten Stoffes, welche, weil sie nicht gewechselt wer-
den konnten, desinficirt hätten werden sollen. Wenn durch
die angeführten Beschäftigungen die Kleider mit zersetzten
Stoffen verunreiniget wurden, so wurden es die Hände ge-
wiss noch mehr, und mit diesen Händen wurde innerlich un-
tersucht.

Damit das Kindbettfieber entstehe, ist es Conditio sine
qua non
, dass der zersetzte Stoff in die Genitalien einge-
bracht werde, und mit von zersetzten Stoffen verunreinigten
Händen können die Individuen in- und ausserhalb der Gebär-
häuser allen möglichen medicinischen Untersuchungen, mit
Ausnahme der Exploratio obstetricia interna unterworfen
werden, ohne dadurch auch nur der geringsten Gefahr ausge-
setzt zu sein.

Dass die Epidermis die Resorbtion des zersetzten Stoffes

Da nun die Individuen in den Gebärhäusern in der Re-
gel ausserhalb der Genitalsphäre keine zur Resorbtion geeig-
nete Stelle darbieten, so muss nothwendiger Weise der zer-
setzte Stoff, welcher die Eigenschaft besitzt, das Kindbettfie-
ber hervorzubringen, den Individuen in die Genitalien einge-
bracht werden; da nun aber die Kleider des Geburtshelfers
nicht in die Genitalien der Individuen eingebracht werden, so
ist die Sitte der Engländer, die Kleider zu wechseln, um das
Kindbettfieber nicht durch die Kleider zu verschleppen, eine
zwar unschädliche, aber überflüssige Vorsicht. Ich und die
Schüler haben im Jahre 1848 zu Wien unsere Kleider nach
Beschäftigungen mit solchen Dingen, welche die Eigenschaft
besitzen, das Kindbettfieber hervorzubringen, nicht gewech-
selt, wir haben nur unsere Hände der Einwirkung des Chlors
ausgesetzt, und haben im Jahre 1848 von 3556 Wöchnerinnen
nur 45, d. i. l.27 Percent am Kindbettfieber verloren.

In den oben angeführten Fällen, wo der Geburtshelfer,
ohne die Kleider gewechselt zu haben, gesunde Kreissende
besuchte, welche dann am Kindbettfieber gestorben sind, wa-
ren gewiss nicht die Kleider, sondern seine Hände die Träger
des zersetzten Stoffes, welche, weil sie nicht gewechselt wer-
den konnten, desinficirt hätten werden sollen. Wenn durch
die angeführten Beschäftigungen die Kleider mit zersetzten
Stoffen verunreiniget wurden, so wurden es die Hände ge-
wiss noch mehr, und mit diesen Händen wurde innerlich un-
tersucht.

Damit das Kindbettfieber entstehe, ist es Conditio sine
qua non
, dass der zersetzte Stoff in die Genitalien einge-
bracht werde, und mit von zersetzten Stoffen verunreinigten
Händen können die Individuen in- und ausserhalb der Gebär-
häuser allen möglichen medicinischen Untersuchungen, mit
Ausnahme der Exploratio obstetricia interna unterworfen
werden, ohne dadurch auch nur der geringsten Gefahr ausge-
setzt zu sein.

Dass die Epidermis die Resorbtion des zersetzten Stoffes

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[196/0208] Da nun die Individuen in den Gebärhäusern in der Re- gel ausserhalb der Genitalsphäre keine zur Resorbtion geeig- nete Stelle darbieten, so muss nothwendiger Weise der zer- setzte Stoff, welcher die Eigenschaft besitzt, das Kindbettfie- ber hervorzubringen, den Individuen in die Genitalien einge- bracht werden; da nun aber die Kleider des Geburtshelfers nicht in die Genitalien der Individuen eingebracht werden, so ist die Sitte der Engländer, die Kleider zu wechseln, um das Kindbettfieber nicht durch die Kleider zu verschleppen, eine zwar unschädliche, aber überflüssige Vorsicht. Ich und die Schüler haben im Jahre 1848 zu Wien unsere Kleider nach Beschäftigungen mit solchen Dingen, welche die Eigenschaft besitzen, das Kindbettfieber hervorzubringen, nicht gewech- selt, wir haben nur unsere Hände der Einwirkung des Chlors ausgesetzt, und haben im Jahre 1848 von 3556 Wöchnerinnen nur 45, d. i. l.27 Percent am Kindbettfieber verloren. In den oben angeführten Fällen, wo der Geburtshelfer, ohne die Kleider gewechselt zu haben, gesunde Kreissende besuchte, welche dann am Kindbettfieber gestorben sind, wa- ren gewiss nicht die Kleider, sondern seine Hände die Träger des zersetzten Stoffes, welche, weil sie nicht gewechselt wer- den konnten, desinficirt hätten werden sollen. Wenn durch die angeführten Beschäftigungen die Kleider mit zersetzten Stoffen verunreiniget wurden, so wurden es die Hände ge- wiss noch mehr, und mit diesen Händen wurde innerlich un- tersucht. Damit das Kindbettfieber entstehe, ist es Conditio sine qua non, dass der zersetzte Stoff in die Genitalien einge- bracht werde, und mit von zersetzten Stoffen verunreinigten Händen können die Individuen in- und ausserhalb der Gebär- häuser allen möglichen medicinischen Untersuchungen, mit Ausnahme der Exploratio obstetricia interna unterworfen werden, ohne dadurch auch nur der geringsten Gefahr ausge- setzt zu sein. Dass die Epidermis die Resorbtion des zersetzten Stoffes

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Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/208>, abgerufen am 01.05.2024.