Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

möglich gedacht zu werden, weil nach den häufig von engli-
schen Schriftstellern aufgestellten Anordnungen ein Arzt, der
so unglücklich ist, in seiner Praxis mehrere puerperalkranke
Frauen zu haben, längere Zeit hindurch aufhören soll, bei Ge-
burten Beistand zu leisten, und ihm Wechsel seiner sämmtlichen
Kleidungsstücke zur Pflicht gemacht wird. Als Beweis dafür
wird besonders angeführt, dass so häufig einzelne Geburtshel-
fer oder Hebammen viele Fälle von Puerperalfieber unter
ihren Pflegebefohlenen zählen, während die übrigen Aerzte
nichts von dergleichen Vorkommnissen zu erzählen haben.
Man wird aber wohl zugeben müssen, dass dieser letztge-
nannte Umstand sich viel ungezwungener erklären lässt, wenn
man annimmt (was sich in den meisten der oben mitgetheilten
Fälle nachweisen liess), dass diese Praktiker sich entweder
mit Leichenöffnungen, oder was gleichviel gilt, mit anderen
putrescirenden Stoffen, Eröffnung von Abscessen, Reinigen
und Verbinden von Wunden, Reinigen oder Untersuchungen
von Wöchnerinnen, Untersuchungen von Placenten u. dgl.
beschäftigt haben *). -- Mehrere der obengenannten Aerzte
haben durch die in England gang und gäbe gewordenen An-
sichten ihre geburtshilfliche Praxis für einige Zeit aufgege-
ben, nachdem sie das Unglück hatten, mehrere Frauen durch
das Puerperalfieber zu verlieren. Der Umstand, dass sie so-
gleich beim Wiederaufnehmen derselben nicht glücklicher
waren, scheint -- nach einer mehrere Wochen betragenden
Frist -- ausser Zweifel zu setzen, dass die von ihnen beschul-

*) Dr. A. Martin, der Director der Hebammenschule in München,
hatte die Güte, mir mündlich mitzutheilen, dass in den ersten Jah-
ren seiner Wirksamkeit das Puerperalfieber häufige Opfer forderte,
ohne dass es möglich gewesen wäre, in der kleinen, gesund gelege-
nen Anstalt die Veranlassung zu entdecken. Erst nach und nach
wurde er davon benachrichtigt, dass die Hebammen die Placenten in
den in der Anstalt gelegenen Abtritt warfen. Nach Abstellung die-
ses Uebelstandes wurde der Gesundheitszustand der Anstalt ein blei-
bend günstiger.

möglich gedacht zu werden, weil nach den häufig von engli-
schen Schriftstellern aufgestellten Anordnungen ein Arzt, der
so unglücklich ist, in seiner Praxis mehrere puerperalkranke
Frauen zu haben, längere Zeit hindurch aufhören soll, bei Ge-
burten Beistand zu leisten, und ihm Wechsel seiner sämmtlichen
Kleidungsstücke zur Pflicht gemacht wird. Als Beweis dafür
wird besonders angeführt, dass so häufig einzelne Geburtshel-
fer oder Hebammen viele Fälle von Puerperalfieber unter
ihren Pflegebefohlenen zählen, während die übrigen Aerzte
nichts von dergleichen Vorkommnissen zu erzählen haben.
Man wird aber wohl zugeben müssen, dass dieser letztge-
nannte Umstand sich viel ungezwungener erklären lässt, wenn
man annimmt (was sich in den meisten der oben mitgetheilten
Fälle nachweisen liess), dass diese Praktiker sich entweder
mit Leichenöffnungen, oder was gleichviel gilt, mit anderen
putrescirenden Stoffen, Eröffnung von Abscessen, Reinigen
und Verbinden von Wunden, Reinigen oder Untersuchungen
von Wöchnerinnen, Untersuchungen von Placenten u. dgl.
beschäftigt haben *). — Mehrere der obengenannten Aerzte
haben durch die in England gang und gäbe gewordenen An-
sichten ihre geburtshilfliche Praxis für einige Zeit aufgege-
ben, nachdem sie das Unglück hatten, mehrere Frauen durch
das Puerperalfieber zu verlieren. Der Umstand, dass sie so-
gleich beim Wiederaufnehmen derselben nicht glücklicher
waren, scheint — nach einer mehrere Wochen betragenden
Frist — ausser Zweifel zu setzen, dass die von ihnen beschul-

*) Dr. A. Martin, der Director der Hebammenschule in München,
hatte die Güte, mir mündlich mitzutheilen, dass in den ersten Jah-
ren seiner Wirksamkeit das Puerperalfieber häufige Opfer forderte,
ohne dass es möglich gewesen wäre, in der kleinen, gesund gelege-
nen Anstalt die Veranlassung zu entdecken. Erst nach und nach
wurde er davon benachrichtigt, dass die Hebammen die Placenten in
den in der Anstalt gelegenen Abtritt warfen. Nach Abstellung die-
ses Uebelstandes wurde der Gesundheitszustand der Anstalt ein blei-
bend günstiger.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0204" n="192"/>
möglich gedacht zu werden, weil nach den häufig von engli-<lb/>
schen Schriftstellern aufgestellten Anordnungen ein Arzt, der<lb/>
so unglücklich ist, in seiner Praxis mehrere puerperalkranke<lb/>
Frauen zu haben, längere Zeit hindurch aufhören soll, bei Ge-<lb/>
burten Beistand zu leisten, und ihm Wechsel seiner sämmtlichen<lb/>
Kleidungsstücke zur Pflicht gemacht wird. Als Beweis dafür<lb/>
wird besonders angeführt, dass so häufig einzelne Geburtshel-<lb/>
fer oder Hebammen viele Fälle von Puerperalfieber unter<lb/>
ihren Pflegebefohlenen zählen, während die übrigen Aerzte<lb/>
nichts von dergleichen Vorkommnissen zu erzählen haben.<lb/>
Man wird aber wohl zugeben müssen, dass dieser letztge-<lb/>
nannte Umstand sich viel ungezwungener erklären lässt, wenn<lb/>
man annimmt (was sich in den meisten der oben mitgetheilten<lb/>
Fälle nachweisen liess), dass diese Praktiker sich entweder<lb/>
mit Leichenöffnungen, oder was gleichviel gilt, mit anderen<lb/>
putrescirenden Stoffen, Eröffnung von Abscessen, Reinigen<lb/>
und Verbinden von Wunden, Reinigen oder Untersuchungen<lb/>
von Wöchnerinnen, Untersuchungen von Placenten u. dgl.<lb/>
beschäftigt haben <note place="foot" n="*)">Dr. A. <hi rendition="#g">Martin</hi>, der Director der Hebammenschule in München,<lb/>
hatte die Güte, mir mündlich mitzutheilen, dass in den ersten Jah-<lb/>
ren seiner Wirksamkeit das Puerperalfieber häufige Opfer forderte,<lb/>
ohne dass es möglich gewesen wäre, in der kleinen, gesund gelege-<lb/>
nen Anstalt die Veranlassung zu entdecken. Erst nach und nach<lb/>
wurde er davon benachrichtigt, dass die Hebammen die Placenten in<lb/>
den in der Anstalt gelegenen Abtritt warfen. Nach Abstellung die-<lb/>
ses Uebelstandes wurde der Gesundheitszustand der Anstalt ein blei-<lb/>
bend günstiger.</note>. &#x2014; Mehrere der obengenannten Aerzte<lb/>
haben durch die in England gang und gäbe gewordenen An-<lb/>
sichten ihre geburtshilfliche Praxis für einige Zeit aufgege-<lb/>
ben, nachdem sie das Unglück hatten, mehrere Frauen durch<lb/>
das Puerperalfieber zu verlieren. Der Umstand, dass sie so-<lb/>
gleich beim Wiederaufnehmen derselben nicht glücklicher<lb/>
waren, scheint &#x2014; nach einer mehrere Wochen betragenden<lb/>
Frist &#x2014; ausser Zweifel zu setzen, dass die von ihnen beschul-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0204] möglich gedacht zu werden, weil nach den häufig von engli- schen Schriftstellern aufgestellten Anordnungen ein Arzt, der so unglücklich ist, in seiner Praxis mehrere puerperalkranke Frauen zu haben, längere Zeit hindurch aufhören soll, bei Ge- burten Beistand zu leisten, und ihm Wechsel seiner sämmtlichen Kleidungsstücke zur Pflicht gemacht wird. Als Beweis dafür wird besonders angeführt, dass so häufig einzelne Geburtshel- fer oder Hebammen viele Fälle von Puerperalfieber unter ihren Pflegebefohlenen zählen, während die übrigen Aerzte nichts von dergleichen Vorkommnissen zu erzählen haben. Man wird aber wohl zugeben müssen, dass dieser letztge- nannte Umstand sich viel ungezwungener erklären lässt, wenn man annimmt (was sich in den meisten der oben mitgetheilten Fälle nachweisen liess), dass diese Praktiker sich entweder mit Leichenöffnungen, oder was gleichviel gilt, mit anderen putrescirenden Stoffen, Eröffnung von Abscessen, Reinigen und Verbinden von Wunden, Reinigen oder Untersuchungen von Wöchnerinnen, Untersuchungen von Placenten u. dgl. beschäftigt haben *). — Mehrere der obengenannten Aerzte haben durch die in England gang und gäbe gewordenen An- sichten ihre geburtshilfliche Praxis für einige Zeit aufgege- ben, nachdem sie das Unglück hatten, mehrere Frauen durch das Puerperalfieber zu verlieren. Der Umstand, dass sie so- gleich beim Wiederaufnehmen derselben nicht glücklicher waren, scheint — nach einer mehrere Wochen betragenden Frist — ausser Zweifel zu setzen, dass die von ihnen beschul- *) Dr. A. Martin, der Director der Hebammenschule in München, hatte die Güte, mir mündlich mitzutheilen, dass in den ersten Jah- ren seiner Wirksamkeit das Puerperalfieber häufige Opfer forderte, ohne dass es möglich gewesen wäre, in der kleinen, gesund gelege- nen Anstalt die Veranlassung zu entdecken. Erst nach und nach wurde er davon benachrichtigt, dass die Hebammen die Placenten in den in der Anstalt gelegenen Abtritt warfen. Nach Abstellung die- ses Uebelstandes wurde der Gesundheitszustand der Anstalt ein blei- bend günstiger.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/204
Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/204>, abgerufen am 30.04.2024.