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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861.

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fallen; sondern dass es ein zersetzter thierisch-organischer
Stoff ist, welcher den Individuen von aussen eingebracht
wird, und die Sterblichkeit in den Gebärhäusern der drei
Königreiche und in deutschen und französischen Gebärhäusern
hervorbringt; nur wird, vermöge der Verhältnisse der deut-
schen und französischen Gebärhäuser, den Individuen in den-
selben viel häufiger ein zersetzter Stoff von aussen einge-
bracht, und daher die grössere Sterblichkeit. In den drei Kö-
nigreichen wird den Individuen von aussen viel seltener ein
zersetzter Stoff eingebracht, und daher ist die Sterblichkeit
viel geringer.

Die Engländer halten das Kindbettfieber für contagiös,
gebrauchen Chlorwaschungen und zerstören dadurch den zer-
setzten Stoff, welcher von kranken Schwangeren, Kreissen-
den, Wöchnerinnen und Puerperalleichen hergenommen wird,
und welcher in deutschen und französischen Gebärhäusern,
wo er nicht zerstört wird, so zahlreiche Erkrankungen ver-
anlasst, wie uns Chiari gezeigt.

In deutschen und französischen Gebärhäusern wird der
zersetzte Stoff sehr häufig von Kranken und Leichen genom-
men, welche dem Kindbettfieber fremd sind; deshalb, weil die
deutschen und französischen Gebärhäuser in der Regel in Ver-
bindung stehen mit grossen Krankenhäusern, daher die Schü-
ler bald in der Todtenkammer, bald im Gebärhause, bald auf
einer chirurgischen, bald auf einer medicinischen Abtheilung
sich beschäftigen, und dadurch zum Träger der zersetzten
Stoffe werden, welche im Gebärhause so viel Unglück stiften.

Die Gebärhäuser in den drei Königreichen sind sämmt-
lich selbstständige Institute, und schon wegen der Entfernung
von Krankenhäusern ist der Schüler gezwungen, sich nur mit
Geburtshilfe zu beschäftigen.

Wenn man den günstigeren Gesundheitszustand der Lon-
doner Gebärhäuser dem Umstande zuschreiben wollte, dass
dort nie mehr als zwei Schüler unterrichtet werden, so erlaube
ich mir die Bemerkung, dass ein Schüler denn doch kein

fallen; sondern dass es ein zersetzter thierisch-organischer
Stoff ist, welcher den Individuen von aussen eingebracht
wird, und die Sterblichkeit in den Gebärhäusern der drei
Königreiche und in deutschen und französischen Gebärhäusern
hervorbringt; nur wird, vermöge der Verhältnisse der deut-
schen und französischen Gebärhäuser, den Individuen in den-
selben viel häufiger ein zersetzter Stoff von aussen einge-
bracht, und daher die grössere Sterblichkeit. In den drei Kö-
nigreichen wird den Individuen von aussen viel seltener ein
zersetzter Stoff eingebracht, und daher ist die Sterblichkeit
viel geringer.

Die Engländer halten das Kindbettfieber für contagiös,
gebrauchen Chlorwaschungen und zerstören dadurch den zer-
setzten Stoff, welcher von kranken Schwangeren, Kreissen-
den, Wöchnerinnen und Puerperalleichen hergenommen wird,
und welcher in deutschen und französischen Gebärhäusern,
wo er nicht zerstört wird, so zahlreiche Erkrankungen ver-
anlasst, wie uns Chiari gezeigt.

In deutschen und französischen Gebärhäusern wird der
zersetzte Stoff sehr häufig von Kranken und Leichen genom-
men, welche dem Kindbettfieber fremd sind; deshalb, weil die
deutschen und französischen Gebärhäuser in der Regel in Ver-
bindung stehen mit grossen Krankenhäusern, daher die Schü-
ler bald in der Todtenkammer, bald im Gebärhause, bald auf
einer chirurgischen, bald auf einer medicinischen Abtheilung
sich beschäftigen, und dadurch zum Träger der zersetzten
Stoffe werden, welche im Gebärhause so viel Unglück stiften.

Die Gebärhäuser in den drei Königreichen sind sämmt-
lich selbstständige Institute, und schon wegen der Entfernung
von Krankenhäusern ist der Schüler gezwungen, sich nur mit
Geburtshilfe zu beschäftigen.

Wenn man den günstigeren Gesundheitszustand der Lon-
doner Gebärhäuser dem Umstande zuschreiben wollte, dass
dort nie mehr als zwei Schüler unterrichtet werden, so erlaube
ich mir die Bemerkung, dass ein Schüler denn doch kein

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[169/0181] fallen; sondern dass es ein zersetzter thierisch-organischer Stoff ist, welcher den Individuen von aussen eingebracht wird, und die Sterblichkeit in den Gebärhäusern der drei Königreiche und in deutschen und französischen Gebärhäusern hervorbringt; nur wird, vermöge der Verhältnisse der deut- schen und französischen Gebärhäuser, den Individuen in den- selben viel häufiger ein zersetzter Stoff von aussen einge- bracht, und daher die grössere Sterblichkeit. In den drei Kö- nigreichen wird den Individuen von aussen viel seltener ein zersetzter Stoff eingebracht, und daher ist die Sterblichkeit viel geringer. Die Engländer halten das Kindbettfieber für contagiös, gebrauchen Chlorwaschungen und zerstören dadurch den zer- setzten Stoff, welcher von kranken Schwangeren, Kreissen- den, Wöchnerinnen und Puerperalleichen hergenommen wird, und welcher in deutschen und französischen Gebärhäusern, wo er nicht zerstört wird, so zahlreiche Erkrankungen ver- anlasst, wie uns Chiari gezeigt. In deutschen und französischen Gebärhäusern wird der zersetzte Stoff sehr häufig von Kranken und Leichen genom- men, welche dem Kindbettfieber fremd sind; deshalb, weil die deutschen und französischen Gebärhäuser in der Regel in Ver- bindung stehen mit grossen Krankenhäusern, daher die Schü- ler bald in der Todtenkammer, bald im Gebärhause, bald auf einer chirurgischen, bald auf einer medicinischen Abtheilung sich beschäftigen, und dadurch zum Träger der zersetzten Stoffe werden, welche im Gebärhause so viel Unglück stiften. Die Gebärhäuser in den drei Königreichen sind sämmt- lich selbstständige Institute, und schon wegen der Entfernung von Krankenhäusern ist der Schüler gezwungen, sich nur mit Geburtshilfe zu beschäftigen. Wenn man den günstigeren Gesundheitszustand der Lon- doner Gebärhäuser dem Umstande zuschreiben wollte, dass dort nie mehr als zwei Schüler unterrichtet werden, so erlaube ich mir die Bemerkung, dass ein Schüler denn doch kein

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Zitationshilfe: Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/181>, abgerufen am 24.11.2024.