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Seiler, Georg Friedrich: Ueber das wahre thätige Christenthum. Erlangen, 1789.

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II. Liebe gegen Gott.

Wenn ich, gütigster Gott und Vater! die Men-
ge der Wohlthaten bedenke, die du von Jugend auf
bis hieher über mich ausgeschüttet hast: so wird mei-
ne ganze Seele mit Bewunderung deiner Güte, mit
Freude und kindlicher Neigung zu dir erfüllt. Mein
Leben ist ein Geschenk deiner Hand; jede Speise, je-
den Trank, den ich genoß, empfieng ich von deiner un-
erschöpflichen Mildthätigkeit. Du hast meine Glieder
und Sinnen unverletzt bisher erhalten; du hast mir Ge-
sundheit und Kräfte zu so manchen nützlichen Wer-
ken, hast mir so viele angenehme Stunden des Ta-
ges und Ruhe und Erquickung des Nachts verliehen;
du hast auf alle Weise Großes an mir gethan, mein
Schöpfer und Gott! Ach! wie sollte ich dich nicht lie-
ben? Wie, dir nicht mit kindlichem Gehorsam mich
ganz überlassen? Aber ach! wie oft war doch mein
Herz gegen dich gleichgültig und fühllos? Wie oft
regierte mich mehr die Liebe der Welt, als die Nei-
gung zu dir? Wie oft verleiteten mich sogar meine
Begierden etwas zu reden oder zu thun, dadurch ich
deine Liebe hätte auf ewig verlieren können? Wie
schäme ich mich, daß ich dich so wenig geliebet, daß
ich so viele Pflichten zu beobachten versäumt oder nach-
läßig ausgeübt habe! Nimm hin mein reuvolles Herz,
o Vater! Erfülle es ganz mit deiner göttlichen Liebe; rei-
nige dasselbe durch deinen Geist von allen schädlichen
Leidenschaften, von Zorn und Haß, von unordentlicher
Liebe zu sterblichen Menschen und vergänglichen Gü-
tern. Gieb mir Neigung und Kraft meine Liebe zu
dir durch thätige Liebe gegen andre zu beweisen; daß
ich in dieser angenehmen Vereinigung mit dir, mein Gott,

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A 2
II. Liebe gegen Gott.

Wenn ich, gütigſter Gott und Vater! die Men-
ge der Wohlthaten bedenke, die du von Jugend auf
bis hieher über mich ausgeſchüttet haſt: ſo wird mei-
ne ganze Seele mit Bewunderung deiner Güte, mit
Freude und kindlicher Neigung zu dir erfüllt. Mein
Leben iſt ein Geſchenk deiner Hand; jede Speiſe, je-
den Trank, den ich genoß, empfieng ich von deiner un-
erſchöpflichen Mildthätigkeit. Du haſt meine Glieder
und Sinnen unverletzt bisher erhalten; du haſt mir Ge-
ſundheit und Kräfte zu ſo manchen nützlichen Wer-
ken, haſt mir ſo viele angenehme Stunden des Ta-
ges und Ruhe und Erquickung des Nachts verliehen;
du haſt auf alle Weiſe Großes an mir gethan, mein
Schöpfer und Gott! Ach! wie ſollte ich dich nicht lie-
ben? Wie, dir nicht mit kindlichem Gehorſam mich
ganz überlaſſen? Aber ach! wie oft war doch mein
Herz gegen dich gleichgültig und fühllos? Wie oft
regierte mich mehr die Liebe der Welt, als die Nei-
gung zu dir? Wie oft verleiteten mich ſogar meine
Begierden etwas zu reden oder zu thun, dadurch ich
deine Liebe hätte auf ewig verlieren können? Wie
ſchäme ich mich, daß ich dich ſo wenig geliebet, daß
ich ſo viele Pflichten zu beobachten verſäumt oder nach-
läßig ausgeübt habe! Nimm hin mein reuvolles Herz,
o Vater! Erfülle es ganz mit deiner göttlichen Liebe; rei-
nige daſſelbe durch deinen Geiſt von allen ſchädlichen
Leidenſchaften, von Zorn und Haß, von unordentlicher
Liebe zu ſterblichen Menſchen und vergänglichen Gü-
tern. Gieb mir Neigung und Kraft meine Liebe zu
dir durch thätige Liebe gegen andre zu beweiſen; daß
ich in dieſer angenehmen Vereinigung mit dir, mein Gott,

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[3/0007] II. Liebe gegen Gott. Wenn ich, gütigſter Gott und Vater! die Men- ge der Wohlthaten bedenke, die du von Jugend auf bis hieher über mich ausgeſchüttet haſt: ſo wird mei- ne ganze Seele mit Bewunderung deiner Güte, mit Freude und kindlicher Neigung zu dir erfüllt. Mein Leben iſt ein Geſchenk deiner Hand; jede Speiſe, je- den Trank, den ich genoß, empfieng ich von deiner un- erſchöpflichen Mildthätigkeit. Du haſt meine Glieder und Sinnen unverletzt bisher erhalten; du haſt mir Ge- ſundheit und Kräfte zu ſo manchen nützlichen Wer- ken, haſt mir ſo viele angenehme Stunden des Ta- ges und Ruhe und Erquickung des Nachts verliehen; du haſt auf alle Weiſe Großes an mir gethan, mein Schöpfer und Gott! Ach! wie ſollte ich dich nicht lie- ben? Wie, dir nicht mit kindlichem Gehorſam mich ganz überlaſſen? Aber ach! wie oft war doch mein Herz gegen dich gleichgültig und fühllos? Wie oft regierte mich mehr die Liebe der Welt, als die Nei- gung zu dir? Wie oft verleiteten mich ſogar meine Begierden etwas zu reden oder zu thun, dadurch ich deine Liebe hätte auf ewig verlieren können? Wie ſchäme ich mich, daß ich dich ſo wenig geliebet, daß ich ſo viele Pflichten zu beobachten verſäumt oder nach- läßig ausgeübt habe! Nimm hin mein reuvolles Herz, o Vater! Erfülle es ganz mit deiner göttlichen Liebe; rei- nige daſſelbe durch deinen Geiſt von allen ſchädlichen Leidenſchaften, von Zorn und Haß, von unordentlicher Liebe zu ſterblichen Menſchen und vergänglichen Gü- tern. Gieb mir Neigung und Kraft meine Liebe zu dir durch thätige Liebe gegen andre zu beweiſen; daß ich in dieſer angenehmen Vereinigung mit dir, mein Gott, ſtete A 2

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Zitationshilfe: Seiler, Georg Friedrich: Ueber das wahre thätige Christenthum. Erlangen, 1789, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seiler_christentum_1789/7>, abgerufen am 28.09.2024.